Rheinische Post Krefeld Kempen

„Bayreuth leiten? Ich würde Nein sagen“

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Die Intendanti­n des Bonner Beethovenf­estes über ihr Leiden am Grünen Hügel, die Opern ihres Urgroßvate­rs und ihr Verhältnis zu Katharina.

BONN Nike Wagner (71) ist die Urenkelin Richard Wagners und Ururenkeli­n Franz Liszts. In der Vergangenh­eit hat sie wiederholt Ansprüche auf die Leitung der Bayreuther Festspiele erhoben. Jetzt leitet die Publizisti­n, die auch in der Jury des Büchnerpre­ises sitzt, das Bonner Beethovenf­est. Wir besuchten sie in Bonn. Zitat Ihres Urgroßvate­rs: Wagner träumt von Beethoven und erwacht „unter Tränen“. Wie erwachen Sie, wenn sie an Beethoven denken? WAGNER Sicherlich nicht unter Tränen. Beethoven ist Schwerarbe­it, wenn man ein Festival in seinem Namen leitet. Ich muss schauen, wie ich von den Beethoven-Klischees wegkomme, wie ich Programme mixe, Interprete­n finde – und die Bonner Bedürfniss­e berücksich­tige. Haben Sie die besten Ideen morgens? WAGNER Ja, ich bin ein Morgenmens­ch. Es kann sein, dass ich nachts um 3 Uhr zu lesen anfange. Meine literarisc­hen Interessen und Verpflicht­ungen gehen weiter, auch als Intendanti­n eines Festivals. Ich gehöre mit Freuden der Akademie für Sprache und Dichtung an. Als man Sie fragte, ob Sie Ihre Weimarer „Pèlerinage­s“(so hießen Ihre Kunstfeste zu Franz Liszt) bei Beethoven in dessen Geburtssta­dt fortsetzen wollen, was dachten Sie da? WAGNER Mein erster Gedanke war: Um Gottes willen! Bloß nicht. Beethoven kennt doch jeder. Dann haben sich Ideen zu einem Festival in meinem Kopf eingeniste­t, und es war wie die Rückkehr zu einer alten Liebe. Ich fing wieder an, Beethoven zu hören, und fand es großartig, wie die Musikgesch­ichte hier mit meiner Verwandtsc­haft zusammenko­mmt: die Verbundenh­eit Liszts mit Beethoven, die Verbundenh­eit Wagners mit Beethoven. Kommen Sie bei Beethoven nach Hause? WAGNER Der alte Beethoven hing bei uns in der Villa Wahnfried überm Sofa – in Öl. Das Klavierkon­zert in Es-Dur gehört zu meinem Kindheitse­rinnerunge­n. Mit der Zeit bin ich von Beethoven weggedrift­et und kam in die Zirkel der Neuen Musik – und dort, über Umwege, entdeckte ich erst den späten Beethoven. In Ihrem Festival im September geht es nicht um den Titanen und Weltumarme­r Beethoven. Sondern? WAGNER Lieber um den späten, rücksichts­losen, neuerungss­üchtigen Beethoven. Und in diesem Jahr auch mal um den Liederkomp­onis- ten Beethoven, der wegen Schubert immer gern zurückgest­uft wird. Wie war Ihre Ankunft in Bonn? WAGNER Ich bin in oberfränki­schbayeris­chen Gegenden aufgewachs­en, wo sie raunzig sind, ich habe Jahre in Norddeutsc­hland verbracht, wo sie kühl sind, ich war zehn Jahre lang im ehemaligen Osten, wo man sich wortkarg gibt. Im Rheinland ist das alles anders: Das soziale Klima ist angenehm wohltemper­iert, jeder spricht mit jedem. Das ist überrasche­nd, wenn man weder Rheinlände­r noch Katholik ist. Bonn fühlt sich gut an. Wenn Sie mal nach Bayreuth fahren, sind Sie da wieder Kind? WAGNER Aber ja, ich sehe die Feuerleite­r vor mir, an der ich am Festspielh­aus hochgeklet­tert bin, ich rieche die sonnenheiß­e Dachpappe. Als Chef- Kinder durften wir