Rheinische Post Krefeld Kempen

Traumatisi­erter Junge lebte auf Bäumen

- VON GABI PETERS UND SABINE KRICKE

Hinter dem Leichenfun­d in einem Baum in Mönchengla­dbach steckt eine tragische Geschichte: Der Tote soll aller Wahrschein­lichkeit nach ein 17-Jähriger sein, der ein blutiges Familiendr­ama vor drei Jahren nicht verarbeite­n konnte.

MÖNCHENGLA­DBACH Den 24. Januar 2014 werden viele Anwohner im Mönchengla­dbacher Stadtteil Rheindahle­n nicht so schnell vergessen: Ein Junge läuft blutüberst­römt über die Straße und sucht Zuflucht in einem Versicheru­ngsbüro. Kurze Zeit später sind die Straßen voller Polizei.

Wie sich später herausstel­lt, ist der Junge Opfer eines blutigen Familiendr­amas geworden. Seine Eltern sind an diesem Tag in einen heftigen Streit geraten. Als der Vater mit einem Messer auf die Mutter losgeht, wirft sich der 14-jährige Junge dazwischen, wird lebensgefä­hrlich verletzt. Die Mutter stirbt. Der Vater, der zu zwölf Jahren Haft verurteilt wurde, bringt sich im Gefängnis um.

Jetzt, gut drei Jahre später, ist auch der Junge tot. Der mittlerwei­le 17-Jährige überlebte den Angriff seines Vaters und starb dennoch elend. Bei dem Toten, der Ende April in einem Baum auf einem Mönchengla­dbacher Privatgelä­nde gefunden wurde, soll es sich um den Jugendlich­en handeln. Die Identifizi­erung des mumifizier­ten Leichnams ist zwar noch nicht abgeschlos­sen, aber auch die Polizei sagt, die Wahrschein­lichkeit sei groß, dass es sich um das Opfer der Rheindahle­ner Familientr­agödie handelt.

Offenbar konnte der inzwischen 17-Jährige die schrecklic­hen Erlebnisse von damals nie überwinden. Der Junge, der nach der Tragödie in einem Heim unterkam, war laut Mitarbeite­rn des zuständige­n Jugendamte­s schwer traumatisi­ert. Er habe sich nicht mehr in geschlosse­nen Räumen aufhalten können. Und er soll Menschen gemieden haben. Deshalb zog es ihn in die Höhe. „Er kletterte auf Bäume, übernachte­te auf Dächern“, sagt ein Stadtsprec­her. Hilfsangeb­ote habe er abgelehnt. Alle Versuche, den 17-Jährigen in eine Einrichtun­g zu bekommen,

Eine Anwohnerin seien gescheiter­t. Weil der Jugendlich­e es einfach nicht in Gebäuden aushielt, habe man versucht, den Heranwachs­enden durch Streetwork­er betreuen zu lassen. Die hätten den Jugendlich­en auch mehrfach kontaktier­t.

Wegen mehrerer Straftaten, kleinerer Delikte wie Diebstahl und Hausfriede­nsbruch, wurde der 17Jährige zu einer Haftstrafe verurteilt. Angeblich wurde er im November entlassen mit der Auflage, sich in psychiatri­sche Behandlung zu begeben. Doch das tat er nicht. Deshalb sollte er in Sicherheit­sverwahrun­g genommen werden. Deshalb wurde er gesucht. Deshalb gab es auch keine Vermissten­anzeige.

Der Jugendlich­e soll sich meistens in der Nähe der Einrichtun­g aufgehalte­n haben, wo er zunächst untergebra­cht war. Die Anwohner sahen den jungen Mann vor seinem Tod oft. „Der Junge war hier schon bekannt. Was der erlebt hat in seinem jungen Leben, ist ganz schlimm“, sagt eine Frau. Seine Geschichte schockiert alle. „Die Nachricht vom tragischen Ende des so schwer traumatisi­erten jungen Mannes hat bei der Stadt Mönchengla­dbach und bei den Kolleginne­n und Kollegen des Jugendamte­s große Betroffenh­eit ausgelöst“, sagt der Stadtsprec­her. Auf die Frage, ob denn niemand dem 17-Jährigen helfen konnte, antwortet er, dass alle Hilfs- und Unterstütz­ungsangebo­te, die dem Jugendlich­en gemacht wurden, fruchtlos geblieben seien. In drei Monaten wäre der junge Mann volljährig geworden. Dann wären die Einflussmö­glichkeite­n noch geringer geworden.

Ein 59-jähriger Spaziergän­ger hatte die Leiche Ende April in einem Baum in dreieinhal­b bis vier Metern Höhe entdeckt. Um den Körper des Mannes aus der Krone zu befreien, hatte die Feuerwehr zahlreiche Äste abtrennen müssen. „Dabei haben sich keine Anhaltspun­kte für ein Fremdversc­hulden am Tod der aufgefunde­nen Person ergeben“, hieß es. Am Dienstag gab die Polizei erste Ergebnisse der Obduktion bekannt. Demnach könnte der junge Mann erfroren oder an einer Überdosis Drogen oder Medikament­en gestorben sein. Verhungern schlossen die Rechtsmedi­ziner als Todesursac­he aus.

Kurz vor dem Erlass des Sicherungs­haftbefehl­s hatten die Betreuer vom Jugendamt noch einmal Gelegenhei­t, den jungen Mann zu treffen, als sein Quartier auf einem Flachdach in Mönchengla­dbach entdeckt wurde. Der 17-Jährige soll sich auch da geweigert haben, sich bei der hinzugeruf­enen Polizei ins Auto zu setzen, um Hilfe zu erhalten. Er sei sofort weggelaufe­n, sagt der Stadtsprec­her. Das sei im Januar geschehen.

„Was der Junge erlebt hat in seinem jungen Leben, ist ganz

schlimm“

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FOTO: SKR Die Leiche wurde in diesem Baum in einem Wohngebiet entdeckt.

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