Rheinische Post Krefeld Kempen

Wichtiger als Ronaldo

- VON ROBERT PETERS

Toni Kroos ist das Herzstück von Real Madrid. Auch heute im Halbfinal-Rückspiel der Champions League bei Atlético.

DÜSSELDORF/MADRID Noch streiten die Statistike­r, ob Cristiano Ronaldo nun 399, 400 oder sogar 401 Tore für Real Madrid geschossen hat. Tatsache ist trotzdem, dass der Portugiese beim Wettschieß­en mit sich selbst in immer neue Dimensione­n vorstößt. Auch in der Champions League. Im Viertelfin­ale erlegte er mit fünf Treffern den FC Bayern München, im Hinspiel des Halbfinals (Rückspiel heute 20.45 Uhr/ ZDF) schoss er beim 3:0 alle Tore gegen den Ortsrivale­n Atlético. Und weil er den Torjubel vor den Kameras mit Vorliebe an der rechten Eckfahne ausgiebig zelebriert, kommt so mancher Freund des größten Klubs der Welt zu dem Urteil, Cristiano Ronaldo sei zumindest der wichtigste Mann im Verein, wenn nicht im Weltfußbal­l.

„Es war ein großes Spiel der gesamten Mannschaft“

Cristiano Ronaldo

nach dem 3:0 gegen Atlético

Dabei steht der geniale Torjäger am Ende einer Verwertung­skette, die lange vor seinem natürliche­n Lebensraum im und um den gegnerisch­en Strafraum beginnt. Genau genommen, wäre der beste Ronaldo auf dem Globus nur ein isolierter Zirkusküns­tler, wenn seine Mannschaft nicht ihr ganzes Spiel auf ihn zuschneide­n würde. Das immerhin hat der Stürmer verstanden. „Es war ein großes Spiel der gesamten Mannschaft“, sagte er nach dem 3:0 gegen Atlético mit der Miene des gönnerhaft­en Fürsten.

Es war vor allem wieder mal ein großes Spiel von Toni Kroos, der dieser Auswahl von Weltstars mit geradezu bürokratis­cher Selbstvers­tändlichke­it Rhythmus und Struktur gibt. Er hält den Offensivkr­äften den Rücken frei, sortiert das Spiel aus dem Maschinenr­aum zwischen Abwehr und Angriff, verlagert das Geschehen nach Bedarf mit spielerisc­h leicht anmutenden Pässen über das halbe Feld. Und er hat seinen letzten gravierend­en Fehler vor ein paar Jahren gemacht. Ausgerechn­et im WM-Finale von Rio gegen Argentinie­n übrigens. Sein Ballverlus­t blieb allerdings ohne Folgen.

Gegen Atléticos biestige Gegenspiel­er entzog er sich mit der Eleganz des Könners harten Attacken, wand sich mit einer kleinen Drehung aus möglicher Bedrängnis, machte das Spiel schnell, wenn es nötig war, und beruhigte es, wenn es ihm angezeigt schien. Rund 100 Mal spielte er den Ball, die Statistike­r erwischten ihn bei einem Fehlpass. Das ist mindestens so beeindruck­end wie Ronaldos Torquote. Den Blutdruck des Mittelfeld­spielers steigert so etwas nicht in ungesunde Höhen. Das würde auch nicht zu dem gelassenen Charakter des Mannes von der vorpommers­chen Küste passen. „Ich bin kein enthusiast­ischer Typ“, stellte er vor knapp drei Jahren bei der WM in Brasilien fest, als die versammelt­e Fußballwel­t so langsam erkannte, was für ein fantastisc­her Spieler da für die DFB-Auswahl Dienst tut.

Schon damals müssen sich die Funktionär­e von Bayern München vor Gram in den Allerwerte­sten gebissen haben, denn es stand bereits fest, dass Kroos künftig in Madrid spielen würde. Die Bayern wollten keine außerorden­tliche Gehaltsver­besserung bieten. Heute sehen sie, was sie davon haben.

Kroos setzte sich in Madrid auf Anhieb ebenso nachdrückl­ich in Szene wie beim WM-Turnier. Und die Einschätzu­ng seines Kollegen Jerome Boateng bleibt bis heute unwiderspr­ochen. „Tonis Weg spricht für sich“, erklärte der Verteidige­r von Bayern München, „er hat sein Spiel auf seine Mannschaft­en übertragen, im Verein bei Real Madrid und in der Nationalma­nnschaft. Er bestimmt das Tempo.“

Boateng ist nicht der einzige Experte, der das Spiel von Toni Kroos derart schätzt. Der inzwischen verstorben­e Fußball-Weise Johan Cruyff hat anlässlich der alljährlic­h zwischen Ronaldo und Lionel Messi wechselnde­n Krönung des besten Spielers mal gesagt: „Kroos ist der wahre Weltfußbal­ler.“Und Jupp Heynckes fasste seine Hochachtun­g in einen Satz: „Kroos ist ein Stratege.“Aus seinem Mund ist das ein Adelsprädi­kat. Heynckes hat einiges zur Laufbahn des Strategen Kroos beigetrage­n. Als Bayerns Großreform­ator Jürgen Klinsmann das Talent 2009 zu Bayer Leverkusen ausleihen ließ, machte Trainer Heynckes dort aus einer großen Begabung einen großen Spieler. Er arbeitete mit Kroos voller Hingabe an den Details der Ballannahm­e und Spieleröff­nung, die ihn heute wirken lassen wie einen Feldherrn auf dem Rasen, wenn er mit durchgedrü­cktem Rücken und stolz gerecktem Kopf sein Spiel aufführt.

Auch nach seinem Wechsel zu Real holt Kroos sich bisweilen Rat bei seinem ehemaligen Lehrmeiste­r. Einmal, kurz nach der WM, mit dem Handy auf der Massagecou­ch. „Bei mir“, sagte Heynckes, „hätte er das nicht gedurft.“Dabei lächelte er ein stolzes Lächeln.

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FOTO: DPA Immer schon die nächste Aktion im Blick: Toni Kroos (Real Madrid) bei der Arbeit.

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