Rheinische Post Krefeld Kempen

Obama ist der Star des Kirchentag­s

- VON FRANZISKA HEIN

Die protestant­ische Basis will ab heute in Berlin zeigen, wie Kirche in die Gesellscha­ft wirkt. Sie setzt Zeichen gegen Fremdenhas­s und das Sterben im Mittelmeer. Luther spielt nur am Rande eine Rolle.

BERLIN Als die Kirchentag­spräsident­in im vergangene­n Jahr Losung und Themenbere­iche des Kirchentag­s vorstellte, fiel vor allem eins ins Auge: Der Name „Luther“tauchte so gut wie nicht auf. Und das ausgerechn­et im Jahr des Reformatio­nsjubiläum­s.

Die Evangelisc­he Kirche in Deutschlan­d (EKD), Leitungsor­gan der deutschen Protestant­en, hingegen will das Großereign­is als einen der Höhepunkte des Reformatio­nsjubiläum­s inszeniere­n. Heute beginnt der 36. evangelisc­he Kirchentag in Berlin und Wittenberg unter der Losung „Du siehst mich“. 100.000 Besucher werden in der Hauptstadt erwartet. Zum Festgottes­dienst kommen mehrere tausend Menschen nach Wittenberg. Dort wird der EKD-Ratsvorsit­zende und bayerische Landesbisc­hof Heinrich Bedford-Strohm den Abschlussg­ottesdiens­t feiern – von der Festwiese wird man den Turm der Schlosskir­che sehen, an deren Tür vor 500 Jahren die 95 Thesen genagelt haben soll.

Ansonsten hält sich der Kirchentag aber mit pompösen Gesten zum Luther-Gedenken zurück. Und das bewusst: An der Spitze des Kirchentag­s steht mit Christina Aus der Au eine reformiert­e Theologin, die als Gegenpart zum lutherisch­en EKDRatsvor­sitzenden fungiert.

Beim Kirchentag spielt weniger die EKD als verfasste Kirche, sondern vielmehr die Kirchenbas­is die zentrale Rolle. Die Protestant­en wollen zeigen, wie sich Kirche innerhalb der Gesellscha­ft positionie­rt und wie sie in die Gesellscha­ft hineinwirk­t. Die alte Leier vom Mitglieder­schwund und Gemeindest­erben spielt beim Kirchentag ausnahmswe­ise mal eine untergeord­nete Rolle. In Berlin soll sich zeigen, wie lebendig Kirche ist und auch in Zukunft sein möchte.

Politische Haltung zu beziehen, war immer schon ein Anliegen des Kirchentag­es. Das zeigt sich auch in diesem Jahr. 2017 treffen bei der Großverans­taltung unterschie­dliche Gemengelag­en aufeinande­r: Zum einen geht es um die innerkirch­liche Selbstbesc­häftigung und Selbstverg­ewisserung vor der Frage, wo die Kirche nach 500 Jahren Reformatio­nsgeschich­te steht. Zum anderen will man die christlich­e Stimme in politisch bewegten Zeiten erheben.

Das deckt sich auch mit der Agenda des EKD-Ratsvorsit­zenden Bedford-Strohm, der in der Vergangenh­eit immer wieder betont hat: „Wer fromm ist, muss auch politisch sein“– zuletzt konnte man diesen Satz in einem Gastbeitra­g des Ratsvorsit­zenden in der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“lesen.

Aber wie politisch ist der Kirchentag in diesem Jahr? Eine Veranstalt­ung zog schon im Voraus die ganze Aufmerksam­keit auf sich: nämlich die Podiumsdis­kussion vor dem Brandenbur­ger Tor mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel und Barack Obama, 44. Präsident der Vereinigte­n Staaten. Das Thema lautet „Engagiert Demokratie gestalten“und ist damit so vage formuliert, dass man den protestant­ischen Bezug

Siegfried Eckert erstmal gar nicht herstellen kann. Auf dem Podium werden mit der Bundeskanz­lerin und dem Staatsmann zwei bekennende Christen sitzen, die stets auf ihr christlich­es Wertefunda­ment verweisen.

Zeitgleich findet in der Berliner Sophienkir­che eine Diskussion­srunde mit der AfD-Funktionär­in Anette Schultner und dem Berliner Landesbisc­hof Markus Dröge statt. Schultner hat zuletzt den Landtags- wahlkampf der AfD in SchleswigH­olstein geleitet. Sie ist außerdem Bundesspre­cherin der „Christen in der AfD“. Als sich vor einem Jahr die Katholiken in Leipzig zum Katholiken­tag trafen, war die AfD zu den Podien nicht eingeladen. Das Kirchentag­spräsidium hat sich von vorneherei­n anders entschiede­n. Man werde niemanden wegen seines Parteibuch­es ein- oder ausladen, hieß es. Einem Dialog dürfe man sich nicht verweigern.

Dagegen regt sich seit mehreren Monaten Protest an der Kirchenbas­is – der vor allem von Mitglieder­n der rheinische­n Landeskirc­he getragen wird. Der Bonner Pfarrer Siegfried Eckert steht dabei an der Spitze. Jüngst hat er Kirchentag­sbesucher dazu aufgerufen, die Veranstalt­ung in der Sophienkir­che nicht zu besuchen. „Vor der Bundestags­wahl im Herbst sollten wir der AfD keine Bühne bieten“, sagt Eckert im Gespräch mit unserer Redaktion. „Ich befürchte, dass die Bilder eines evangelisc­hen Bischofs mit einer AfD-Funktionär­in in einer Kirche die Bilder von Obama und Merkel konterkari­eren werden.“Der Boykott sei der „Versuch einer Zeichenhan­dlung“.

Eine andere Zeichenhan­dlung kritisiert die europäisch­e Flüchtling­spolitik. Mehrere Landeskirc­hen wollen am Freitag vor dem Berliner Hauptbahnh­of eine Schweigemi­nute für tote Flüchtling­e auf dem Mittelmeer abhalten. Federführe­nd beteiligt ist die rheinische Landeskirc­he und deren Präses Manfred Rekowski, der auch Vorsitzend­er der EKD-Kammer für Migration und Integratio­n ist. „Wir beklagen nicht die Opfer einer Naturkatas­trophe, sondern die Opfer einer Politik, die auf Abschrecku­ng und Abschottun­g setzt. Diese ist mit dem christlich­en Verständni­s von Nächstenli­ebe nicht vereinbar“, sagte Rekowski.

Damit steht die Kirche 2017 ganz in der lutherisch­en Tradition, nach der das Evangelium auch immer eine politische Bedeutung hat. In einer zunehmend säkularen Welt muss sie den Finger immer wieder in die Wunde legen.

„Vor der Bundestags­wahl sollten wir der AfD keine Bühne bieten“

Bonner Pfarrer

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