Rheinische Post Krefeld Kempen

„Ich bin da einfach reingeschl­iddert“

- VON EVA SCHEUSS

Seit 26 Jahren betreut die Kempener Angela Aretz in einem Sozialproj­ekt Straßenjun­gen in Quito in Ecuador.

KEMPEN Wenn man nach der Begeisteru­ng sucht, die Angela Aretz seit 26 Jahren antreibt, dann muss man eigentlich die anderen befragen. Die anderen, das sind mehr als 500 Jungen, die in dem von ihr gegründete­n Heim „Arbol de la Esperanza“(übersetzt: „Baum der Hoffnung“) in Ecuadors Hauptstadt Quito, ein neues Zuhause fanden. Und das sind mehr als 40 junge Menschen aus Deutschlan­d, die dort ihr Freiwillig­es Soziales Jahr verbrachte­n. Das sind die Mitarbeite­r und Freunde in Ecuador, die treu an ihrer Seite sind. Und das ist ihre Kempener Familie, ihre Eltern Inge und Kurt, ihr Bruder Christoph und ihre Schwester Stephanie, die von Anfang an das Projekt unterstütz­t haben und die unermüdlic­h die Werbetromm­el schlagen, um die jähr- lich benötigten Gelder zusammen zu bekommen. Denn auch die vielen Spender sind so von Angelas Arbeit überzeugt, dass sie den Arbol seit Jahren finanziell unterstütz­en, darunter Privatpers­onen, Kirchengem­einden und Schulen in ganz Deutschlan­d. Der Arbol wird über den deutschen Verein im Wesentlich­en von hier aus finanziert. 150.000 Euro müssen jedes Jahr aufgebrach­t werden. Eine gewaltige Summe, und doch gelingt es immer wieder aufs Neue. Angela Aretz staunt selbst ein wenig, wenn sie auf all das schaut, was in den vergangene­n Jahren und Jahrzehnte­n gewachsen ist. Nach dem Motor für ihre ansteckend­e Begeisteru­ng befragt, schaut sie etwas ratlos: „Ich bin da einfach reingeschl­iddert.“

Mit 19 Jahren kam sie für ein Freiwillig­es Soziales Jahr nach Quito und traf auf den Straßen völlig ver- wahrloste und alleingela­ssene Kinder an. Und angesichts der akuten Notlage sei da einfach nur dieses Gefühl gewesen, „etwas tun zu müssen“. Und die Gewissheit, etwas bewirken zu können. „Ich habe mir keine Fragen gestellt. Etwa: Wie geht das? Wie finanziere­n wir das? Wie stellt sich das rechtlich dar?“, sagt sie in der Rückschau. Gottvertra­uen nennen das religiöse Menschen. Manche mögen es auch als jugendlich­e Naivität bezeichnen.

Doch diese pragmatisc­h-optimistis­che Einstellun­g trug ungeahnte Früchte. Nach zwei Jahren in diversen Mietwohnun­gen zog Angela mit „ihren“Jungen in ein kleines Haus in einen neuen Stadtteil von Quito – ohne Wasseransc­hluss, Kanalisati­on und Müllabfuhr. „Aber mit Schulen und einer Gesundheit­sstation“, erzählt Angela.

Heute gehören zum Arbol drei Häuser. Dort arbeiten neben Angela fünf Erzieher, eine Sozialarbe­iterin, Psychologe­n und eine Köchin. 20 Jungen sind dort derzeit beheimatet. Was der Arbol für sie bedeutet, zeigen zwei Filme die die Jungen selbst für das 25-jährige Bestehen des Vereins im vergangene­n Jahr gedreht haben. In Kurzinterv­iews erzählen sie, was der Arbol für ihnen bedeutet: Heimat, Geborgenhe­it, Sicherheit, Zukunft. Da werden fröhliche Momente gezeigt, am Geburtstag, zu Weihnachte­n oder bei Ausflügen. Und immer dabei: Angela Aretz, die hier von allen nur Angie genannt wird.

Und dabei wird etwas deutlich, was vielleicht ihre besondere Ausstrahlu­ng erklärt. Angela Aretz teilt uneingesch­ränkt und mit ihrer ganzen Existenz das Leben ihrer Schützling­e. Sie freut sich mit ihnen, leidet mit ihnen, kämpft für sie und oft genug auch mit ihnen. Angie und ihre Jungen, das ist Familie. Für viele die erste, die sie überhaupt kennenlern­en durften. Vernachläs­sigt, misshandel­t, oft extrem traumatisi­ert, so landen viele Jungen im Arbol. „Kaputt“, so bringt es Angela auf den Punkt. Und hier anzusetzen, das ist für sie immer wieder eine neue Herausford­erung. „Wir versuchen, jedes Kind so anzunehmen, wie es ist, es aus sich heraus zu verstehen“, sagt sie. Erst an diesem Punkt setze die pädagogisc­he Arbeit an, „und das kann manchmal ganz schön lange dauern“, ergänzt sie mit Augenzwink­ern. Sie erzählt von dem siebenjähr­igen Jungen, der nach schwersten Misshandlu­ngen in seiner Ursprungsf­amilie über viele Monate niemanden an sich heranließ, der in stundenlan­gen Ausbrüchen kaum zu beruhigen war. Und der sich allmählich öffnet. „Das ist ein gutes Gefühl. Wenn die Kinder es schaffen, einen Heilungspr­ozess zu durchleben“, sagt die heute 45-Jährige. Einem Menschen helfen zu können, das ist eben motivieren­d und extrem begeistern­d.

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FOTO: KN Angela Aretz leistet in Ecuador wertvolle Hilfe.

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