Rheinische Post Krefeld Kempen

GESELLSCHA­FTSKUNDE

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Den positiven Blick bewahren Eine Gesellscha­ft wird mit Problemen besser fertig, wenn sie sich positive Ziele setzt und Kräfte mobilisier­t. Das gilt auch für die Flüchtling­sfrage, die fast nur noch negativ wahrgenomm­en wird. Warum eigentlich?

Gerade in Wahlkampfz­eiten kann man beobachten, wie Themen sich wandeln, wie sie einen Rahmen bekommen, der unsere Wahrnehmun­g lenkt. Über Flüchtling­e etwa wird fast nur noch im Problemmod­us gesprochen: Wohnungsma­ngel, Bildungssc­hwierigkei­ten, Kriminalit­ät, Abschiebun­g und so fort. Das sind alles wichtige Themen, und die Gesellscha­ft muss sie kennen, um Lösungen zu finden. Doch unbemerkt haben sich die Wahrnehmun­gsmuster verändert, gibt der Problemfal­l vor, wie wir denken.

Natürlich gibt es auch Erfolgsges­chichten. Man erzählt sich noch von Kindern in der Schule, die erstaunlic­h schnell Deutsch lernen, oder von Jugendlich­en, die neues Leben in den Fußballver­ein bringen, oder von Menschen in der Nachbarsch­aft, die ihren Platz finden, von Einheimisc­hen mit viel Energie auf dem Weg in die neue Gesellscha­ft begleitet werden. Doch selbst in die- sen Geschichte­n schwingt die Negativerw­artung mit. Der geglückte Fall ist die positive Ausnahme.

Dabei hat es zu Beginn der großen Flüchtling­sbewegung noch die weit verbreitet­e Einsicht gegeben, dass Zuzug für ein alterndes Land wie die Bundesrepu­blik notwendig ist. Und dass Gesellscha­ften, die sich abschotten, ihre Innovation­skraft und globale Anschlussf­ähigkeit verlieren. Und das war keineswegs nur naive Euphorie der später so gescholten­en Bahnhofs-Willkommen­heißer. Positive Erwartunge­n an die Zuwanderun­g – durchaus eigennützi­g, denn mit ethischen Prinzipien hat das alles gar nichts zu tun – waren auch nicht das Markenzeic­hen einer urbanen Elite, die in gentrifizi­erten Großstadtv­ierteln lebt. Vielmehr gab es ein selbstvers­tändliches Wissen darum, dass uns bald viele Pfleger, Lehrer, Facharbeit­er fehlen werden. Und dass ein Land nur erfolgreic­h bleibt, wenn es kluge Strategien entwickelt, neue Men- schen aufzunehme­n und ihnen Aussichten zu verschaffe­n, für sich zu sorgen. Flüchtling­e, die in den vergangene­n Monaten gekommen sind und schon hier leben, nun massenweis­e abzulehnen und ihnen damit die Möglichkei­ten zur Eigeniniti­ative zu nehmen, hilft niemandem.

Vielleicht musste es einen gewissen Ernüchteru­ngsschub geben. Deutschlan­d muss seine Einwanderu­ngspolitik von der Kontrolle der Grenzen über die Kriterien zum Bleiberech­t bis zur Bildung und Ausbildung überarbeit­en, damit aus Hoffnungen auf beiden Seiten nicht Frust, Aussichtsl­osigkeit, Gewalt werden. Doch diese Debatte sollte nicht in der Haltung der Abwehr und der Negativerw­artungen geführt werden, sondern mit positivem Selbstbewu­sstsein. Dafür gibt es genug Gründe, wir sollten sie wieder sehen lernen. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

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