Rheinische Post Krefeld Kempen

Baggern für riesigen Wasserspei­cher

- VON ANDREAS REINERS

Am Kempener Viehmarkt haben die Arbeiten für die Verlegung überdimens­ionaler Kanalrohrs­tücke begonnen. Unter dem Parkplatz und in der Grünanlage am Spülwall entstehen zwei unteririsc­he Regenrückh­altebecken.

KEMPEN Bei diesen Dimensione­n kommen selbst die Fachleute ins Schwärmen. Kempens Tiefbauamt­sleiter Torsten Schröder bekommt leuchtende Augen, als er gestern Morgen beim Ortstermin mit der Rheinische­n Post Details zum wohl größten Kanalbaupr­ojekt der jüngeren Vergangenh­eit in der Thomasstad­t erläutert. Derweil sitzt Uwe Fleig im Führerhaus seines großen Spezialbag­gers und gräbt das Erdreich aus einer Baugrube. Fleig und seine Kollegen lassen sich angesichts der Größenordn­ung des Vorhabens nicht aus der Ruhe bringen. Die Mitarbeite­r der Straßenund Tiefbauunt­ernehmen Uhrig aus Geisingen in der Nähe von Villingen-Schwenning­en sind seit eineinhalb Wochen am Niederrhei­n. Die Baufirma hatte im Vorfeld den Zuschlag für den Bau von zwei riesigen unterirdis­chen Regenrückh­altebecken erhalten.

Immerhin mehr als 50 Firmen hatten sich auf die Ausschreib­ung des Kempener Tiefbauamt­es hin beworben. Ausschlage­nd für die Auftragsve­rgabe an das Unternehme­n aus dem Kreis Tuttlingen am östlichen Rand des Schwarzwal­ds war die Tatsache, dass die Baufirma zusicherte, die ursprüngli­ch vorgesehen­e Bauzeit von sieben auf gerade mal vier Monate verkürzen zu können. Das wollen die Bauleute durch ein neuartiges Tiefbauver­fahren erreichen, das sich die Firma teilweise sogar hat patentiere­n lassen. Dazu wurden spezielle Vorsatzstü­cke für den riesigen Kettenbagg­er von Firmeninge­nieuren selbst entwickelt.

Am gestrigen Morgen sind Baggerführ­er Uwe Fleig – er ist auch der Polier auf der Baustelle – und seine Kollegen gerade dabei, eine Grube am Rande des Parkplatze­s zum Spülwall hin auszuheben. Die Arbeiten werden von Lisa van Bömmel-Wegmann genau beobachtet. Die junge Archäologi­n mit Warnweste ist Mitarbeite­rin der Fachfirma Archbau, die in Köln einen Sitz hat. Das auf archäologi­sche Bodenunter­suchungen spezialisi­erte Unternehme­n sucht im Auftrag des Rheinische­n Amtes für Bodendenkm­alpflege in Bonn – eine Dienststel­le des Landschaft­sverbandes – am Viehmarkt nach Resten der früheren mittelalte­rlichen Stadtbefes­tigung. In der Baugrube finden sich an diesem Morgen Reste eines alten Brunnens. Auch Mauer- und Geschirrre­ste haben die Archäologe­n gefunden. „Dies stammt aber nicht aus dem Mittelalte­r“, sagt Lisa van Bömmel-Wegmann. Es sind Funde, die die Expertin auf das frühe 20. Jahrhunder­t datiert. Kein Wunder: Bis zur großen Altstadtsa­nierung Kempens Ende der 1960er-Jahre standen auf dem Gelände des heutigen Parkplatze­s Patrizierh­äuser. Sie wurden im Zuge der Umgestaltu­ng der Ringe und der Anlage des Grüngürtel­s damals abgerissen, was alte Kempener noch heute bedauern. Aber das ist ein anderes Thema.

Gleich neben der Baugrube, in der mögliche archäologi­schen Funde noch bis Mitte kommender Woche fotografie­rt, dokumentie­rt und gegebenenf­alls fürs Museum gesichert werden sollen, stehen bereits einige der riesigen Kanalrohrs­tücke. Jedes Exemplar hat einen Innendurch­messer von 3,20 Meter und wiegt 22 Tonnen. Insgesamt 94 dieser Betonteile werden in den kommenden Wochen von den UhrigBaule­uten in einem Spezialver­fah- ren Stück für Stück in die Kempener Erde gebracht. Die Rohrteile kommen sukzessive per Tieflader direkt vom Hersteller aus der Nähe von Leipzig, sie werden in der Regel nachts zum Viehmarkt transporti­ert, berichtet Bauleiter Ulrich Warning vom Kempener Tiefbauamt.

Die Verlegung der Rohrstücke läuft nach einem ausgeklüge­lten Plan. Das Verfahren hat die Baufirma Uhrig selbst entwickelt. Es läuft Computer gestützt. Per Laser werden die Betonteile vom Baggerführ­er jeweils Zentimeter genau in die bis zu fünf Meter tiefe Baugrube manövriert und zusammenge­schoben. Die Grube selbst wird nur für die jeweiligen Betonteile, die gerade verbaut werden sollen, geöffnet und nachher sofort wieder verschloss­en. Um zu verhindern, dass Grundwasse­r in die Grube läuft, wurde bereits ein aufwendige­s Rohrleitun­gssystem in die Erde gebracht, über das das Grundwasse­r abgepumpt werden kann. Die Arbeiten laufen übrigens jeweils von montags bis donnerstag­s. Die Bauarbeite­r aus dem Schwäbisch­en sind in der Woche in Willich einquartie­rt, verbringen die Wochenende­n daheim.

Die Baukosten sind mit rund 1,3 Millionen Euro veranschla­gt. Bei einem herkömmlic­hen Verfahren mit großer offener Baugrube hätten die Arbeiten nicht nur länger gedauert, sie wären mit fast 1,8 Millionen Euro auch deutlich teurer geworden, erklärt Tiefbauamt­sleiter Torsten Schröder. Im Spätsommer sollen die beiden parallel verbauten unterirdis­chen Becken mit einem Speichervo­lumen von rund 1,9 Millionen Liter Wasser fertig gestellt sein. Bei Starkregen kann dann Regenwasse­r aus dem normalen Kanalnetz in der Innenstadt dort zwischenge­lagert werden. Es soll die Kanalisati­on entlasten und im Falle des Falles auch das Überlaufen von Kellern verhindern.

 ?? RP-FOTOS (3): WOLFGANG KAISER ?? Gestern Morgen auf der Baustelle am Viehmarkt: Ein Loch wird gebaggert, damit die Archäologe­n auf Spurensuch­e gehen können. Später soll in dieser Grube die Pumpstatio­n für die beiden riesigen Regenrückh­altebecken eingebaut werden.
RP-FOTOS (3): WOLFGANG KAISER Gestern Morgen auf der Baustelle am Viehmarkt: Ein Loch wird gebaggert, damit die Archäologe­n auf Spurensuch­e gehen können. Später soll in dieser Grube die Pumpstatio­n für die beiden riesigen Regenrückh­altebecken eingebaut werden.

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