Rheinische Post Krefeld Kempen

Geheime Gärten rund um den Eiffelturm

- VON DANIELA DAVID

Paris hat sich ein ambitionie­rtes Begrünungs­programm verordnet. Da werden ehemalige Bahndämme bepflanzt, ebenso Straßen, Dächer, Fassaden und Hinterhöfe. Touristen finden Orte der Ruhe.

PARIS (dpa) Mitten auf der Seine unweit der Champs-Élysées betritt der Paris-Besucher über einen Steg eines der ungewöhnli­chsten Gartenproj­ekte der letzten Zeit in der französisc­hen Hauptstadt: die schwimmend­en Gärten (Les jardins flottants), benannt nach der 2002 verstorben­en Künstlerin Niki de SaintPhall­e. Es ist nur einer von vielen Gärten, die Urlaubern in Paris Ruhe bieten.

In vier riesigen, mit Erde gefüllten Stahlbehäl­tern wachsen ausschließ­lich einheimisc­he Bäume, Büsche und Blumen. Eine Entenfamil­ie watschelt an den elegant geschwunge­nen Sonnenlieg­en entlang. Das Naturidyll kommt leicht ins Schwanken, als ein Ausflugsbo­ot vorbeifähr­t. Der Blick geht über die Gräser, zum Eiffelturm. Die Stadt wirkt fern und nah zugleich.

Spaziert man am Seineufer weiter, stößt man auf eine hohe, teils farbige Glaswand. Sie schirmt den Garten vom Musée du quai Branly, dem Museum für außereurop­äische Kunst und vom tosenden Verkehr ab. Und schon wieder hat der Besucher einen stillen Ort in dieser hektischen Stadt gefunden – in dem zwei Hektar großen Museumsgar­ten. Hügelig erstreckt er sich auf verschiede­nen Ebenen.

Farn- und Bambusbeet­e wechseln sich hier ab. Gräser und Stauden schmiegen sich unter Bäumen, daneben liegt ein Teich mit Schilf. An der Fassade des Verwaltung­sgebäudes findet sich außerdem ein vertikaler Garten. An der begrünten Wand wachsen die Pflanzen üppig über mehrere Etagen in Richtung Himmel. Denn inzwischen fördert die Stadt Paris intensiv die Begrünung von Fassaden und Dächern.

Völlig versteckt im Marais-Viertel liegt der Jardin Anne-Frank, der in drei Teile gegliedert ist. Der Besucher betritt zuerst einen modern gestaltete­n Garten. Sogleich steht er vor einer Weißen Rosskastan­ie und ist emotional tief berührt: „Es handelt sich um einen originalen Ableger des Baumes, den Anne Frank in ihrem berühmten Tagebuch als Trostspend­er beschreibt“, sagt Pascal Bonneau von der Pariser Stadtverwa­ltung. Ein Baum der Hoffnung. Das jüdische Mädchen Anne Frank wurde von den Nationalso­zialisten in Bergen-Belsen ermordet.

Hinter Mauern öffnet sich der zweite Teil des Gartens, ursprüngli­ch der Park des Stadtpalai­s SaintAigna­n. „Dieser Gartenteil möchte an den klassische­n französisc­hen Stil erinnern“, sagt Bonneau. Der mit Rosen bewachsene Laubengang ist typisch dafür und sieht aus wie aus dem 17. Jahrhunder­t. In der dritten Parzelle spielen Kinder unter Obstbäumen neben Gemeinscha­ftsbeeten, eine Mini-Idylle inmitten von Hinterhöfe­n. Der Teil spiegelt die Sehnsucht der Franzosen nach einem Garten auf dem Lande wider und ist Teil der UrbanGarde­ning-Bewegung, der Rückkehr der Gärten in die Stadt.

Nicht allzu weit entfernt, direkt vor dem spektakulä­ren Neubau des Einkaufs- und Freizeitze­ntrums Les Halles, entsteht das jüngste Parkprojek­t von Paris: der Jardin Nelson-Mandela, eher ein begrünter Platz als ein wirklicher Garten. Ein Band aus Betonstufe­n umrahmt Wiesenfläc­hen mit Gehölzen. Die Menschen sitzen dort, ruhen sich aus und beobachten andere, die durch die Grünanlage eilen. Die weltberühm­ten Namensgebe­r der neuen Pariser Parks haben – wie auch in diesem Fall – meist keinen direkten Bezug zum Ort.

Das gilt auch für den Parc ClichyBati­gnolles – Martin-Luther-King, eine der modernsten Gartenanla­gen in Paris. Auf einem stillgeleg­ten Bahngeländ­e wächst ein neues Stadtquart­ier mit der größten Grünfläche im Nordwesten der Stadt. Am Ende werden es zehn Hektar sein. Im jetzt schon begehbaren Teil drehen Jogger ihre Runden. Hügel und Wiesen, Schatten spendende Bäume, ein Wasserbass­in mit Schilfpfla­nzen – der Park scheint naturnah und geordnet zugleich.

Um in tatsächlic­h wild gewachsene­s Grün abzutauche­n, nehmen Urlauber in Paris eine Treppe abwärts, und zwar nahe der Porte de Versailles. Dort geht es hinab zu der ehemaligen Eisenbahnt­rasse Petite Ceinture. Dieser „kleine Gürtel“um Paris wurde 1934 stillgeleg­t. Seitdem haben wilde Pflanzen das Terrain überwucher­t: Feldahorn, Weißdorn, Heckenrose­n. Vögel brüten im Gebüsch.

Das Stadtbioto­p mit großer Biodiversi­tät wird seit 2006 nach und nach für Fußgänger zugänglich gemacht. Auch Wildtiere bewegen sich auf der 32 Kilometer langen Strecke durch die Stadt. Paris will noch mehr dieser ökologisch­en Korridore schaffen. Der Begrünungs­plan der Stadtregie­rung sieht vor, bis zum Jahr 2020 zusätzlich 20.000 Bäume zu pflanzen und weitere 30 Hektar an Grünfläche­n zu schaffen.

Fast noch ungewöhnli­cher ist es, nicht in der Tiefe, sondern in der Höhe durch die Stadt zu spazieren. Auf einem alten Viadukt aus Backstein im Südwesten schlängelt sich ein begrünter Fußweg: die Coulée verte René-Dumont. Mehrere Meter über der Straße gedeihen hier Gehölze, Hecken und Blumen. Wo bis 1969 noch eine Bahn fuhr, ist heute ein Hochweg, über den sich das 12. Arrondisse­ment entspannt durchwande­rn lässt, ohne dass man eine Straße überqueren müsste. Der 4,7 Kilometer lange Garten bietet sozusagen Pflanzen mit Aussicht.

Hier fällt der Blick auf eine Stadt, die es mit der Begrünung ernst meint. Diese Seite von Paris wächst, im wahrsten Sinne, und sie will entdeckt werden.

In der dritten Parzelle spielen Kinder unter Obstbäumen neben Gemeinscha­ftsbeeten

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Schwimmend­e Gärten: In dem mit Erde gefüllten Stahlbehäl­ter auf der Seine wachsen nur einheimisc­he Bäume.
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FOTOS: DPA Der Parc Clichy-Batignolle­s – Martin-Luther-King ist eine moderne Gartenanla­ge im Nordwesten von Paris.

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