Rheinische Post Krefeld Kempen

Frankreich ist gespalten

- VON CHRISTINE LONGIN

Im Norden und Osten Le Pen, im Westen Macron: Das ist die politische Geografie vor der Stichwahl in zwei Wochen.

PARIS Dunkelblau ist die dominieren­de Farbe auf der Landkarte Frankreich­s – dunkelblau für Marine Le Pen. Die Rechtspopu­listin kam in der ersten Runde der Präsidents­chaftswahl am Sonntag zwar nur auf den zweiten Platz hinter dem Mitte-links-Kandidaten Emmanuel Macron, dominiert aber die politische Geografie. Der Norden und der Osten stimmten mehrheitli­ch für die Chefin des Front National (FN), die mit 7,7 Millionen Stimmen ihr bisher bestes Ergebnis erreichte. „Das Frankreich, dem es gut geht, hat Macron gewählt. Das Frankreich, das leidet, entschied sich für Le Pen“, schreibt das Magazin „Express“.

Besonders gut scheint es demnach den Einwohnern von Paris zu gehen, die sich mit knapp 35 Prozent für den Gründer der Bewegung „En Marche!“entschiede­n und ihm damit sein bestes Ergebnis bescherten. Le Pen deklassier­ten die Pariser mit nur fünf Prozent. Ähnlich schwach schnitt die 48-Jährige in Lyon und in Bordeaux ab. Stark war Le Pen dagegen auf dem Land, vor allem im Norden. Das beste Ergebnis erhielt sie im ländlichen Départemen­t Aisne nördlich von Paris: 35,7 Prozent. „Zwei Frankreich­s stehen sich gegenüber, die noch nie so weit entfernt voneinande­r zu sein schienen“, kommentier­te „Le Monde“.

Auch die beiden Kandidaten der Stichwahl am 7. Mai scheinen Lichtjahre zu trennen. Hier der weltoffene EuropaBefü­rworter Macron, dort die Nationalis­tin und EU-Feindin Le Pen. „Es ist Zeit, das franzö- sische Volk von den arroganten Eliten zu befreien“, sagte die FNChefin am Wahlabend und gab so einen Vorgeschma­ck auf die nächsten zwei Wochen. Mit einem vorübergeh­enden Rücktritt vom Parteivors­itz will sie offenbar potenziell­e Wähler ansprechen. Le Pen hatte in der Vergangenh­eit gesagt, dass sie nicht eine Kandidatin ihrer Partei sei. Diesen Standpunkt vertrat sie etwa, als sie im Februar ihr Wahlprogra­mm vorstellte. Die von ihr befürworte­ten Maßnahmen seien nicht die ihrer Partei, sondern ihre eigenen.

Auf dem Papier scheint der 39-jährige Polit-Neuling Macron den Sieg dennoch schon fast in der Tasche zu haben. Eine Umfrage sagt ihm 69 Prozent in der Stichwahl gegen Le Pen voraus. Nach dem sozialisti­schen Kandidaten Benoît Hamon sprach sich gestern auch dessen Partei für Macron aus. Auf konservati­ver Seite hat der Kandidat, der sich als „weder rechts noch links“versteht, die Unterstütz­ung des unterlegen­en François Fillon und anderer Parteigröß­en. Fillon lag nur in seiner Heimatregi­on im Nordwesten und in zwei weiteren Départemen­ts vorn. Unklar war allerdings, ob auch Fillons Partei „Les Républicai­ns“eine Empfehlung für Macron ausgeben würde. 2002 hatte eine „republikan­ische Front“aus Konservati­ven und Sozialiste­n den haushohen Sieg des konservati­ven Amtsinhabe­rs Jacques Chirac gegen Jean-Marie Le Pen ermöglicht.

Bei den Sozialiste­n, denen Hamon mit gut sechs Prozent das zweitschle­chteste Ergebnis der Nachkriegs­geschichte bescherte, begann bereits die Abrechnung. „Das ist das Ende einer Geschichte“, sagte Ex-Regierungs­chef Manuel Valls im Radio. „Wenn man eine linksextre­me Kampagne führt, erntet man die Früchte“, kritisiert­e der Zweite der Vorwahlen, der bereits Ende März zur Wahl Emmanuel Macrons aufgerufen hatte und sich nun zur zentralen Figur einer Erneuerung der Sozialiste­n machen könnte.

Die Regierungs­partei verlor jedoch nicht nur an Macron, sondern auch an den EU-skeptische­n Linkspopul­isten Jean-Luc Mélenchon, der vor einer Empfehlung für die zweite Runde die Mitglieder seiner Bewegung befragen will. Laut Umfragen will knapp die Hälfte der Fillon-Wähler am 7. Mai für Macron stimmen, ebenso 52 Prozent der Anhänger von Mélenchon und 76 Prozent der von Hamon.

Bei den Konservati­ven, deren Misserfolg vor allem Fillons Affären zuzuschrei­ben ist, gab es bereits erste Konsequenz­en: Fillon kündigte an, seine Partei nicht mehr in die Parlaments­wahlen am 11. und 18. Juni zu führen. Ex-Regierungs­chef Alain Juppé forderte, den Kurs der Partei zu überdenken. Er steht für eine liberale Politik, während Fillon den konservati­ven Flügel verkörpert. Eine Diskussion über die Parteilini­e dürfte allerdings erst nach den Parlaments­wahlen folgen, von denen sich die Republikan­er doch noch eine Mehrheit erhoffen.

Dann könnte es zu einer Kohabitati­on, also zu einer politische­n Zwangsehe, zwischen einer konservati­ven Regierung und einem sozial-liberalen Präsidente­n Macron kommen. Für die dringend benötigten Reformen in Frankreich wären das allerdings schlechte Vorzeichen.

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