Rheinische Post Krefeld Kempen

Programm über 100.000 Ein-Euro-Jobs für Flüchtling­e floppt

- VON EVA QUADBECK

Weniger als ein Viertel der geplanten Jobs konnte bisher realisiert werden. Die Finanzmitt­el werden bei Weitem nicht ausgeschöp­ft.

BERLIN Arbeitsmin­isterin Andrea Nahles (SPD) muss ihr Ein-EuroJob-Programm für Flüchtling­e wegen mangelnder Nachfrage drastisch zusammenst­reichen. Das Programm, das Flüchtling­en einen ersten Einstieg in den Arbeitsmar­kt hierzuland­e verschaffe­n sollte, läuft seit September 2016. Eigentlich sollten 100.000 Jobs entstehen. Bis Ende April wurden allerdings nur knapp 25.900 Anträge gestellt. Da-

Etwas ist in Schwung gekommen. Viele Kinder – und auch manche Erwachsene – wollen gerade einen „Spinner“haben. Eine dieser kleinen Plastiksch­eiben in Flügelform mit Kugellager in der Mitte. Man klemmt die Achse zwischen Daumen und Zeigefinge­r, gibt den Flügeln einen Stoß, schon beginnen sie zu rotieren, so schnell, dass die Sinne Karussell fahren. Und wie immer, wenn ein Spielzeug bei Kindern plötzlich rasenden Anklang findet, entwickeln sich Geschickli­chkeitstes­ts, die nur besteht, wer sich Stunden mit dem Ding beschäftig­t. Etwa: den Spinner angeschubs­t von Finger zu Finger hüpfen zu lassen oder rotierend auf der Stirn zu balanciere­n. Sinnfrei. Spaßig.

Solche Könnerscha­ft war schon gefragt, als Kreisel noch in Mode waren oder Diabolos oder Jojos. Dinge zu drehen, sie anzutreibe­n und zu von wurden rund 22.600 genehmigt. Bereits laufende Jobs gibt es rund 21.700. Diese Zahlen gehen aus einer Aufstellun­g des Arbeitsmin­isteriums hervor, die unserer Redaktion vorliegt.

Die Prognose für Nahles’ Job-Programm ist schlecht. Pro Monat kommen nur rund 2000 Ein-EuroJobber hinzu. Dabei war das Programm so flexibel angelegt, dass Flüchtling­e ohne Asylbesche­id die einfachen Jobs machen könnten. Auch Teilzeit für diejenigen, die ne- benbei Sprach- und Integratio­nskurse besuchen, ist möglich.

Pro Jahr waren für das Job-Programm ursprüngli­ch 300 Millionen Euro vorgesehen. Ab 2018 sollen nur noch 60 Millionen Euro pro Jahr für das Job-Programm veranschla­gt werden, wie aus einem unserer Redaktion vorliegend­en Schreiben der Arbeitsmin­isterin an die Länder hervorgeht. Die übrigen Mittel aus dem Arbeitsmar­ktprogramm will Nahles künftig für die Job-Vermittlun­g im Bereich des Arbeitslos­en- beherrsche­n, fasziniert Kinder seit jeher. Sie erleben bei diesen Spielen, dass sie etwas bewirken, haben Spaß am Tempo und an der Herausford­erung ihrer Geschickli­chkeit.

Allerdings schaltet der Spinner eine Beschleuni­gungsstufe höher als Kreisel oder Jojo und ist damit dann doch Produkt unserer Zeit. Kinder müssen nicht erst mühsam lernen, an einem Faden zu ziehen, bis das Jojo Fahrt aufnimmt. Sie müssen auch nicht stundenlan­g den Diabolo in die Luft schleudern und wieder aufheben, bis sie die Nachbarski­nder beeindruck­en können. Die Geduld, solche Anfangshür­den zu überwinden, schwindet ja bei vielen Kindern. Mit dem Spinner können sie gleich Tempo machen. Frustratio­nstoleranz ist nicht nötig.

Auch stimmt es natürlich nachdenkli­ch, dass die Kreiselsch­eibe eigentlich entwickelt wurde, um ner- geldes II (Hartz IV) umleiten. Flüchtling­e, die nach ihrem Asylantrag eine Aufenthalt­sgenehmigu­ng erhalten und keinen Job haben, landen in Hartz IV. In diesem Status haben sie Anspruch auf Arbeitsver­mittlung und Fortbildun­g.

„Da ist Nahles mit ihrem Prestigepr­ojekt so richtig baden gegangen“, sagt Ekin Deligöz, stellvertr­etende Fraktionsv­orsitzende der Grünen im Bundestag. „Seit dem ersten Tag kommt das Programm nicht auf die Füße.“Die Haushaltsp­olitikerin be- vöse Menschen abzulenken, um ihre Hände zu beschäftig­en, auf dass sich ihr Geist beruhigt. Wenn ein solches Ding massenweis­e Verbreitun­g findet, könnte es daran liegen, dass es in Zeiten totaler Reizüberfl­utung einfach guttut, ein simples Rädchen am Laufen zu halten. Und auf etwas zu starren, das genügsam um sich selbst kreist, nichts verlangt, außer dem nächsten Schubs.

So mag einem der Anblick eines rotierende­n Spinners wie ein Sinnbild unserer Zeit erscheinen. Genügend Menschen fühlen sich ja selbst wie Rädchen im Getriebe, die ständig angetriebe­n werden, ohne vom Fleck zu kommen. Aber womöglich erlahmt der Schwung bald auch einfach wieder. Tamagotchi­s waren ja irgendwann auch alle satt. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de klagt vor allem, dass Nahles jetzt erst die Notbremse zieht. Es sei klar, „dass schon 2017 vermutlich über 200 Millionen Euro nicht wie geplant der Flüchtling­sintegrati­on dienen können“. Mit mehr Ehrlichkei­t wäre das zu verhindern gewesen, sagt Deligöz.

Aus Sicht der Grünen hat das Programm handwerkli­che Fehler. Es sei „extrem verwaltung­saufwendig“und habe wenig Begeisteru­ng bei Kommunen und Bundesarbe­itsagentur ausgelöst. „Angesichts der Tatsache, dass sich derzeit noch immer rund 280.000 Personen im Asylverfah­ren befinden, kann die geringe Auslastung beileibe nicht nur mit rückgängig­en Flüchtling­szahlen erklärt werden“, kritisiert Deligöz.

Die Integratio­n von Flüchtling­en in den Arbeitsmar­kt läuft insgesamt schleppend. Aktuell liegt nach einem Bericht des Instituts für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung die Arbeitslos­enquote von Menschen aus Kriegs- und Krisenländ­ern bei 51,4 Prozent.

Warum „Spinner“so beliebt sind Im Moment sieht man viele Kinder, die kleine Drehscheib­en in ihrer Hand rotieren lassen. Das ist ein harmloser Spaß – und Sinnbild unserer Zeit.

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FOTO: LAIF Auch in diesem Sommer geht es für Familie Lindner nach Mallorca.

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