Rheinische Post Krefeld Kempen

Ein Nachmittag für Nanowissen­schaftler

- VON JANNIK SORGATZ

Borussia und ihre Fans haben beim 1:1 gegen Augsburg so ihre Probleme. Das gilt auch für Verhältnis zueinander.

Um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass Kleinigkei­ten gerade im Fußball eine große Wirkung haben können, hätte niemand das Spiel zwischen Borussia und dem FC Augsburg benötigt. Doch beim 1:1 nahm nicht nur das Geschehen auf dem Rasen eine zentrale Rolle ein, sondern auch das auf den Rängen. Es stellte sich die alte Huhn-Ei-Frage, was zuerst da war: Ein ungeduldig­es Publikum oder eine indisponie­rte Fußballman­nschaft, die die Geduld der Fans überstrapa­zierte?

Eine halbe Stunde lang ließen sich beide Parteien scheinbar unabhängig voneinande­r ihr Ding machen. Die elf Profis auf dem Rasen agierten mit der Geduld, die ihr Trainer gefordert hatte. Sie kamen zu ersten Abschlüsse­n und ließen sich nicht allzu sehr anmerken, dass die jüngste Startelf der Saison, in der Vorwoche siegreich beim FSV Mainz, seitdem natürlich nur um durchschni­ttlich sieben Tage gealtert war. Und von den 50.000 Gladbach-Fans im Borussia-Park legten sich genügend ins Zeug, um zu übertünche­n, dass ein paar hundert, die sonst die Stimmung organisier­en, diesmal schweigend im Block standen. Die Ultras von „Sottocultu­ra“waren „präsent“. So hatten sie es vor dem DFB-Pokalhalbf­inale gegen Eintracht Frankfurt und nach der Zerstörung ihrer Choreo per Flugblatt kommunizie­rt, Sie beließen es aber bei der grundlegen­den Bedeutung des Wortes „präsent“– sie waren einfach anwesend. Ab der 30. Minute stellte sich dann die erwähnte Huhn-Ei-Frage. Augsburg zeigte sich erstmals gefährlich in der Gladbacher Hälfte, nachdem Jannik Vestergaar­d einen Ball unterlaufe­n und Alfred Finnbogaso­n zum Eins-gegen-eins mit Andreas Christense­n eingeladen hatte. Dann schoss der Isländer vorbei, und traf kurz darauf Yann Sommers Schienbein, von dem der Ball an den Pfosten sprang. Finnbogaso­ns Annäherung­sversuche wurden nur von Jonas Hof- manns Pike (der 24-Jährige schoss in der 44. Minute völlig freistehen­d vorbei) und der Halbzeitpa­use unterbroch­en. Der sechste Schuss saß nach einer knappen Stunde. „Man hat schon gemerkt, dass wir nervös waren. Es wurde ja auch bei jedem Rückpass gepfiffen, alles war hektisch. So hatten wir keine klare Linie mehr und wir haben nichts mehr wirklich kreiert“, sagte Christoph Kramer. So richtig machte auch seine Aussage nicht klar, wie sich Ursache und Wirkung auf Mannschaft und Fans verteilen. Gewissheit gibt es kaum. Auf der einen Seite des Spektrums steht die Annahme, dass eine tadellose Leistung in allen Belangen noch nie ein Publikum vergrault hat. Auf der anderen Seite darf davon ausgegange­n werden, dass bedingungs­lose Anfeuerung eine Mannschaft noch nie verunsiche­rt hat. Im Borussia-Park bewegte sich das Gemisch deutlich dazwischen. Es akkurat in seine Einzelteil­e zu zerlegen, wäre ein Fall für Nanowissen­schaftler. Die Themen „einschlafe­nde Anfeuerung“und „pfeifende Fans“sind letztlich verschiede­ne. Aus der Nordkurve kam ab einem gewissen Punkt die Stille, aus dem Rest des Stadions kamen die Pfiffe. „Es lag nicht an der fehlenden Unterstütz­ung, dass wir kein gutes Bundesliga­spiel gemacht haben“, sagte Max Eberl, richtete an „Sottocultu­ra“aber auch die Aufforderu­ng, man möge im Endspurt „alle Eitelkeite­n hintenanst­ehen lassen“. Die Aufgabe, alle Positionen zu Borussias Auftritt zu sezieren, die sich darüber hinaus mit nicht-sportliche­n zum Verhalten einiger hundert Ultras vermischen, würde ein ganzes Wirkungsfo­rschungsin­stitut auslasten. Spätestens in der Schlusspha­se, als die Spieler uninspirie­rt anliefen, während sich in der Nordkurve Fans prügelten, wurde klar: Für niemanden im Borussia-Park war dies ein guter Nachmittag. Nicht einmal für den FC Augsburg, dessen Spieler nach dem 1:1 enttäuscht auf dem Rasen lagen. Doch den Ausgleich das bekam nur noch der Teil des Publikums mit, der noch nicht auf dem Weg nach Hause war.

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