Rheinische Post Krefeld Kempen

Niedliches aus Fernost

- VON NATALIE URBIG

Kawaii heißt es, wenn Japaner etwas besonders süß finden. Daraus hat sich auch hierzuland­e eine Niedlichke­itsästheti­k entwickelt.

DÜSSELDORF Sie hat schwarze Augen und eine kleine runde Nase, meist trägt sie ein rotes Schleifche­n und dazu passende Kleidung: Zwar ist der Hype um Hello Kitty wieder abgeflaut, trotzdem wurde das weiße Kätzchen mit dem großen Kopf zu einem weltweiten Phänomen – erst in den 80ern und dann noch einmal in den späten 2000ern. Es gab Hello-Kitty-Kleidung, Taschen und Schmuck – ja sogar Toilettenp­apier. Dass Kitty keinen Mund hat, wurde zu ihrem Markenzeic­hen: Ihre Erfinderin, die Japanerin Yûko Shimizu, begründete es damit, dass die Betrachter ihre Gefühle auf das weiße Kätzchen übertragen können. Eines dürften sie dabei alle gedacht haben: Hello Kitty ist ja so süüüß.

In ihrem Heimatland Japan ist Niedlichke­it beliebt – und wird auch im Westen angenommen. Kawaii heißt der japanische Ausdruck, der übersetzt so viel wie süß oder niedlich bedeutet. Daraus hat sich eine eigene Ästhetik entwickelt, erzählt Andreas Degen, Mitveranst­alter der Anime Convention Dokomi. Unter dem Stichwort Kawaii geben die sozialen Medien einen Eindruck von diesem Stil: Da wären Manga-Figuren mit großen Augen und kindlichem Gesicht, Mädchen im verspielte­n Lolita-Look und niedliche Tiere mit roten Bäckchen. Doch auch Gegenständ­e werden mit einem Gesicht gezeichnet, es gibt lachende Tassen und zwinkernde­s Gemüse. Eltern formen für ihre Kinder Reisbällch­en, die wie Panda- bären aussehen und ordnen ihre Gerichte zu Motiven an – all das ist kawaii. Die niedlichen Figuren haben für Japan eine besondere Bedeutung, sie werden dort massenweis­e genutzt. So haben Firmen, Städte und Regionen meist eine niedliche Figur als Maskottche­n und Werbechara­kter, erzählt Elisabeth Scherer, wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin am Institut für modernes Japan an der Universitä­t in Düsseldorf. Auch auf Hinweissch­ildern seien sie zu finden: „Die Alltagspro­dukte werden dadurch zugänglich­er und freundlich­er“, sagt sie.

Ob Nostalgie, ein Harmoniebe­dürfnis oder ein Ausgleich zum stressigen Alltag – warum das Niedliche in Japan so beliebt ist, darüber ließe sich nur spekuliere­n. Dass es unter deutschen Japanfans derart im Trend liegt, erklärt Andreas Degan so: „Es ist ein Kontrast zu unseren Idealen, die eher ,cool und sexy’ sind.“

„Seinen Ursprung hat das Niedliche in Japans Mädchenkul­tur der 70er Jahre“, sagt Scherer, „die jungen Mädchen begannen zunächst auffällig schön zu schreiben, mit vielen Schnörkeln und Rundungen.“Es folgten entspreche­nde Modeaccess­oires, Kleidung, die an die viktoriani­sche Zeit erinnert. In dieser Phase wurde Hello Kitty erfunden. Rund zwanzig Jahre später begannen sich Animes und Mangas in westlichen Kulturen zu etablieren: Serien wie Sailor Moon, Mila Superstar, Kickers und Yu-Gi-Oh flimmerten nun auch dort über die Fernsehbil­dschirme. Aber auch die gezeichnet­e Heidi oder Wickie stammen aus japanische­r Feder und waren im Alltag der damaligen Jugend verankert. Charakteri­stisch sind ihre großen Augen und kindlichen Gesichter. Auch Filme aus den Ghibli Studios („Mein Nachbar Totoro“, „Chihiros Reise ins Zauberland“) sind beliebt. Nach und nach wuchs eine Fangemeind­e dieser Stilart heran: „Es gibt hier eine lebendige Szene, die die Trends der japanische­n Popkultur aufnimmt“, sagt Scherer. Dazu gehören Cosplayer, die sich zu besonderen Veranstalt­ungen wie ihre Lieblingsf­iguren aus Manga- und Animeserie­n verkleiden.

Selbst fiese Charaktere sehen auf ihre Art und Weise niedlich aus, sagt die Expertin, etwa Pokemons, kleine Monster, die kämpfen und trotzdem nicht bedrohlich wirken. Sie sind neben Hello Kitty ein weiteres Beispiel für niedliche Figuren, die nicht nur unter Kennern, sondern auch in der breiten Masse bekannt sind. Die Akzeptanz dieser süßen Wesen wurde unter anderem auch durch Emojis gesteigert, die sich Ende der 90er Jahre auf japanische­n Mobiltelef­onen verbreitet­en.

So wie es mittlerwei­le auch deutsche Mangazeich­ner gibt, wird auch der niedliche Stil übernommen: Ein Beispiel für eine kulturelle Adaption wäre die Pusheen Cat – jene Katze, die als Sticker bei Facebook verschickt werden kann: Sie hat graues Fell mit schwarzen Streifen, mal fährt sie fröhlich auf einem Fahrrad, mal tippt sie gut gelaunt auf einem Laptop. Erfunden haben sie Andrew Duff und Claire Belton – nicht japanisch, aber kawaii.

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