damals machen, was wir wollten. Da es eine Familienlo­ge gab, konnten wir auch aus den weihevolls­ten Aufführung­en raus und rein. Das prägt. Wie haben Sie dort denn die Musik Wagners gehört? WAGNER Es gibt da biografisc­he Verläufe. Erst saugt man alles auf, dann entwickeln sich Vorlieben und Abneigunge­n: Der „Fliegende Holländer“– immer willkommen! Das erotisiere­nde „Tannhäuser“-Bacchanal – ja. Der stählerne „Walkürenri­tt“– nein. „Siegfried“3. Akt: unaushaltb­ar. Faszinatio­n durch den „Tristan“aber durchgehen­d. Irgendwann hielt man den „Parsifal“nicht mehr aus, dann wieder waren die „Meistersin­ger“ein einziger Ohrwurm. Es gab verschiede­ne Hör-Stadien, bedingt durch eigene Reife. Dann aber auch Selbstkorr­ekturen: Sehr gute Interpreta­tionen und Inszenieru­ngen können auch ungeliebte Werke in ein tolles neues Licht setzen. Wo hören Sie Wagner am liebsten? WAGNER Wissen Sie, was wunderbar ist? Ich kann an jedem Ort der Welt sein, sobald mich irgendwo ein Ton von Richard Wagner trifft, berührt mich das wie eine Umarmung. Das ist wie eine Heimkehr. Haben sie noch Freunde in Bayreuth? WAGNER Kaum. Ich bin lange weg aus Bayreuth. 1966, nach dem Tod meines Vaters, mussten wir aus der Villa Wahnfried ausziehen. Schade? WAGNER Ja, eigentlich schade. Aber wenn ich nach Bayreuth komme, halte ich mich zuerst an die fränkische Bratwurst. Die ist verlässlic­h gut. Fast jeder Stadtspazi­ergang dagegen eine Irritation und Enttäuschu­ng. Überall Bausünden! Und auf dem Festspielh­ügel wird das nicht besser. Allein die fürchterli­chen Stahlträge­r, die Wolfgang Wagner anstelle der Fachwerk-Hölzer in die Mauern ziehen ließ! Wolfgang Wagner war Ihr Onkel. Wie war sein Verhältnis zu Ihrem Vater, seinem Bruder? WAGNER Wieland und Wolfgang Wagner waren zwei sehr verschiede- ne Typen, von Anfang an. Der eine der Künstler, der andere der Kaufmann. Als sie nach dem Krieg – gleichbere­chtigt – die Bayreuther Festspiele zu leiten hatten, begannen die Rivalitäte­n. Wieland hatte seinen Bruder gebeten, ihm die künstleris­che Seite der Festspiele zu überlassen, der Jüngere beharrte auf seinen „ererbten“Rechten. Wolfgang, der hochbegabt war für die Finanzen und alles Organisato­rische, kam seinem Künstlerbr­uder in die Quere. War das für Ihren Vater schwierig? WAGNER Sehr schwierig. Wieland hatte das hitlervers­euchte Bayreuth durch sein „Neubayreut­h“erst einmal gerettet, er hatte einen „Stil“dafür gefunden. Nun wurde sein Stil schlecht kopiert durch seinen Bruder – und Wieland konnte nichts dagegen tun. Sie waren eine Firma. Wenn Sie das erzählen, wirken Sie unversöhnl­ich. WAGNER Bin ich das? Das ist alles inzwischen Geschichte. Natürlich lie- Wenn eines Tages jemand fragen würde, ob Sie die Leitung der Bayreuther Festspiele übernehmen könnten, was würden Sie sagen? WAGNER Ich würde Nein sagen. Das glaube ich Ihnen nicht. WAGNER Können Sie aber. Auch Träume kommen irgendwann an ein Ende. Und: Immer nur Wagner zu machen, das ist doch grottenlan­gweilig. WOLFRAM GOERTZ FÜHRTE DAS INTERVIEW.

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FOTO: ANDREAS ENDERMANN Nike Wagner neben einer Beethoven-Büste vor ihrem Bonner Büro.

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