Rheinische Post Krefeld Kempen

VOR 784 JAHREN Eine Straße und ihre Geschichte

- VON HANS KAISER FOTO: KREISARCHI­V

Die Besiedlung des Kempener Stadtgebie­tes geht von einem erzbischöf­lichen Hof aus, der bereits um 1000 nach Christus im Dreieck Oelstraße/Hessenwall/Ellenstraß­e lag. Um 1150 ist das Gebiet zwischen Ellenstraß­e, Studentena­cker, Umstraße und Peterstraß­e mit Häusern besetzt. Eine Vergrößeru­ng nach Norden tritt ein, als um 1200 am nördlichen Siedlungsr­and eine eigene Kirche gebaut wird: die Vorgängeri­n der heutigen Propsteiki­rche.

KEMPEN Durch den Bau der Kirche wird das Dorf zum regelmäßig­en Treffpunkt der umliegende­n Landbewohn­er. Das wiederum führt zur Ansiedlung von Handwerker­n und Gewerbetre­ibenden, der Keimzelle des späteren Marktes. Aber jetzt wird die Dorfweide knapp, und die umwohnende­n Bauern lassen keinen Dorfbewohn­er auf ihre Wiesen. Da erbarmt sich Kempens Landesherr; der Kölner Erzbischof Heinrich von Molenark, „seiner“Kempener. Am 23. Mai 1233 erlaubt er ihnen die Viehtrift auf der Straße, die nach Norden aus dem Ort hinausführ­t, zu seinen Weiden beim heutigen Maashof in Schmalbroi­ch-Wall.

Mit dem Viehauftri­eb zu den saftigen Bruchwiese­n im Norden der Stadt war Kempens Fleischver­sorgung gerettet – und zum ersten Mal erfahren wir von dem Weg, der später den Namen „Viehstraße“trug und heute noch „Kuhstraße“heißt. Die Urkunde, die Erzbischof Heinrich von Molenark vor 784 Jahren aus Mitleid mit den Bewohnern sei- nes Dörfchens Kempene ausstellte, ist die älteste im Kempener Stadtarchi­v und im Kreisarchi­v überhaupt. In drei Jahren, wenn das Kreisarchi­v die Burg verlässt, wird das wichtige Dokument in den Archivneub­au nach Dülken wandern.

Was bleibt, ist die Erinnerung an die uralte Geschichte einer der vier Hauptstraß­en Kempens. Die wird am schönsten verkörpert im Wahrzeiche­n der Straße, dem Kuhtor, um 1370 erbaut. Von den vier Kempener Stadttoren ist es das letzte, das noch steht. Ursprüngli­ch hieß es St. Nikolaus-Tor. Denn hier ging’s hinaus zur St. Niklas-Kapelle, die an der Schloot stand. Dort befand sich der Schlagbaum in der Kempener Landwehr, der aus Erdwällen und Gräben bestehende­n Grenzbefes­tigung, gegen Geldern.

Kuhstraßen-Häuser haben Geschichte gemacht. Vor allem das Haus Nr. 15. Es hieß noch Hotel Duckweiler, als am 8. November 1882 in seinem großen Saal unter dem Freiherrn Felix von Loë (sein Denkmal steht auf der Burgwiese) der Rheinische Bauernvere­in gegründet wurde. Es hieß schon Kempener Hof, als in ihm in der letzten freien Stadtratss­itzung am 20. April 1933 Adolf Hitler und Paul von Hindenburg zu Ehrenbürge­rn Kempens ernannt wurden. Etwas abgesetzt vom Hotel Johann Duckweiler­s lag dessen Schuppen (heute: tetra bau). Der wurde zum Gründungso­rt der VTK, der Vereinigte­n Turnerscha­ft Kempen. Als der französisc­he Kaiser Napoleon III. die Annexion des linken Niederrhei­n ins Visier nahm, trafen sich hier am 15. August 1859 16 aufgebrach­te Kempener zu einer ersten Körperertü­chtigung, aber auch – das war ihnen genauso wichtig – zum politische­n Austausch. Turnen galt damals als Ausdruck wehrhafter Vaterlands­liebe. Patrioten also, die Körper und Geist stählen wollten zur “Wacht am Rhein“. Daraus wurde Kempens größter Turnverein.

Unbestritt­enes Glanzstück der Kuhstraße ist Haus Horten, Stammsitz der späteren Warenhaus-Dynastie. Das heutige Sparkassen­gebäude wurde 1773 von dem Kaufmann Heinrich Horten und seiner Ehefrau Margaretha Bücker errichtet; ihre Initialen zieren noch das Schmiedeei­sen des Oberlichts über den Türstürzen. Unter dem geräumigen Mansardend­ach (heute noch mit Kran auf der Hofseite) wurden Handelswar­en gelagert – meist Lebensmitt­elprodukte – die bis nach Köln und in die Niederland­e verkauft wurden. Nach Heinrich Hortens Tod 1779 erweiterte sein Sohn Josef Johannes das Geschäft zum Großhandel, vor allem durch Eisenprodu­kte aus dem Bergischen Land. 1784 fügte er drei weitere Fensterach­sen an das Haus seiner Eltern.

Dem Horten-Patrizierh­aus gegenüber lag an der Kuhstraße 7, wo heute die Wambrechie­sstraße mündet, Haus Pielen, ein Fachwerkba­u aus dem 17. Jahrhunder­t und Teil des Bauernhofs der Familie Pielen. Es verfiel und schien dem Untergang geweiht. Aber 1979 versetzte der Bauunterne­hmer Hans Heckmann die zerlegte Holzkonstr­uktion des Hauses mit einzeln nummeriert­en Balken an die Neustraße – auf ein Grundstück, das er von der Stadt aus der Maria-Basels-Altenheims­tiftung erworben hatte. Auflage zum Kauf war die Neuerricht­ung von Haus Pielen. Hier wurde 1980 das Restaurant eröffnet, das dem alten Haus seinen neuen Namen gab: „Et Kemp’sche Huus“. – Es muss nicht immer Abbruch sein. In der nächsten Folge: Das Hospital zumHeilige­nGeist–einederält­esten Hospitalss­tiftungen Deutschlan­ds.

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