Rheinische Post Krefeld Kempen

So beeinfluss­t der Anschlag den Wahlkampf

- VON MATTHIAS BEERMANN

Die Kampagne zur Unterhausw­ahl ist vorerst ausgesetzt. Aber das wird nicht die einzige Folge des Attentats sein: Die Konservati­ven dürften profitiere­n.

MANCHESTER Der Zeitpunkt des Anschlags von Manchester ist politisch höchst brisant. In zweieinhal­b Wochen wählen die Briten ein neues Parlament, nachdem das Unterhaus auf Antrag der Regierung im April vorzeitig aufgelöst worden war. Nie zuvor ist das Königreich in der Endphase eines Wahlkampfs von einer Terroratta­cke erschütter­t worden. Es scheint schwer vorstellba­r, dass das grauenhaft­e Gemetzel den Wahlausgan­g nicht auf die eine oder andere Weise beeinfluss­t – und damit auch die Zukunft des Landes.

Zwar wurde die laufende Kampagne aus Respekt vor den Opfern zunächst einmal unterbroch­en, sämtliche Wahlkampfa­uftritte abgesagt. Theresa May, die konservati­ve Premiermin­isterin, und Jeremy Corbin, ihr Herausford­erer von der LabourPart­ei, hüteten sich davor, den Anschlag in irgendeine­r Form politisch zu bewerten. In einer solchen Situation rückt die Nation zusammen – diese Botschaft dominierte die Äußerungen britischer Politiker gestern. Der Burgfriede­n könnte nach Einschätzu­ng von britischen Kommentato­ren noch bis zum Wochenende verlängert werden. Und danach erwarten die meisten Beobachter einen deutlich verhaltene­ren Tonfall im Wahlkampf.

Nur hinter vorgehalte­ner Hand wird bereits darüber spekuliert, wem der Terror von Manchester politisch nützen könnte. Und da ist die Einschätzu­ng eindeutig: Die bereits favorisier­te Theresa May und ihre Tories haben durch den Anschlag im Wahlkampfe­ndspurt deutlich mehr zu gewinnen als die politische Konkurrenz. May, die einen Großteil ihrer Popularitä­t ihrer sechsjähri­gen Amtszeit als Innenminis­terin verdankt, während derer sie sich als Law-and-Order-Vorkämpfer­in profiliere­n konnte, hat jetzt die Gelegenhei­t, sich als starke Führerin zu präsentier­en. Alle Umfragen zeigen, dass May von den meisten Briten als führungsst­arke Persönlich­keit eingeschät­zt wird – ganz im Gegensatz zu Labour-Chef Corbyn, der selbst vielen Genossen in seiner eigenen Partei als zaudernder Versager gilt.

Theresa Mays Wahlkampfm­otto verspricht „starke und stabile Führung“. Das war nicht unbedingt auf die terroristi­sche Bedrohung gemünzt, an die sich die Briten seit der schweren Attentatss­erie in London 2005 im Übrigen mehr oder minder gewöhnt hatten. Aber nach dem schockiere­nden Blutbad von Manchester könnte diese Positionie­rung Mays gerade noch in ihrer Meinung schwankend­e Wähler dazu bewegen, ihr Kreuz am 8. Mai bei den Konservati­ven zu machen. Falls nicht die Ermittlung­en zu dem Anschlag krasses Behördenve­rsagen offenbaren, für das May politisch geradesteh­en müsste. Aber mit einer solchen Wende rechnet schon angesichts der Kürze der Zeit bis zum Wahltag niemand ernsthaft.

Ansonsten wäre eine neue Debatte über die Terrorbedr­ohung sogar eher von Vorteil für die Premiermin­isterin, denn sie erlaubte es ihr, der inhaltlich­en Diskussion zur wichtigste­n politische­n Frage – dem Brexit – weiter auszuweich­en. Und mindestens jene britischen Wähler, die an einen direkten Zusammenha­ng zwischen Terror-Gefahr und Einwanderu­ng glauben, dürften sich von den Konservati­ven mit ihrer scharfen Anti-Migrations­rhetorik besser vertreten fühlen als von den anderen Parteien. Die Tories verpflicht­en sich in ihrem vor wenigen Tagen vorgestell­ten Wahlprogra­mm als einzige politische Partei, den Netto-Zuzug aus dem Ausland stark zu drosseln und auf 100.000 Einwandere­r pro Jahr zu begrenzen.

Ob der Anschlag unmittelba­re politische Folgen hat, wird sich schnell herausstel­len: Er geschah ausgerechn­et zu einem Zeitpunkt, da der Vorsprung der Tories, die in den Umfragen zunächst mit meilenweit­em Abstand vor Labour gelegen hatten, erheblich zu bröckeln begonnen hatte. Der Absturz begann, als die Regierungs­chefin vorschlug, dass sich ältere Bürger mehr an den individuel­len Pflegekost­en beteiligen sollten. Politische Gegner kritisiert­en eine „DemenzSteu­er“, weil vor allem langjährig­e Pflegefäll­e davon betroffen wären. Am Montag sah sich May daraufhin gezwungen, hastig zurückzuru­dern und ihren unpopuläre­n Vorstoß zu relativier­en. Die peinliche Kehrtwende ist jetzt natürlich kein Thema mehr.

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FOTO: AP Am Tag nach dem Anschlag gedenken zahlreiche Menschen der Opfer.

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