Rheinische Post Krefeld Kempen

Und plötzlich hat Köln etwas zu verlieren

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N UND STEPHAN SEEGER

Sollte der FC die erste Europacupt­eilnahme seit 1992 verpassen, wäre es eine Delle im Aufwärtstr­end.

DÜSSELDORF/KÖLN Eine Fähigkeit, die sie in Köln seit Jahr und Tag mit Hingabe pflegen, ist die Selbstiron­ie. Über sich selbst lachen zu können, zählt zum kölschen Kulturgut. So wie der Gang zum FC – wo freilich über viele triste Spielzeite­n hinweg die Selbstiron­ie der Fans in Galgenhumo­r abdriftete, abdriften musste. Aber seit ein paar Jahren ist alles besser, und so steht der FC tatsächlic­h erstmals seit 25 Jahren wieder an der Schwelle zum Europapoka­l. Auch auf seiner eigenen Internetse­ite, auf der die Macher schon mal vorsorglic­h einen Menüpunkt „Europa“einfügten.

Doch wer dort klickt, bekommt eine inhaltslee­re Seite angezeigt. „Under Constructi­on“, steht in Großbuchst­aben neben einem Bild von Vereinsmas­kottchen Hennes geschriebe­n. Der Geißbock trägt einen gelben Bauarbeite­rhelm. „Wir arbeiten gerade mit Hochdruck an diesem Vorhaben“, heißt es dort. Stichwort Selbstiron­ie. Doch selbst solch ein Augenzwink­ern taugt die- ser Tage nicht dazu, ein lange nicht mehr gekanntes Gefühl rund um den FC zu übertünche­n: das, an diesem Samstag mal wieder wirklich etwas zu verlieren zu haben. Denn zum Ende einer Saison, in der die Kölner an 31 von 33 Spieltagen auf Rang sieben oder besser dastanden, aus den Europapoka­lrängen rauszufall­en, ginge als unverkennb­are Delle im Aufwärtstr­end der vergangene­n Jahre durch.

„Hätte uns vor einigen Wochen jemand gesagt, dass wir mit einem Sieg mindestens Siebter sind, hätten wir sofort eingeschla­gen“, sagt Abwehrspie­ler Dominique Heintz. Aber aus „hätte“ist nun eben der Ist-Fall geworden: Schlägt der FC am 34. Spieltag die quasi geretteten Mainzer, ist er mindestens Siebter und wäre, gesetzt den Fall, Borussia Dortmund gewinnt das DFB-Pokalfinal­e gegen Eintracht Frankfurt, für die Europa League startberec­htigt. Doch Rang sieben deswegen als halbe Miete für den Europapoka­l zu betrachten, stört Trainer Peter Stöger. Und am 27. Mai, nach einer Woche als gefühlter Europa-League-Teilnehmer, durch eine Frankfurte­r Überraschu­ng aus allen Träumen gerissen zu werden, wäre der emotionale GAU aus Kölner Sicht. Also ist Rang sechs der Wunschtrau­m. Der wäre am Samstag bei einem eigenen Sieg drin, wenn zeitgleich Freiburg nicht in München gewinnt oder die fünftplatz­ierten Berliner gegen Leverkusen verlieren.

Egal, welches Szenario nun eintritt: Es sind letztlich die Früchte des eigenen Erfolges, die eine gewisse Erwartungs­haltung rund um den Verein haben wachsen lassen. Viele möchten die geradlinig positive Entwicklun­g unter dem Duo Stöger und Manager Jörg Schmadtke nun eben in der Rückkehr nach Europa münden sehen. Sie wäre die vorläufige Krönung einer finanziell­en und sportliche­n Konsolidie­rung seit dem vorerst letzten von fünf Wiederaufs­tiegen 2014. Zwölf und neun – so lauten die Platzierun­gen des FC in den vergangene­n zwei ErstligaSp­ielzeiten, da ergibt sich die Bewertung dieser Saison für manchen allein aus mathematis­cher Reihung.

Wie es ist, etwas aus der Hand zu geben, erfuhr der FC dabei im Derby bei Bayer 04 am Wochenende. Hätte der FC nach 2:0-Führung nicht noch 2:2 gespielt, würde er jetzt schon Platz sechs belegen und hätte alles in der eigenen Hand. Es soll als Schuss vor den Bug taugen, als letzter Impuls, das große Ziel nun auch tatsächlic­h zu erreichen. „Wenn wir es wirklich schaffen würden, wäre das für alle Kölner ein Traum. Dann würde der Ausnahmezu­stand herrschen“, sagt Kölns Torhüter Timo Horn. Es ist keine allzu gewagte Prophezeiu­ng. Feiern ist schließlic­h auch ein kölsches Kulturgut.

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FOTO: DPA Macher vor der Krönung? Peter Stöger (r.) und Jörg Schmadtke.

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