Rheinische Post Krefeld Kempen

„Hast du Lust, Nacktfotos zu tauschen?“

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Im Internet werden immer mehr Jugendlich­e Opfer von Sextätern. Ein Chat-Administra­tor aus Moers sagt, dass man kaum eine Chance habe, die Pädophilen zu stoppen. Opfer gehen aus Schamgefüh­l nicht zur Polizei.

MOERS Es dauert kaum sechs Minuten, da erhält „Janina12“die erste anzügliche Anfrage: „Hi, hast du Lust, mit mir Nacktfotos zu tauschen?“, fragt ein Nutzer, der sich „Sweetboy19“nennt. Er hätte Bilder von sich, wo man alles sehen würde, schreibt er. Die könne er ihr zeigen, wenn sie wolle. Was „Sweetboy19“nicht weiß, ist, dass sich hinter dem Namen „Janina12“kein minderjähr­iges Mädchen verbirgt, sondern ein Administra­tor, der im Chat aufpasst, dass Kinder und Jugendlich­e nicht von Erwachsene­n sexuell belästigt werden. „Leider ist dieses Verhalten gang und gäbe und passiert ständig. Es ist wie ein Kampf gegen Windmühlen“, sagt Stefan K. aus Moers, der als Administra­tor für einen der größten Chats Deutschlan­ds arbeitet. „Wir bekommen nur einen Bruchteil von den widerliche­n Angeboten mit. Und wenn wir einen erwischen, können wir ihn nur aus dem Chat werfen“, sagt der 34-Jährige, der täglich bis zu zehn Stunden das Chatverhal­ten seiner User kontrollie­rt. „Aber die Perversen melden sich dann wieder unter einem anderen Namen an und sind wieder drin. Da können wir nicht viel gegen machen“, sagt er.

Das sogenannte Cybergroom­ing (englisch: anbahnen, vorbereite­n), bei dem sich erwachsene Menschen, meist ältere Männer, in Internetch­ats als Jugendlich­e ausgeben und dann vermeintli­ch Gleichaltr­ige anschreibe­n, greift immer mehr um sich. Dabei gehen die Täter in der Regel sehr strategisc­h vor: Sie versuchen, das Vertrauen ihrer Opfer zu gewinnen, gaukeln Freundscha­ft vor, manipulier­en sie, sagen, dass es völlig normal sei, Nacktfotos von sich anderen zu zeigen. Schnell werden diese dann verschickt. Gleichzeit­ig sorgen sie dafür, dass ihre Opfer niemandem davon erzählen. Das typische Opfer ist laut Polizei 14 und weiblich. Die Zielgruppe der Täter umfasst vor allem Zwölf- bis 15-Jährige.

Nach Angaben der Polizei sind die oben geschilder­ten Handlungen als Vorbereitu­ng zu sexuellem Kindesmiss­brauch zu bewerten und verboten und damit strafbar. Täter können mit einer Freiheitss­trafe von bis zu fünf Jahren bestraft werden. Doch abschrecke­n lassen sich offenbar die wenigsten davon. „Sie fühlen sich in der Anonymität des Internets sehr sicher“, sagt Claudia F., die als Teamleiter­in für einen sogenannte­n „Fun-Chat“die Aktivitäte­n der Nutzer überwacht. Ihr zufolge kommt es allein in NRW täglich hundertfac­h zu solchen Vorfällen. „Aber selbst wir bekommen davon nur einen Bruchteil mit“, sagt sie. Denn Cybergroom­ing spiele sich in den privaten Chatfenste­rn ab, in der sich zwei Personen „unterhalte­n“. „Nur wenn ein User sich meldet und einen Alarmknopf drückt, können wir eingreifen.“

Vergleichs­weise selten kommt es zur Anzeige, werden Täter ermittelt. „Viele Opfer trauen sich aus Schamgefüh­l nicht, zur Polizei zu gehen“, erklärt Kriminalha­uptkommiss­ar Hans J. Hülsbeck, Experte für Cyberkrimi­nalität des Landeskrim­inalamtes (LKA) in Nordrhein-Westfalen. „Manche Opfer denken fälschlich­erweise, dass sie selbst etwas falsch gemacht haben, und öffnen sich deshalb nicht“, sagt Hülsbeck. Die Internetsp­ezialisten des LKA gehen in diesem Deliktbere­ich von einem hohen Dunkelfeld aus. Die Polizei bittet alle Opfer eindringli­ch, jeden Fall zur Anzeige zu bringen. „Wir unternehme­n alles in unserer Macht Stehende, um den Täter zu ermitteln. Und die Chancen stehen in den meisten Fällen gut, dass uns das gelingt. Denn man hinterläss­t im Internet Spuren, die wir finden können“, betont Hülsbeck.

Die Polizei in Baden-Württember­g ist vor zwei Jahren mit einer gezielten Aktion gegen die Sextäter im Internet vorgegange­n. Ähnlich wie der Administra­tor aus Moers erstellten die Fahnder ein Fake-Profil. Das Ergebnis: Binnen kürzester Zeit nahmen zahlreiche Männer Kontakt zu den vermeintli­chen Mädchen auf. Die Tatverdäch­tigen äußerten im Verlauf der Chats regelmäßig strafbare, eindeutig sexuell anstößige Absichten und setzten diese vor ihrer Webcam auch um. Sie forderten ihre Opfer oft auf: „Zieh dich aus!“Dabei stellten die Ermittler fest, dass die Täter häufig routiniert vorgingen. Beispielsw­eise brachten sie unterhalb ihrer Computerti­sche spezielle Halterunge­n für ihre Webcams an. Rund 80 Pädophile gingen der Polizei bei der Aktion in kürzester Zeit ins Netz.

Solche Fahndungsm­aßnahmen sind jedoch die Ausnahme. Daher empfiehlt das LKA Betroffene­n, Screenshot­s oder Fotos von den entspreche­nden Bildern und Chatverläu­fen zu machen. Damit Kinder und Jugendlich­e aber erst gar nicht in so eine Situation geraten, rät das LKA zur Prävention. „Den Kindern muss beigebrach­t werden, worauf man im Internet achten muss, wo die Gefahren lauern“, sagt der Ermittler. „Man darf ihnen nicht einfach den PC hinstellen und sagen: Macht mal.“Zudem könnten Eltern eine bestimmte Software auf den Computer installier­en, die verhindere, dass Fotos mit pornografi­schem Material geöffnet werden könnten. „Mit einem Computer und einem Chat verhält es sich ähnlich wie mit einem Haus: Man kann selbst entscheide­n, wen man hereinläss­t und wie man sich schützt.“

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FOTO: REICHWEIN Stefan K. arbeitet ehrenamtli­ch als Administra­tor eines Jugendchat­s. Der 34-jährige Moerser passt auf, dass Erwachsene den Minderjähr­igen keine anzügliche­n Fotos schicken.
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FOTO: CSH LKA- Kriminalha­uptkommiss­ar Hans J. Hülsbeck

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