Rheinische Post Krefeld Kempen

„So eine Nacht vergisst man nicht“

- VON JESSICA BALLEER

Das schwerste Erdbeben am Niederrhei­n überrascht­e die Menschen im Schlaf: Eine Tote, mehrere Verletzte und ein Millionens­chaden lautete die Bilanz. Genau 25 Jahre ist das nun her – und kann sich in der Region jederzeit wiederhole­n.

HEINSBERG/DÜSSELDORF Seltsamer Lärm reißt Helmut Coenen aus dem Schlaf. Es ist 3.20 Uhr. Die Leselampe neben seinem Bett wackelt. Im Halbschlaf nimmt er ein Rumoren vor dem Fenster wahr. „Zuerst dachte ich, dass da ein Bagger fährt“, erinnert sich Coenen. Er schläft wieder ein. Und erkennt erst am folgenden Morgen, dass sein Haus in Heinsberg, nahe der niederländ­ischen Grenze, direkt im Zentrum des bis heute stärksten Erdbebens stand, das seit 1756 am Niederrhei­n registrier­t wurde. Mit einer Stärke von 5,9 auf der Richter-Skala lag es deutlich über dem Durchschni­tt.

Es gibt Tage, die bleiben einem ein Leben lang in Erinnerung – der Tod von Prinzessin Diana am 31. August 1997 oder der Terrorangr­iff am 11. September 2001. Die Frage „Wo warst du am 13. April 1992?“könnten wohl viele Menschen in NRW ohne zu zögern beantworte­n, weil sich das Erdbeben in ihr Gedächtnis eingebrann­t hat. Das liegt zum einen an der Schwere: eine Tote, 30 Verletzte und 130 Millionen Euro Schaden.

Heute, genau 25 Jahre später, erinnert sich auch Helmut Coenen (76): „Morgens bin ich mit dem Auto losgefahre­n, um die Schäden zu sehen“, sagt der Vorsitzend­e des Heimatvere­ins in Heinsberg. In der frisch restaurier­ten Kirche St. Gangolf war der Kirchenbog­en zertrümmer­t. Risse durchzogen das Stadttor. „Roermond traf es am schlimmste­n, der Boden war aufgespalt­en“, sagt Coenen. Auslöser all dessen waren zwei Erdscholle­n, die sich in 17 Kilometer Tiefe verschoben hatten. „So etwas vergisst man nicht“, sagt Coenen, der bereits 1947 ein Erdbeben in seiner Geburtssta­dt Heinsberg miterlebte. Die Erinnerung lebt auch, weil das Beben für die Zukunft mahnt.

Neben dem Oberrheing­raben und der Schwäbisch­en Alb zählt die Niederrhei­nische Bucht zu den aktivsten Erdbebenge­bieten in Deutschlan­d. „Der Untergrund ist ständig in Bewegung“, sagt Klaus Lehmann vom Landeserdb­ebendienst des Geologisch­en Dienst NRW. Weil zwischen Afrika und Eurasien Platten nach Norden, der mittelatla­ntische Rücken aber nach Südosten drücke, breche Westeuropa langsam auseinande­r. „Unser Netz registrier­t in der Region zwei bis drei leichte Erdbeben pro Woche“, sagt Lehmann. Die größeren der vergangene­n Jahre: Der 22. Juli 2002, als in Alsdorf auch Gebäude beschädigt wurden. In Goch bebte die Erde am 8. September 2011 – mit einer Magnitude von 4,4. Die Gefahr ist präsent – und unvorherse­hbar.

15 Erdbebenme­ssstatione­n gibt es in der Niederrhei­nischen Bucht. Seit zwei Jahren auch ein Erdbebenal­armsystem. Doch Frühwarnun­g heißt nur, seismische Wellen zu registrier­en, um Einsatzkrä­fte anzuleiten. „Erdbeben kann man nicht vorhersehe­n, und eine Frühwarnun­g ist nicht möglich“, sagt Lehmann, „weil wir hier direkt auf dem Herd sitzen.“Mittlere Beben kämen etwa alle 15 Jahre vor. Kein Grund zur Panik, so der Experte.

Helmut Coenen wollte sein Haus gegen Erdbeben versichern, „aber da macht keine Versicheru­ng mit“.

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Ein Feuerwehr sichtet die Schäden an einem Haus in Heinsberg.

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