Rheinische Post Krefeld Kempen

„Der Zustrom der Flüchtling­e lässt nach“

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Der Kanzleramt­sminister über seine Rolle im Wahlkampf, seinen Job als Flüchtling­skoordinat­or und die Sicherheit in der EU.

BERLIN Wir treffen Peter Altmaier in seinem Büro im Kanzleramt. Sein Schreibtis­ch sieht eigentlich nicht so aus, als neige sich die Wahlperiod­e dem Ende zu. Altmaier, der als Kanzleramt­sminister drei Jahre lang Koordinato­r der großen Koalition war, ist nun im Wahlkampfm­odus. In der SPD erzählt man sich, Ihr Schreibtis­ch hier im Kanzleramt sei ein Bermuda-Dreieck. Ist das zutreffend? PETER ALTMAIER Ganz im Gegenteil: Die Koalition hat in den vergangene­n drei Jahren sehr erfolgreic­h gearbeitet und fast alle wichtigen Koalitions­vorhaben umgesetzt. Das Kanzleramt war dabei immer Teil der Lösung, nie Teil des Problems. Ich habe gerade auch mit SPD-Ministern immer gut zusammenge­arbeitet. Wenn sich jetzt jemand anonym beklagt, hängt es vielleicht damit zusammen, dass ihm das Wasser bis zum Halse steht, weil der Wahlkampf der SPD nicht in Schwung kommt und die Umfragewer­te der SPD ständig fallen. Sie haben auch einen Schreibtis­ch in der CDU-Parteizent­rale, um das Wahlprogra­mm zu schreiben. Wie viel Zeit verbringen Sie dort? ALTMAIER Ein Minister hat keinen Acht-Stunden-Tag. Ich verbringe nach wie vor den deutlich größten Teil meiner Zeit als Kanzleramt­sminister, häufig auch am Wochenende. Ich beschäftig­e mich auch mit dem Wahlprogra­mm der CDU, wie dies zum Beispiel die SPD-Ministerin­nen Andrea Nahles und Manuela Schwesig für ihre Partei auch tun. Das geht aber nicht zulasten meiner Arbeit in der Regierung. Geben Sie dem Schulz-Effekt die Chance auf einen zweiten Frühling? ALTMAIER Das Problem der SPD besteht darin, dass sie seit Jahren eine klare Positionie­rung vermeidet. Die CDU hat sehr früh klargemach­t, dass für uns keine Zusammenar­beit mit der Linksparte­i und schon gar nicht eine Zusammenar­beit mit der AfD in Betracht kommt. Die SPD hat ihr Verhältnis zur Linksparte­i leider nicht geklärt. In der Programmat­ik fällt sie nun weit hinter das zurück, was Sigmar Gabriel, Peer Steinbrück, Franz Münteferin­g oder auch Gerhard Schröder in den letzten 15 Jahren mit der und für die SPD erarbeitet haben. Ich finde es bedauerlic­h, dass die SPD nicht einmal den Mut hat, zu dem zu stehen, was sie in acht Jahren großer Koalitione­n gemeinsam mit uns erfolgreic­h beschlosse­n hat. Haben Sie den Entwurf zum SPDWahlpro­gramm schon gelesen? ALTMAIER Das, was ich bisher gelesen habe, hat nicht nur mich verwundert und enttäuscht, sondern auch viele wohlmeinen­de Beobachter. Vage Formulieru­ngen, teure Ankündigun­gen und keinerlei Konzept, wie Wohlstand und Arbeitsplä­tze auch künftig zu sichern sind. Innere Sicherheit steht bei der SPD auf einem hinteren Platz, und Steuersenk­ungen kommen bislang überhaupt nicht vor. CDU und CSU werden stattdesse­n ein Programm vorlegen, in dem die Mitte unserer Gesellscha­ft, insbesonde­re Familien mit Kindern und hart arbeitende Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er, entlastet werden. In den USA und in Frankreich tauchten kurz vor der Wahl teils gestohlene, teils gefälschte E-Mails auf. Rechnen Sie damit auch im September in Deutschlan­d? ALTMAIER In Frankreich haben wir gesehen, dass diese Mails keinen Einfluss mehr auf den Wahlkampf hatten, obwohl sie wahrschein­lich in manipulati­ver Absicht eingesetzt wurden. Wir haben in den letzten Monaten unsere Fähigkeite­n, solche Angriffe zu entdecken, abzuwehren