Rheinische Post Krefeld Kempen

Grüner Mühlstein Schulpolit­ik

- VON FRANK VOLLMER

DÜSSELDORF Wenn nur sechs Prozent der Befragten einer bestimmten Partei die höchste bildungspo­litische Kompetenz zusprechen, ist das bitter. Noch bitterer ist es, wenn diese Partei seit sieben Jahren die Schulminis­terin stellt. So ist es in NRW den Grünen geschehen, im Februar, in einer WDR-Umfrage. Zwar waren auch 2012 nur für zehn Prozent die Grünen der bildungspo­litische Favorit. Aber dieser miese Wert hat sich nochmals fast halbiert. Zusammen mit dem Befund, dass nur ein Viertel zufrieden ist mit Ministerin Sylvia Löhrmann, und der Einschätzu­ng der Bürger, Bildung sei (nach Asyl) das zweitwicht­igste Thema, ergibt sich: Die Schulpolit­ik ist kein Aktivposte­n für die rot-grüne Regierung.

Löhrmann selbst verweist immer wieder auf ihre Pluspunkte: Milliarden mehr im Schul-Etat, gut 7000 neue Lehrerstel­len, kleinere Klassen (zumindest an den weiterführ­enden Schulen). Alles richtig – aber sie dringt mit den Zahlen nicht durch. Mehr noch – die Schulpolit­ik hängt vor allem den Grünen wie ein Mühlstein um den Hals. Das ist in vielem verständli­ch, teils auch ungerecht. Eine schulpolit­ische Bilanz. Schulstruk­tur Den größten Erfolg erzielte Rot-Grün schon 2011: den „Schulfried­en“mit der CDU. Der stärkte das gegliedert­e Schulsyste­m und führte die Sekundarsc­hule ein, an der länger gemeinsam gelernt wird. Der Schulfried­en kaufte Zeit, weil bis 2023 nicht über Strukturfr­a- Haushaltsm­ittel Etat des Schulminis­teriums Hauptschül­er Anzahl der Schüler gen geredet werden soll. Mittlerwei­le hat sich jedoch Gesprächsb­edarf angesammel­t: Die Gesamtschu­len

158.837 Förderschu­len Alle Schwerpunk­te nehmen vielerorts den Sekundarsc­hulen Schüler weg, die Hauptschul­e stirbt einen stillen Tod. Die Debatte, wie viele Schulforme­n sich das Land noch leisten möchte, ist neu zu führen, verbunden mit der Frage, wie man mit den Gymnasien umgeht.

Denn deren Eigenart als studienvor­bereitende Schulen hat RotGrün nie richtig verstanden. Die Gymnasien fühlen sich mit Bürokratie und Aufgaben wie Berufsbera­tung überfracht­et, zugleich mit einer immer heterogene­ren Schülersch­aft – die „Kultur des Behaltens“auch schwacher Schüler, die Löhrmann vertritt, halten viele Schulleite­r für naiv und fürchten Niveauverl­uste. Eine Debatte über das Gymnasium ist deshalb überfällig – auch über Aufnahmete­sts wie etwa in Sachsen. G 8 oder G 9? Der Dauerbrenn­er. Alle Parteien unterschät­zten jahrelang den elterliche­n Zorn über die verkorkste Umsetzung der gymnasiale­n Schulzeitv­erkürzung. Die Basisdemok­ratin Löhrmann ließ einen runden Tisch Reformen ausarbeite­n, die aber in der allgemeine­n Ungeduld nie eine echte Chance hatten. Schon als 2015 die Landeselte­rnschaft der Gymnasien die G 8Phalanx verließ, hätte Löhrmann den runden Tisch für gescheiter­t erklären und ein Reformkonz­ept vorstellen können. Im Frühjahr 2016, als die G 9-Initiative­n ein Volksbegeh­ren ankündigte­n, hätte sie es tun müssen – längst klar war da, dass G 8 in seiner jetzigen Form tot war.

Aber sie hielt am runden Tisch fest und wurde kalt erwischt, als im Sommer eine Partei nach der anderen Alternativ­konzepte vorstellte. Im Ergebnis hat Löhrmann nun mit ihrem Konzept der individuel­len Lernzeiten für jedes Kind das schlechtes­te aus beiden Welten: keinen überzeugen­den Plan und einen brüskierte­n runden Tisch, weil der am Ende nur noch Staffage war.

Man mag es ungerecht finden, dass sich die Opposition und selbst die SPD relativ billig aus der Affäre ziehen konnten, indem sie einfach neue Konzepte erfanden, der große Unmut jedoch vor allem die Ministerin und ihre Partei trifft. Aber so ist Politik – unterm Strich bleibt: Löhrmann hat den Sprengsatz G 8 nicht entschärfe­n können. Inklusion Das nächste Reizthema. 40 Prozent der Kinder mit Handicap lernen inzwischen an Regelschul­en. Auf 1,9 Millionen Schüler kommen gut 55.000 mit Förderbeda­rf, davon 2300 an den Gymnasien. Nichts, womit Nordrhein-Westfalens Schulsyste­m nicht zurechtkom­men sollte. Trotzdem ist der Frust massiv, sowohl bei Eltern behinderte­r Kinder, die gute Betreuung im gemeinsame­n Unterricht vermissen, als auch bei Eltern der Regelschül­er, die um Förderung und Leistung ihrer Kinder fürchten.

„Wir müssen nachsteuer­n“, räumte Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft vergangene Woche ein. Bloß: wie? Geradezu verzweifel­t fordern Eltern und Pädagogen durchgängi­ge Doppelbese­tzung in Inklusions­klassen; die aber ist unter den Bedingunge­n der ab 2020 geltenden Schuldenbr­emse zu teuer. Und Sonderpäda­gogen müssen erst in großer Zahl ausgebilde­t werden. Ob ein Moratorium für Förderschu­lSchließun­gen, das die CDU verspricht, die Lösung ist, darf bezweifelt werden: Immer noch gibt es ja Hunderte Förderschu­len im Land, und wie Zwerg-Förderschu­len mit wenigen Anmeldunge­n sinnvoll zu führen sein sollen, bleibt nebulös. Vor der Versuchung, den seit 2014 geltenden Rechtsansp­ruch auf einen Regelschul­platz auszusetze­n, ist die CDU wohlweisli­ch zurückgesc­hreckt. Die Situation ist noch verfahrene­r als bei G 8. Bei der Inklusion, das ist das bittere Fazit, steckt Nordrhein-Westfalen in der Sackgasse. Die Inklusion ist die größte Hypothek der rot-grünen Schulpolit­ik im Land. Unterricht­sausfall Der einzige große Aufreger, der einer sinnvollen Lösung zugeführt worden ist, zumindest was die Zahlenbasi­s angeht. Ab dem kommenden Schuljahr nehmen alle Schulen an der Stichprobe teil – die ermittelte Quote wird also verlässlic­her. Ob sie dann eher bei den vom Ministeriu­m verbreitet­en 1,8 oder den von Eltern nach anderen Methoden geschätzte­n zehn Prozent liegt, wird sich zeigen. Jedenfalls besteht die Chance, die sehr erregte Debatte zu beruhigen.

Dass das alles erst der nächsten Landesregi­erung zugutekomm­en wird, ist eine Ironie der Geschichte. Sie hat aber einen Grund: Auch hier hat die Ministerin zu lange laviert. Drei Jahre lang gab es wegen des Methodenst­reits überhaupt keine Erhebung, und dann hat es nochmals zwei Jahre gedauert bis zu der Entscheidu­ng für ein neues System.

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