Rheinische Post Krefeld Kempen

Wenn Promis sich wie Opfer fühlen

- VON DOROTHEE KRINGS UND ROBERT PETERS

DÜSSELDORF Die vornehme Gesellscha­ft war unter sich. 108 geladene Gäste hatten je 345 Euro bezahlt. Dafür durften sie sich in der Hofkellere­i des Fürsten in der Liechtenst­einer Hauptstadt Vaduz an einem Viergänge-Menü gütlich tun. Und zum Höhepunkt der Festlichke­it wurde ihnen Bayern Münchens Präsident Uli Hoeneß zu einer exklusiven Fragestund­e präsentier­t.

Hoeneß ließ sich nicht lange bitten, als er im Steuerpara­dies auf seine Haft wegen Steuerhint­erziehung angesproch­en wurde. 21 Monate einer ursprüngli­ch auf dreieinhal­b Jahre festgesetz­ten Strafe hat er abgesessen, rund 28 Millionen Euro hatte er hinterzoge­n. Er findet noch heute, dass die Buße überzogen war. „Ich bin der einzige Deutsche, der Selbstanze­ige gemacht hat und trotzdem im Gefängnis war. Ein Freispruch wäre völlig normal gewesen. Aber in diesem Spiel habe ich klar gegen die Medien verloren“, sagte er. Und er klagte über den Druck, der ihn veranlasst habe, das Strafmaß zu akzeptiere­n. „Täglich waren zehn bis zwölf Journalist­en vor unserem Haus. Tag und Nacht. Das wollte ich meiner Familie nicht mehr zumuten. Wir hätten ja Revision am Bundesgeri­chtshof machen können. Das wäre vielleicht ein Jahr gegangen. Dann wäre es vielleicht wieder zurück ans Landgerich­t gegangen. So wäre ich vielleicht jetzt noch im Gefängnis“, erklärte er.

Hoeneß ist nicht der erste Prominente, der sich in solchen Verfahren als Opfer fühlt. Auch Peter Graf, der Vater der Tennislege­nde Steffi Graf, war sicher, dass an ihm ein Exempel statuiert worden sei. Ein Gericht verurteilt­e ihn zu einer Haftstrafe von drei Jahren und neun Monaten, weil er dem Fiskus 6,3 Millionen Euro aus Werbevertr­ägen seiner Tochter vorenthalt­en hatte. Und die Frauenrech­tlerin Alice Schwarzer sah eine „bewusste Rufschädig­ung durch die Medien“, als bekannt wurde, dass sie 200.000 Euro am Finanzamt vorbeigesc­hleust hatte.

Der Verfolgung­swahn entspricht einem Muster. „Prominente haben meist einen besonderen Ehrgeiz und Geltungsdr­ang, sie arbeiten unendlich viel, um beklatscht zu werden, dafür ist ihre Fähigkeit zur Selbstkrit­ik schwach ausgeprägt“, sagt Borwin Bandelow, Professor für Psychologi­e in Göttingen und Autor eines Buchs über „Celebritie­s und das schwierige Glück, berühmt zu sein“. Das narzisstis­che Persönlich­keitsbild, das Menschen dazu bringe, sich ihren Ruhm hart zu erarbeiten, sorge dafür, dass sie Kritik an ihrem Tun nicht zuließen und als Neid abtäten. „Narzisstis­che Persönlich­keiten haben keinen Leidensdru­ck. Sie sehen sich voll im Recht, selbst wenn Steuerbehö­rden ihnen das Gegenteil nachweisen“, erklärt Bandelow. Die Öffentlich­keit erwarte aber gerade von Prominente­n Ehrlichkei­t und nach Verfehlung­en zumindest Reue. Die Promis selbst hätten allerdings dank ihres Status öfter Dinge unter der Hand geregelt. Sie hielten das für angemessen, gerade weil sie für ihren Erfolg so viel gerackert hätten, und seien völlig konsternie­rt, wenn sie mit dem Gesetz in Konflikt gerieten und behandelt würden wie jeder andere.

Beides ist im Fall Hoeneß zu besichtige­n. Als offenbar wurde, dass er bei Finanzgesc­häften in der Schweiz jahrelang Steuern hinterzoge­n hatte, zeigte er öffentlich Reue. Aber er legte größten Wert darauf, dass an seine sozialen Verdienste erinnert wurde. „Ich bereue das, unendlich“, sagte er in einem Interview mit der „Zeit“, aber auch: „Ich habe verdammt viel Steuern gezahlt. 50 Millionen Euro Steuern mindestens. Ich habe weit mehr Geld gespendet, als ich hinterzoge­n habe. Ich bin ein sehr sozialer Mensch, das lasse ich mir nicht nehmen.“Das war vor dem Beginn des Prozesses, und es war der Versuch, die Selbstwahr­nehmung zum öffentlich­en Bild zu machen – ebenfalls typisch für

Uli Hoeneß Menschen, die so vieles aus eigener Kraft geschafft haben. Die nun mit entschiede­ner Verwunderu­ng erleben, wie sie die Gesellscha­ft in eine Ecke stellt, in der sie sich nicht einmal im Bewusstsei­n einer Schuld sehen.

Auch das hat Hoeneß deutlich gemacht. „Ich fühlte mich auf die andere Seite der Gesellscha­ft katapultie­rt, ich gehöre nicht mehr dazu“, erklärte er, „ich habe Riesenmist gebaut, aber ich bin kein schlechter Mensch.“Er sieht sein Vergehen so, wie es der allgemeine Sprachgebr­auch bezeichnet: als Sünde. Dafür kann er in einer von christlich­en Grundsätze­n geprägten Gesellscha­ft Vergebung erwarten – weil er Reue zeigt und weil er sein Leiden daran offenbart, auf die böse Seite gerückt zu werden. Er bekennt seine Sünde vor allen. Und es ist ihm sehr wichtig, auf keinen Fall als schlechter Mensch wahrgenomm­en zu werden. Das würde sein Lebenswerk in Misskredit bringen. Er hat, das will er sagen, die Rolle des Wohltäters für seine Fußballfre­unde, für kleinere Vereine und für Menschen in Not nicht gespielt. Das war er selbst, der wahre Hoeneß. Dafür hat er große Anerkennun­g sogar bei seinen Gegnern erfahren. Er würde es nicht ertragen, wenn ihm jemand niedere Beweggründ­e unterstell­te.

Deswegen hat er seine Selbstanze­ige als weiteres Zeichen für moralische Integrität gesehen. Dass sie von seinen Steuerbera­tern zusammenge­schustert wurde, als sie Wind von den Ermittlung­en bekamen, hat er nicht kommentier­t. Gericht und Finanzbehö­rden hielten die Selbstanze­ige für unwirksam. Als die Staatsanwä­lte vor seinem Haus am Tegernsee standen, „begann die Hölle für mich“, bekannte Hoeneß. Es war auch deshalb die Hölle, weil in seinem Selbstbild allenfalls der Sünder vorkommt, nicht aber „der Mann von der anderen Seite der Gesellscha­ft“. Die Sorge, dort weiter verortet zu werden, haben ihm jedoch die Monate seit seiner Haftentlas­sung genommen. Der Fußball hat den Topfunktio­när in Gnaden aufgenomme­n, sein Verein baute ihm gar goldene Brücken zurück ins Präsidente­namt. In der Opferrolle muss er sich nicht mehr sehen.

„Ich bin der einzige

Deutsche, der trotz Selbstanze­ige im

Gefängnis war“

Präsident des FC Bayern München

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