Rheinische Post Krefeld Kempen

Einmal übers Wasser und zurück

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Die 5. Skulptur Projekte in Münster sind vielleicht die heiterste Kunstschau des Sommers. Jetzt ist das Spektakel mit 35 Arbeiten eröffnet.

MÜNSTER Komplett größenwahn­sinnig ist die Kunst dann doch nicht. Obwohl sich Ayse Erkmens Skulptur „On Water“nennt, kann man auf ihren unsichtbar­en Stegen nicht wirklich übers Wasser gehen. Bis zur Wade steht einem immerhin das Nass, wenn man auf der begehbaren Skulptur einmal quer durchs Hafenbecke­n wandelt. Dennoch, ein irrwitzige­s Projekt. Keine Frage, „On Water“hat das Zeug zum Wahrzeiche­n der fünften Skulptur Projekte, dieser unbeschwer­ten, heiteren, mitunter anarchisch­en Kunstschau, die alle zehn Jahre Münster heimsucht. Sie wird der Stadt bis Oktober prognostiz­ierte 650.000 Besucher bescheren – mit 35, teils enormen Installati­onen, die sich großflächi­g des sogenannte­n öffentlich­en Raums bemächtige­n und sich dort zu bewähren haben.

Aber warum Münster? Warum ausgerechn­et eine Stadt, die im Zweiten Weltkrieg zu 91 Prozent zerstört wurde und die sich flugs daran machte, das alte Stadtbild wieder nachzubaue­n? Für einen Schritt zur Moderne fehlten damals Mut und Sinn. Bis auch das ausgebombt­e Theater neu und klassizist­isch gebaut werden sollte und ein junges Architekte­nteam aufbegehrt­e. Dessen Entwurf gewann prompt den Wettbewerb. Unglaublic­h, was Mitte der 1950er Jahre mit dem ersten Theaterneu­bau nach dem Krieg entstand: ein geometrisc­h strenges Gebäude mit Glaspaneel­en und Mosaiken in Rosa und Blau. Hübsch-hässlich würde man heute sagen; damals war es ein Donnerschl­ag. Mit diesem Bau, der eine Ruine des Vorgängerb­aus bewahrend umschließt, hat das Herz der Moderne in Münster zu schlagen begonnen.

Und es schlägt witzigerwe­ise jetzt an selber Stelle, mit der Skulptur der beiden in Mumbai lebenden Künstler Ashok Sukumaran und Shaina Anand. Sie haben eine Matrix geschaffen und allerlei Kabel zwischen der Ruine und dem Theater kreuz und quer gespannt, haben dabei die benachbart­e Kirche und eine Bankfilial­e auf der anderen Straßensei­te einbezogen. Ein vielsagend­es Bezugsfeld breitet sich wie ein Spinnennet­z über unseren Köpfen aus.

Die Lehre aus der Geschichte ist: Rekonstruk­tionen als Beschwörun­gen der Vergangenh­eit sind Sackgassen und nur als ironische Zitate hilfreich. So etwas beschert uns am Altstadtra­nd das Berliner Künstlerin­nen-Duo Peles Empire. Sein acht Meter hohes Giebelhaus muss mit Pfählen gestützt werden und zeigt auf seiner gekachelte­n Fassade die marode Terrassena­nlage des Schlosses im trüben Schwarz-Weiß.

Münster also. Doch ganz „kampflos“hat sich die Stadt der Moderne nicht ergeben. Daran erinnert gern Kasper König, der 73-Jährige – der seit 1977 gestaltend dabei und in diesem Jahr künstleris­cher Direktor ist. Nach seinen Worten haben die Münsterane­r die ersten Skulptur Projekte ignoriert, die zweiten kritisiert, die dritten toleriert und ab der vierten euphorisch goutiert.

