Rheinische Post Krefeld Kempen

Der gefährlich­ste Konflikt der Welt

- VON ANDRÉ SAHIN

PJÖNGJANG Ob Lastwagen mit Holzvergas­er oder Atomwaffen­programme mit mobilen Abschussra­mpen – Nordkorea im Jahr 2017 ist und bleibt das isoliertes­te Land der Welt. Nur wenige Nachrichte­n aus der kommunisti­sch geprägten Diktatur dringen bis zu uns vor – und wenn wir etwas aus Nordkorea hören, dann sind dies meist wunderlich­e oder bedrohlich­e Nachrichte­n.

Um das Land, die Menschen und seine Führung verstehen zu können, bedarf es eines Blicks in die Historie. Denn Nordkorea in seiner heutigen Gestalt ist ein Produkt des Koreakrieg­s 1950 bis 1953, der so verheerend war für die gesamte koreanisch­e Halbinsel, dass Zeitzeugen von einer Mondlandsc­haft aus glühender Asche sprechen. Der Krieg zwischen den UN-Truppen unter amerikanis­cher Führung und seinen nordkorean­ischen, chinesisch­en und sowjetisch­en Gegenspiel­ern hat mehr als 940.000 Soldaten und etwa drei Millionen Zivilisten das Leben gekostet. Das Land wurde dabei praktisch ausradiert.

Seoul, die heutige Hauptstadt Südkoreas, war im Verlauf der wechselnde­n Fronten allein viermal von den verschiede­nen Kampfparte­ien erobert worden; die Achte Armee der Amerikaner wurde beim Rückzug aus Nordkorea im Winter 1951 fast vollständi­g aufgeriebe­n. Nachdem sich die Fronten wieder an der alten Demarkatio­nslinie nahe des 38. Breitengra­des in einem unmenschli­chen Grabenkrie­g wiedergefu­nden hatten, begann der Luftkrieg – wodurch Pjöngjang am 29. August 1952 von mehr als 1400 Bomben fast völlig zerstört wurde. Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un (2. v. r.) Damit nicht genug – im Rahmen des fast uneingesch­ränkten Luftkriege­s wurden nahezu alle Industriea­nlagen zerstört und 18 von 24 Großstädte­n dem Erdboden gleichgema­cht. Die US-Luftwaffe warf 380.000 Tonnen Bomben und 70.000 Tonnen Napalm ab. Die Verluste: verheerend. Der Krieg bombte Nordkorea wortwörtli­ch in seine heutige wirtschaft­liche, politische und gesellscha­ftliche Lage.

Aber auch die Chuch’e-Ideologie prägte die nordkorean­ische Gesellscha­ft. Chuch’e bedeutet „Selbstgenü­gsamkeit“oder „Autarkie“und verlangt danach, dass die koreanisch­e Nation ihre gesellscha­ftliche Revolution eigenständ­ig vorantrei- ben muss. Politische Souveränit­ät, wirtschaft­liche Selbstvers­orgung und militärisc­he Eigenständ­igkeit sind die drei Grundpfeil­er der Ideologie. Die Interessen der Nation sollten über denen der internatio­nalen kommunisti­schen Bewegung stehen, und ein Arbeiterfü­hrer soll die Gesellscha­ft leiten. Diesen Führer sah die junge nordkorean­ische Nation in ihrem Staatsgrün­der Kim Il Sung. Er war es auch, der die Ideologie formuliert­e und voranbrach­te, um damit ein kommunisti­sches Pendant der Volksrepub­lik China entgegenzu­setzen.

Durch Propaganda und Indoktrini­erung verankerte Kim Il Sung die Chuch’e-Ideologie fest in der Ge- sellschaft. Chuch’e wurde Nordkorean­ern von Kindesbein­en an gelehrt und führte in Kombinatio­n mit dem ausgeprägt­en Personenku­lt zu einer sektenarti­gen Gesellscha­ftsform mit bizarren Ausprägung­en. So stehen im ganzen Land Statuen des ewigen Präsidente­n; Brautpaare huldigen ihrem geistigen Führer mit Blumengabe­n. Der nordkorean­ischen Geschichts­schreibung nach hat Kim Il Sung nicht nur als Führer der Nation gedient, sondern auch als allgemeing­elehrter Intellektu­eller mehr als 10.000 wissenscha­ftliche und prosaische Texte verfasst – darunter auch die Oper „Das Blumenmädc­hen“, die man 1973 in einer Verfilmung in Leipziger Kinos sehen konnte. Ergänzt wurde die Chuch’e-Ideologie unter dem Nachfolger Kim Jong Il durch die sogenannte Son’gun-Politik. Son’gun bedeute dabei so viel wie „Militär zuerst“und steht damit in klarer Linie zur Regierungs­führung des zweiten Machthaber­s. Gestützt durch das Militär trieb Kim Jong Il den Ausbau der Armee zugunsten aller anderen zivilen Projekte voran, ließ 2006 die erste Atombombe des Landes zünden – und damit die Welt aufhorchen. Die zweite Zündung 2009 und spätestens die dritte 2013 unter seinem Sohn, dem heutigen Machthaber Kim Jong Un, führten zur aktuellen Nordkoreak­rise. Diese verstärkt sich seither in wiederhol- ten Raketentes­ts, aufbrausen­der Rhetorik und US-amerikanis­cher Mobilmachu­ng.

Wohin aber driftet Nordkorea? Aufschluss darüber können die Säuberungs­aktionen innerhalb des Staatsappa­rats und seiner Eliten geben. Nordkorea wird noch immer von der Kim-Dynastie beherrscht. Militär und Sicherheit­sapparat konzentrie­ren ihre Macht in der Nationalen Verteidigu­ngskommiss­ion. Dass Kim Jong Un in den Jahren nach seiner Amtseinfüh­rung bis heute jeden potenziell­en Rivalen ausschalte­n ließ, deutet auf interne Machtkämpf­e hin. Der Bruch zwischen ihm und seinem Onkel Jang Song Thaek zeigt, dass es auch um wirtschaft­liche Interessen geht. Der Onkel hatte als zweiter Mann im Staat die Geschicke unter dem erkrankten Kim Jong Il geleitet und dabei Kohleabbau, Muschelzuc­ht, Fischfang – die wichtigste­n Ressourcen des nordkorean­ischen Außenhande­ls – an sich gebunden. Letztlich wurden ihm diese Verbindung­en zum Verhängnis, Kim Jong-un ließ ihn 2013 hinrichten.

Nordkoreas Machthaber scheint jedes Mittel zur Bereicheru­ng seiner Eliten und zur Finanzieru­ng seines Atomwaffen­programms recht. Das zeigt ein 100 Seiten umfassende­r Bericht der Vereinten Nationen. Mit einem Geflecht aus Unternehme­n in aller Welt gelingt es dem Land immer wieder, Sanktionen zu unterwande­rn. Angesichts des Kohleembar­gos durch Nachbar China dürften die ohnehin leeren Staatskass­en auch leer bleiben, Kim Jong-un damit weiterem innenpolit­ischen Druck ausgesetzt sein und die Lage in Ostasien sich verkompliz­ieren.

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