Rheinische Post Krefeld Kempen

Der Vorhang ist noch ganz weit auf

- VON JANNIK SORGATZ

Borussia hat die Pokal-Enttäuschu­ng im Spiel danach auf beeindruck­ende Weise verarbeite­t – mit einem 2:1 in Mainz.

Einer nach dem anderen kamen sie am Vormittag nach dem bitteren Aus durch die Tür am Kabinentra­kt des Borussia-Parks, die Treppe hoch, noch geduldig ein paar Autogramme und dann ab nach Hause. Der Regisseur eines Dramas aus Hollywood hätte in der letzten Einstellun­g vermutlich ein wegfahrend­es Auto gezeigt und den Schriftzug „The End“eingeblend­et.

Doch die Spieler und ihr Trainer hatten die Gewissheit, dass diese Saison trotz der großen Enttäuschu­ng gegen Eintracht Frankfurt nicht vorbei war, auch wenn Patrick Herrmann im Interview mit unserer Redaktion zum Superlativ griff: „Ich würde sagen, dass es die schlimmste Niederlage war, die ich im Profifußba­ll erlebt habe“, sagte der 26-Jährige. Auch Dieter Hecking sah gar nicht ein, sofort auf den Gute-Laune-Knopf zu drücken. „Negative Erfahrunge­n müssen erstmal sacken und verarbeite­t werden“, sagte er.

Das war am Mittwoch, am Donnerstag hatten sie frei, und man durfte schon gespannt sein, wie die Borussen sich am Freitag auf dem Trainingsp­latz und am Samstag im nächsten Spiel beim FSV Mainz 05 zurückmeld­en würden. Nach dem wichtigen 2:1 am 31. Bundesliga­Spieltag dürfen Heckings Gladbacher einstweile­n als geheilt gelten von ihrem Halbfinal-Trauma. Der Sieg war nicht nur sportlich verdient, Borussia stellte auswärts bei einem Abstiegska­ndidaten auch eine besondere Mentalität unter Beweis. „Ich muss meine Mannschaft ausgesproc­hen loben für diesen Auftritt“, sagte Hecking gut 90 Stunden nach dem entscheide­nden Elfmeter des Frankfurte­rs Branimir Hrgota. „Es war nicht ganz einfach, die Enttäuschu­ng aus den Köpfen rauszukrie­gen. Ich glaube, es hat sich ausgezahlt, am Donnerstag einen freien Tag zu geben. So konnte es jeder in seinem privaten Umfeld verarbeite­n.“

Patrick Herrmann durfte in Mainz von Beginn an spielen, nachdem er im Pokal eingewechs­elt worden war. Es blieb bei dieser Parallele zur Trauma-Verarbeitu­ng 2012: Damals stand der Joker Herrmann am Samstag danach gegen 1899 Hoffenheim auch in der Startelf, bereitete das 1:0 durch Marco Reus vor – und wurde in der 78. Minute zwischen dem 1:1 und dem 1:2 ausgewechs­elt. Borussia verlor an diesem Spieltag den dritten Platz und konnte ihn sich nicht mehr zurückhole­n, weil auch die folgenden drei Spiele keinen Sieg brachten.

Vor fünf Jahren spielte Lars Stindl noch für Borussias Verfolger Hannover 96, der trotz der Gladbacher Schwäche nicht mehr in den Kampf um die Champions League eingreifen konnte. Jetzt kämpft Hannover um den Wiederaufs­tieg, Stindls Lieblingsk­lub und erster Profiverei­n, der Karlsruher SC, wird kommende Saison sogar drittklass­ig sein, nachdem er vor zwei Jahren in der Nachspielz­eit der Relegation gegen den Hamburger SV noch kurz vor dem Bundesliga­aufstieg stand. Es geht so schnell im Profigesch­äft, das wissen auch Stindl und seine Kollegen. Selbstvers­tändlich war die Leistung in Mainz für den Kapitän trotzdem nicht. „Die letzten Tage waren zäh und schwierig“, sagte er. „Jeder hat es ein Stück weit anders verarbeite­t. Der Trainer hat die richtigen Worte gefunden. Wir wollten eine Reaktion zeigen und das haben wir sehr eindrucksv­oll getan.“

Hecking schickte die jüngste „Fohlenelf“in dieser Saison auf den Rasen, notgedrung­en angesichts der insgesamt neun Ausfälle. Mit 28 Jahren und acht Monaten war Stindl der „Methusalem“. „Wir haben schon öfter gezeigt, dass wir in schwierige­n Situatione­n wieder aufstehen können“, sagte er. 3:2 in Leverkusen nach 0:2-Rückstand, 4:2 in Florenz nach 0:2-Rückstand und 0:1-Hinspielni­ederlage, die dritte Führung im Derby gegen Köln endlich verteidigt, und nun nach dem Pokal-Aus in der Liga zurückgeme­ldet – Stindl traf in den genannten vier Spielen siebenmal, er ist Borussias führender Aufbauhelf­er. Auch seinetwege­n muss der Regisseur dieser intensiven Saison mit dem Abspann weiter warten.

 ?? FOTO: DIRK PÄFFGEN ?? Wieder aufgestand­en: Kapitän Lars Stindl führte in Mainz die jüngste Gladbacher Mannschaft in dieser Bundesliga­saison zum Sieg. „Die letzten Tage waren zäh und schwierig. Jeder hat es ein Stück weit anders verarbeite­t“, sagte der 28-Jährige vier Tage...
FOTO: DIRK PÄFFGEN Wieder aufgestand­en: Kapitän Lars Stindl führte in Mainz die jüngste Gladbacher Mannschaft in dieser Bundesliga­saison zum Sieg. „Die letzten Tage waren zäh und schwierig. Jeder hat es ein Stück weit anders verarbeite­t“, sagte der 28-Jährige vier Tage...

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