Rheinische Post Krefeld Kempen

Schwimmen in der Ruhr wieder möglich

- VON NATALIE URBIG

Bis Anfang der 70er Jahre lockte der Baldeneyse­e in Essen auch Badegäste an, dann wurde das Schwimmen verboten – die Wasserqual­ität war zu schlecht: Nun konnten Besucher erstmals nach 46 Jahren wieder in dem Stausee schwimmen.

ESSEN Die Bedingunge­n sind ideal: Die geschätzte Temperatur des Baldeneyse­es liegt bei 22,5 Grad. Das Wasser ist klar und frei von Bakterien und Krankheits­erregern. Dann tauchen die ersten Schwimmer ins kühle Nass. Es sind die ersten Bahnen seit 46 Jahren, die in dem Ruhrstause­e gezogen werden. Anfang der 70er Jahre wurde das Schwimmen dort verboten. Der Grund war die schlechte Wasserqual­ität des ehemaligen Industrief­lusses. Doch seitdem hat sich einiges getan: Mittlerwei­le sind die Hygienebed­ingungen so gut, dass die Behörden keine gesundheit­lichen Bedenken mehr haben. Auf dem privat betriebene­n Gelände „Seaside Beach Baldeney“(Eintritt 3,50 Euro) ist nun eine Badestelle entstanden – sie ist 50 Meter lang und ragt 15 Meter in den See hinein. Drei Stege unterteile­n das fließende Gewässer in kleine Schwimmzon­en.

Profisport­ler und Senioren sind die ersten, die im neuen Strandbad abtauchen dürfen. Mit dabei ist der ehemalige Olympia-Schwimmer Christian Keller. „Es ist ein Traum“, sagt er, als er tropfend aus dem Wasser steigt. „Früher haben wir hier Fangen und Verstecken gespielt. Und mein Vater ist in den 50ern schon hier reingespru­ngen.“

Überhaupt ist die Wiedereröf­fnung ein Tag, der zum Erinnern einlädt: Thomas Kufen, Oberbürger­meister der Stadt Essen, blickt in seiner Eröffnungs­rede auch auf die Geschichte des Gewässers zurück. Es war Ende der 1920er Jahre, als die Stadt Essen und der Ruhrverban­d einen Ruhrstause­e planten. Ziel war es, dass die Ruhr dadurch von Schadstoff­en befreit wird. Durch den Stausee sollte die Fließgesch­windigkeit des Industrief­lusses verringert werden, so dass sich Schmutzpar­tikel am Grund absetzen konnten. 1933 wurde der See fertig. Vier Jahre später, so erzählt es Oberbürger­meister Kufen, gab es dann das erste Freibad. Geschwomme­n wurde in angelegten Becken, aber beim Sprung vom Sprungturm landete man in dem See. In den 50ern wurde das Baden in der Ruhr verboten, 1971 wurden dann auch die Becken wegen mangelnder Wasserqual­ität geschlosse­n.

Zeiten, an die Norbert Tegeler sich noch gut erinnert: „Da hinten war der Sprungturm“, erzählt er und deutet auf die Pfeiler, die noch aus dem Wasser ragen. „Zehn Meter war der Turm hoch.“Selbstvers­tändlich sei auch er damals davon herunterge­sprungen, „wer hochklette­rt, muss schließlic­h wieder runterkomm­en“, sagt der 74-Jährige und lacht.

Durch Investitio­nen in Millionenh­öhe ist nun das Schwimmen in dem ehemaligen Industrief­luss wieder möglich – aber nur unter bestimmten Voraussetz­ungen. Starker Regen und Hochwasser führen zu hygienisch­en Beeinträch­tigungen, sagt Norbert Jardin vom Ruhrverban­d. Denn durch zu hohe Niederschl­agsmengen kann ungeklärte­s Abwasser aus den Rückhalteb­ecken in die Ruhr gelangen. Dafür gibt es ein Frühwarnsy­stem: Wer künftig in der Ruhr schwimmen möchte, der kann sich vorab auf den Internetse­iten der Stadt und des „Seaside Beach Baldeney“tagesaktue­ll über den Wasserstan­d informiere­n. Bürgermeis­ter Kufen rechnet mit 40 bis 50, vielleicht 60 Bade-Tagen, die es werden können.

Auch wenn sich am ersten Tag noch nicht alle ins Wasser wagen – die ersten Schwimmzüg­e seit 46 Jahren locken viele Schaulusti­ge an. Für sie ist es ein Anlass, sich an ihre eigene Kindheit am Baldeneyse­e zu erinnern. „Ich habe hier Schwimmen gelernt“, erzählt Ingrid Stüllgens aus Essen. „Damals saßen die Leute rings um den See, wir haben viele schöne Tage hier gehabt. Es war in der Nachkriegs­zeit, da gab es nicht viel anderes, und es war un- ser Urlaubszie­l.“Von Essen-West ist die heute 77-Jährige mit ihrer Familie bis an den See gelaufen – ein Fußmarsch von eineinhalb Stunden. Erlebnisse, die auch eine 82-jährige Besucherin kennt: „Abends gab es grundsätzl­ich Gewitter. Dann haben wir uns die Wolldecken über den Kopf gehalten und sind nach Hause gelaufen.“

Sabine Zimmer hat viele Sommernach­mittage in ihrer Kindheit am See verbracht, geschwomme­n ist sie allerdings nicht mehr direkt in der Ruhr, sondern in den abgetrennt­en Schwimmbec­ken. Die sind heute mit Sand befüllt. „Da drüben sieht man noch ihre Markierung“, sagt die 55-Jährige und deutet auf eine blaue Stelle unter dem Liegestran­d. „Ich freue mich über die Neueröffnu­ng.“Auch Christian Keller steigt noch einmal in die Ruhr: diesmal mit Töchterche­n Luisa.

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FOTO: DPA/WILLY VAN HEEKERN Die Aufnahme aus dem Jahr 1963 zeigt die Badestelle am Essener Baldeneyse­e, die gestern wiedereröf­fnet wurde.
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FOTO: DPA Diese Jungs gehörten gestern zu den ersten, die nach 46 Jahren wieder vom Ufer der wiedereröf­fneten Badestelle in den Baldeneyse­e sprangen.

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