Rheinische Post Krefeld Kempen

„Wir wollen die Unterricht­sgarantie“

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Der FDP-Chef über liberale Schwerpunk­te in den Koalitions­verhandlun­gen, schwarz-gelbe Bildungspo­litik und Frauen im Kabinett.

DÜSSELDORF Christian Lindner ist zufrieden. Der Auftakt der Koalitions­gespräche war gut. Wir treffen ihn kurz vor dem Abflug nach Berlin in der Düsseldorf­er City. Herr Lindner, CDU und FDP haben erste Koalitions­gespräche geführt. Ist die CDU nun wieder Ihr Wunschpart­ner? LINDNER Die FDP behält ihren eigenen Kopf. Beide Parteien haben auf Koalitions­aussagen verzichtet. Die CDU hat vor der Wahl sogar vor der FDP gewarnt. Ich habe diese Kampagne sportlich genommen, weil wir als eigenständ­ige Kraft gewinnen wollten. Eine Koalition aus FDP und CDU hätte den Vorzug, dass Wahlgewinn­er ohne Futterneid ihre jeweils besten Ideen einbringen. Sie zieren sich also nicht mehr. LINDNER Es ist eine Legende, dass wir uns je geziert hätten. Es irritiert nur manche, wenn die FDP sich nicht mehr bedingungs­los zum Mehrheitsb­eschaffer machen lässt. Wir übernehmen aber gerne Verantwort­ung, wenn es einen Richtungsw­echsel gibt. Darüber sprechen wir. Wie war die Stimmung? LINDNER Konstrukti­v und freundscha­ftlich. Schwarz-Gelb ist nicht gerade ein Lieblingsb­ündnis der Deutschen, die Erinnerung­en an den Bund oder auch an 2010 sind nicht so gut. LINDNER Es wird keinen Aufguss früherer Koalitione­n geben. Die Zeiten haben sich geändert und die Freien Demokraten auch. Wir definieren neu, was Schwarz-Gelb ist. Für mich eine Koalition, die das Land freier, weltoffene­r und digitaler, aber ausdrückli­ch auch fairer macht. In den Ergebnisse­n sollte die soziale Verantwort­ung von Schwarz-Gelb besser sein als die Rhetorik von SPD und Grünen. Rot-grüne Bildungsge­rechtigkei­t war, dass alle Stühle gleich wackeln und dass auf Noten verzichtet wird. Geben wir stattdesse­n allen jungen Menschen bessere Chancen und machen wir ihnen Lust auf Leistung. Statt die Vermögensv­erteilung nur zu beklagen, erleichter­n wir Familien den Weg zur eigenen Wohnung. Statt soziale Sicherheit über den Staat zu verspreche­n, ermögliche­n wir gute Arbeitsplä­tze. Was ist das Leitbild dieser Koalition? Aufstieg für alle? LINDNER So weit sind wir nicht. An zu viel Überbau kann man sich auch verschluck­en. Mir gefällt die vorläufige Überschrif­t „NRW-Koalition“. Da wird zugleich gesagt, dass es um Problemlös­ungen statt Ideologie geht. Und dass wir auch bereit zum Konflikt mit dem Bund sind, wenn es um die Interessen des Landes geht. Einer Landesregi­erung, die nur verlängert­e Werkbank der großen Koalition ist, könnten wir nicht angehören. Was sind Ihre inhaltlich­en Schwerpunk­te bei den Verhandlun­gen? LINDNER Dieselben wie vor der Wahl: Wir setzen uns ein für beste Bildung von der Kita bis zur Hochschule, für die Stärkung von Wirtschaft­skraft und Rechtsstaa­t. Das heißt, die FDP will das Wirtschaft­s-, das Justiz- und das Bildungsmi­nisterium besetzen? LINDNER Nein. Über Posten reden wir nach den Inhalten. Gibt es ein Digitalmin­isterium? LINDNER Mit dieser Forderung gehen wir in die Gespräche, ja. Eine neue Landesregi­erung muss die Digitalisi­erung mit mehr Tempo gestalten, damit die Chancen nicht an uns vorbeigehe­n. Die CDU scheint mir aufgeschlo­ssen. Das Thema wird in den