und uns davor zu schützen, wesentlich verbessert. Sie sind ja auch Flüchtling­skoordinat­or der Bundesregi­erung – sehen Sie neue Arbeit durch einen neuen erhöhten Zustrom über die Flüchtling­srouten auf sich zukommen? ALTMAIER Nein. Im Gegenteil. Die Zahl der Anlandunge­n aus der Türkei nach Griechenla­nd ist seit mehr als einem Jahr drastisch gesunken. Und im Moment sieht es auch auf der Libyen/Italien-Route eher danach aus, dass sich die Dynamik des Zustroms nicht verstärkt, sondern eher nachlässt. Im ersten Quartal kamen dort noch mehr Menschen an als vor einem Jahr. Im Monat Mai liegen die Zahlen bisher deutlich niedriger, obwohl die Wetterbedi­ngungen gut wa- ren. Unser Einsatz zur Verbesseru­ng der Situation in Libyen, Mali und Niger scheint erste Früchte zu tragen. Das ist aber keine Aufgabe für Tage oder Wochen, sondern für Monate und Jahre. Unser Ziel bleibt, dass keine Menschen mehr im Mittelmeer ertrinken, und das erreichen wir am besten, wenn erst gar keiner mehr losfährt. Ist Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen bei der Aufklärung des Falls Franco A. übers Ziel hinausgesc­hossen? ALTMAIER Ich bin überzeugt, dass Ursula von der Leyen für das Ansehen der Bundeswehr im In- und Ausland viel erreicht hat. Mit ihr bin ich der Meinung, dass man mit Vorfällen wie Franco A. sorgfältig umgehen muss. Völkische oder rassistisc­he Auffassung­en Einzelner können wir nicht tolerieren. Es ist aber ein ganz normaler demokratis­cher Prozess, dass es bei Debatten über den Umgang mit Traditione­n unterschie­dliche Meinungen auch in der Truppe geben kann. Jeder Verteidigu­ngsministe­r hat alles getan, die Bundeswehr vor falschen Verdächtig­ungen zu schützen. Volker Rühe hat Kritik erfahren, als er Kasernen umbenannte, Peter Struck musste sich ähnlichen Diskussion­en stellen. Das ist nichts Neues. Warum taucht dieses Problem mit rechten Tendenzen in der Bundeswehr immer wieder auf? ALTMAIER Für die überwältig­ende Mehrheit unserer Soldaten würde ich meine Hand jederzeit ins Feuer legen. Die Bundeswehr hat bei ihren Auslandsei­nsätzen, aber auch bei der Flüchtling­skrise Großartige­s geleistet. Wenn sich aber Leute angezogen fühlen, die Straftaten begehen oder die Bundeswehr insgesamt diskrediti­eren, muss man dagegen vorgehen. Sollte die Bundeswehr nicht nur für Incirlik, sondern auch für die NatoMissio­n in Konya Alternativ­en prüfen, falls Abgeordnet­e deutsche Soldaten nicht besuchen dürfen? ALTMAIER Wo immer deutsche Soldaten im Auslandsei­nsatz sind, müssen Besuche von Abgeordnet­en des Deutschen Bundestage­s möglich sein. Das gilt für Incirlik und Konya gleicherma­ßen. Während wir bei Incirlik frei über eine mögliche Verlagerun­g in andere Länder entscheide­n können, handelt es sich bei Konya um eine Nato-Operation, wo wir mögliche Verlegunge­n zunächst mit unseren Nato-Partnern besprechen müssen. Muss auch nach dem Brexit sichergest­ellt sein, dass die Sicherheit­szusammena­rbeit zwischen der EU und Großbritan­nien weiterläuf­t? ALTMAIER Der internatio­nale Terrorismu­s unterschei­det nicht nach EU-Staaten und Nicht-EU-Staaten. Deshalb muss die Zusammenar­beit zwischen allen Ländern, die vom Terrorismu­s betroffen sind, dringend verbessert und ausgebaut werden, auch wenn sie keine EU-Mitglieder sind, wie zum Beispiel die Schweiz, Norwegen oder demnächst auch Großbritan­nien. GREGOR MAYNTZ UND EVA QUADBECK FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

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FOTO: DPA

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