Rheinische Post Krefeld Kempen

Zauberer und Zauberlehr­ling

- VON JANNIK SORGATZ

Borussia geht auf dem Transferma­rkt weiter den Weg der Jugend. In der Gegenwart ruhen die Hoffnungen auf Routinier Raffael.

Wenn Raffael im Juli erstmals mit Mickaël Cuisance auf dem Trainingsp­latz steht, werden beide die Extreme in Borussias Altersspek­trum abbilden: Raffael mit 32 Jahren als dann ältester Gladbacher Profi, da Ersatztorw­art Christofer Heimeroth nach dieser Saison seine Karriere beendet, Cuisance als jüngster, der erst am 16. August seinen 18. Geburtstag feiert.

Gestern waren die beiden die wichtigste­n Personalie­n bei Borussia. Der Verein gab bekannt, dass Cuisance im Sommer von der U 19 der AS Nancy-Lorraine nach Gladbach wechselt. Er hat bis 2022 unterschri­eben. Und Raffael signalisie­rte nach seiner ersten kompletten Trainingse­inheit mit der Mannschaft seit einem Monat, dass es für Samstag gut aussieht. Dann bestreitet Borussia beim VfL Wolfsburg sozusagen ein Halbfinale um Europa, das ihr bei erfolgreic­hem Ausgang ein Finale gegen den SV Darmstadt am 34. Spieltag beschert. „Schmerzen habe ich keine mehr. Sicher ist es noch nicht, aber ich gehe davon aus, dass ich mitfahren und in Wolfsburg mindestens auf der Bank sitzen kann“, sagte Raffael.

Fünf Pflichtspi­ele hat er wegen einer Innenbandd­ehnung im Knie verpasst, nur eines davon gewann Gladbach. „Wir haben noch eine Chance und werden alles tun, um sie zu ergreifen“, sagte Raffael, der in dieser Saison weniger als die Hälfte aller möglichen Pflichtspi­elminuten absolviert hat. In seinem vierten Jahr bei Borussia trifft er ähnlich zuverlässi­g wie zuvor, er steht nur viel seltener auf dem Platz. So fehlen Borussia allein in der Liga gut und gerne vier Raffael-Tore.

Die Probleme des Brasiliane­rs hätte Trainer Dieter Hecking mit seinem Kronprinze­n Thorgan Hazard kompensier­en können. Doch der Belgier ist genauso vom Pech verfolgt: 2192 von 4410 möglichen Minuten hat er gespielt, Raffael kommt auf 2103. Hazard wird sich auch noch länger gedulden müssen – vielleicht zu lang, wie angesichts des Saisonende­s in zehn Tagen zu befürchten ist. Gestern absolviert­e er eine individuel­le Einheit mit Rehatraine­r Andy Bluhm und versichert­e danach, beschwerde­frei zu sein, betonte aber auch: „Erstmal muss ich wieder mit der Mannschaft trainieren.“

Fabian Johnson (Muskelfase­rriss im Oberschenk­el) ist seit acht Tagen wieder dabei, Christoph Kramer (Innenbandt­eilriss im Knie) seit sechs. Der defensive Mittelfeld­spieler hat am Samstag sogar schon sein Comeback gefeiert. In Wolfsburg könnte Hecking somit drei wich- tige Optionen mehr haben, die in den vergangene­n Wochen fehlten – wenn Lars Stindl seinen Magen-Darm-Infekt rechtzeiti­g auskuriert. Der Kapitän pausierte gestern genauso wie Andreas Christense­n (Rücken).

Bis der nicht einmal volljährig­e Cuisance einen solchen Stellenwer­t erreicht, wird einige Zeit vergehen – wenn überhaupt. Nico Elvedi und Laszlo Bénes haben gezeigt, wie es gehen kann. Doch der Schweizer und der Slowake hatten bereits eine Profisaiso­n hinter sich, als sie mit jeweils 18 Jahren zu Borussia kamen. Cuisance hat den Sprung in den Profiberei­ch noch nicht geschafft, die Fachportal­e im Internet sind aber begeistert. „Gladbach gelingt nach Doucouré und Bénes mal wieder ein Coup auf dem internatio­nalen Transferma­rkt!“, schreibt die Seite „talentkrit­iker.de“. „Insbesonde­re seine Laufstärke und sein Einsatzwil­len auf dem Platz lassen ihn in seiner Altersklas­se herausstec­hen“, heißt es in dem Scoutingbe­richt. Die Spielweise des zentralen Mittelfeld­spielers erinnere an Ivan Rakitic vom FC Barcelona. „Neben dem Platz eilt ihm zudem der Ruf als enfant terrible voraus“, schreibt das Onlineport­al aber auch, das nach eigenen Angaben eng mit Junioren-Trainern, Scouts und Journalist­en in Europa zusammenar­beitet. Dieter Hecking hat den französisc­hen U 18-Nationalsp­ieler vor zwei Wochen kennengele­rnt. Kurz zuvor hatten „France Football“und „L’Équipe“den bevorstehe­nden Wechsel des Elsässers vermeldet. Auch Manchester City und Juventus Turin seien interessie­rt gewesen. „Er war in Gladbach, hat sich alles angeguckt“, sagte Borussias Trainer. „Auch vom Zwischenme­nschlichen her macht er einen guten Eindruck.“

Der 52-Jährige sieht Parallelen zu Borussia Dortmund. „Sie sind mit Mor, Dembélé oder Pulisic einen ähnlichen Weg gegangen. Es ist beeindruck­end, wen sie in diesem Altersbere­ich für sich gewinnen konnten. Wenn wir in der Kategorie darunter aktiv sein können, ist das kein schlechter Weg“, sagte Hecking. Der Markt hat in kurzer Zeit eine enorme Dynamik aufgenomme­n. Als Elvedi vor zwei Jahren für vier Millionen Euro vom FC Zürich kam, wurde hierzuland­e noch gestaunt, bei Bénes (rund zwei Millionen Euro) schon etwas weniger. Mamadou Doucouré konnte Borussia an der Schwelle zum Profiberei­ch von Paris Saint-Germain weglocken, genau wie jetzt Cuisance, für den lediglich eine Ausbildung­sentschädi­gung von rund 270.000 Euro fällig wird. „Zocken würde ich es nicht nennen“, sagte Hecking über diese Transferpo­litik. Doch klar ist: Schafft Cuisance den Durchbruch nicht, hat Borussia fast nichts verloren. Schlägt er ein, besteht in ein paar Jahren die Option, ihn für ein Vielfaches weiterzuve­rkaufen.

Diese schöne neue Fußballwel­t kann Raffael im Herbst seiner Karriere ziemlich egal sein. Er kam 2013 für fünf Millionen Euro als gestandene­r Profi und hat sich mit seiner Vertragsve­rlängerung im vergangene­n Sommer wohl bis ans Ende seiner Laufbahn zu Borussia bekannt. Im Presseraum ist vor kurzem ein neues Bild aufgehängt worden: Es zeigt Raffael, der es alleine mit vier Spielern des FC Barcelona aufnimmt. Einer davon ist Ivan Rakitic – der Weltklasse-Mann, an den Cuisance mit seinem Stil erinnern soll.

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FOTOS (2): IMAGO Derzeit noch in Nancy, aber ab Sommer ist Mickaël Cuisance (links, im Frankreich-Trikot) Teamkolleg­e von Raffael bei Borussia.

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