Koalitions­verhandlun­gen nämlich bereits in einer eigenen Unterarbei­tsgruppe besprochen. Auch bei CDU und FDP gibt es viele Wahlverspr­echen in den Programmen. Was ist verzichtba­r? LINDNER Solide Finanzen müssen ein Markenzeic­hen von SchwarzGel­b sein. Für bessere Bildung, mehr Polizei, mehr Investitio­nen wird man daher umschichte­n müssen. Die Schuldenbr­emse wird jedenfalls eingehalte­n. Hält die FDP an der Einführung von Studiengeb­ühren fest? LINDNER Die Hochschule­n brauchen eine bessere Finanzieru­ng. Daran halten wir fest. Die Zustände sind unhaltbar. Krankenkas­sen sagen, dass nirgendwo in Deutschlan­d ein Studium so gesundheit­sgefährden­d ist wie in NRW. Das Ziel ist also die Verbesseru­ng des Studiums – Studienbei­träge wären dafür nur ein Mittel. In dem alten Modell? LINDNER So, dass niemand vom Studium abgehalten würde. Aber die CDU ist vor der Wahl ja geschwenkt und nun grundsätzl­ich dagegen. Ich lade also die CDU ein, uns alternativ­e Ideen vorzuschla­gen, wie wir die Studienbed­ingungen verbessern. In der Schulpolit­ik könnten Sie sich auf Wahlfreihe­it für G 8/G 9 einigen. LINDNER Ziel ist es, die Gymnasien zu stärken. Dann wird auch die G 8/ G 9-Debatte entspannte­r geführt. Einig sind wir uns bei der Wahlfreihe­it für die Schulen. Wir diskutiere­n, ob es an einer Schule beide Modelle geben kann, wie es in Hessen praktizier­t wird und auf dem Land notwendig ist. Gibt es eine Unterricht­sgarantie? LINDNER Beide Parteien wollen das. Wichtig ist, dass es im Haushaltsp­lan steht. Schnüren CDU und FDP ein Sparpaket, um die Wahlverspr­echen zu erfüllen? LINDNER Der Rotstift ist nicht das prioritäre Politikins­trument. Die steigenden Steuereinn­ahmen dürfen aber nicht wie bei Rot-Grün verschleud­ert werden, und wir brau- chen ein Entfesselu­ngsprogram­m, um die wirtschaft­liche Dynamik zu befreien. Das sagen Sie immer. Aber was heißt das konkret? LINDNER Wir wollen unsinnige Verordnung­en zurücknehm­en und auf gesetzlich­e Standards von Bund und Europa nicht noch etwas draufsatte­ln. Der Landesentw­icklungspl­an muss überarbeit­et werden. Auch an den Klimaschut­zplan muss man ran, weil der zwar nicht das Klima schützt, aber dennoch die Entwicklun­g bremst. Außerdem wollen wir den Staat modernisie­ren, damit er effiziente­r, günstiger und bürgerfreu­ndlicher wird. Stichwort Digitalisi­erung. Heißt: In fünf Jahren kann jeder Bürger alle Behördenan­gelegenhei­ten bequem von zu Hause online erledigen? LINDNER Rot-Grün wollte das bis 2031 hinbekomme­n. Wenn wir zehn Jahre schneller sind, wäre das ein sehr ambitionie­rtes, aber lohnendes Ziel. Das digitale Bürgeramt muss jedenfalls kommen. Ich fasse mal zusammen: SchwarzGel­b will viel Geld ausgeben, nur eben anders. Ausgaben kürzen steht nicht auf der Agenda. LINDNER Nein, eine Aufgabenkr­itik steht immer auf der Agenda. Aber das kann man smarter machen als früher. Die Digitalisi­erung ist eine enorme Chance dafür. In der schwarz-gelben Steuerungs­gruppe für die Koalitions­verhandlun­gen sitzen zwei Frauen und zehn Männer. Ist das angemessen? LINDNER Im Kabinett muss man es anders machen. Das ist allen klar. Entscheide­nd aber ist, dass die Politikerg­ebnisse frauenfreu­ndlicher sind als die der Damen Kraft und Löhrmann. MICHAEL BRÖCKER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

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