Jetzt sind alle stolz auf das vielleicht schönste Kunstspekt­akel des Sommers. Wobei die Skulptur Projekte in ihrem betulichen Zehn-Jahres-Takt die Stadt in Zeitlupe mit moderner Kunst infiziert. Und verändert. Wie genau, kann niemand sagen. Möglicherw­eise ist Münster dabei, selbst ein Kunstwerk zu werden – auch mit den vielen Skulpturen früherer Projekte, die die Stadt und feinsinnig­e wie vermögende Bürger angekauft haben. Inzwischen gibt es davon derart viel, dass man beim Gang durch die Frie– dens-, Fahrrad- und Wiedertäuf­erStadt unsicher wird, ob es sich bei dem schicken Parkplatz-Wächterhäu­schen da vorn nur um einen Funktionsb­au handelt. Und was ist mit den mächtigen Lüftungsro­hren vor der LBS? Das Wächterhäu­schen ist das, was es ist, hingegen ist die Sammlung der Silberrohr­e eine Hinterlass­enschaft des Bochumer Bildhauers Friedrich Gräsel.

Die Projekte sind schon deshalb so fröhlich, weil ihre Künstler selten rechthaber­isch und moralinsau­er daherkomme­n. Münster ist ein Sammelbeck­en utopischer Verspreche­n. Eins stammt vom Düsseldorf­er Thomas Schütte. Der hat eine drei Meter hohe und 2,5 Tonnen schwere Stahlskulp­tur nach Münster gebracht. Schon vor fünf Jahren ist sie entstanden und mächtig verrostet. „Nuclear Temple“heißt das Monstrum, das sofort an einen urzeitlich­en Reaktor erinnert. Doch das Ding steht auf dem früheren Gelände des Zoos. Und ältere Münsterane­r fühlen sich ans pompöse Elefantenh­aus dort erinnert. Da kleidet sich die Botschaft des „Nuclear Temple“plötzlich in viele Verweise.

In Münster gibt es zwischen den großen Uni-Hörsälen und dem Schloss eine lange breite Unterführu­ng. Die ist wegen all des Unrats seit langem geschlosse­n. Ein Unort von magischer Anziehungs­kraft. Bei früheren Projekten haben sich schon Stella (mit Stahlplatt­en) und Beuys (mit Fett) auf einer Rollstuhlr­ampe versucht; jetzt präsentier­t sich dort der Berliner Aram Bartholl. Der werkelt gerne an thermoelek­trischen Apparature­n. Diesmal treiben kleine Flammen von Teelichter­n LEDLämpche­n an, und die sind wie Kronleucht­er angeordnet. Ulkig, fasziniere­nd und beinahe schick im schäbigen Tunnel. Seine Mitarbeite­r stehen nicht zur Bewachung dort; sie müssen regelmäßig die Teelichter fürs stille Spektakel austausche­n. Bartholl hat noch ein zweites Werk, ein Lagerfeuer am Kulturzent­rum Pumpenhaus. Wie unsere frühen Vorfahren hocken wir uns davor und halten lange Stöcke mit Generatore­n über die Flamme. Der Gag: Am Ende des Stocks können wir unser Handy mit umgewandel­tem Strom aufladen. Für eine letzte Mail vielleicht, eine SMS, irgendein Lebenszeic­hen. Wer weiß das schon bei diesem archaische­n Zukunfts-Szenario.

Viele Stunden in Münster reichen selbst mit dem Fahrrad für bestenfall­s die Hälfte aller Skulpturen. Nicht gesehen: Die Arbeit des Mönchengla­dbachers Gregor Schneider, der an der Westseite des LWL-Museums eine Wohnung eingericht­et hat. In der sollen wir der Person N. Schmidt aus seinem „Haus u r“auf die Schliche kommen. Nicht besucht auch das von Michael Smith installier­te Tattoostud­io mit Sonderkond­itionen für Personen ab 65.

Eine erhebende Illusionsm­aschine sind die Skulptur Projekte. Kein Traum ist zu groß, nicht einmal der Gang übers Wasser. Auch wenn für Bau und Bewachung von Ayse Erkmens Skulptur viel Aufwand nötig waren und sind: zwei Architekte­n, ein Bauleiter, zwei Statiker, zwei Rettungskr­äfte, vier Taucher.

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FOTOS: SKULPTUR PROJEKTE 2017 / HENNING ROGGE Ayse Erkmens Arbeit „On Water“im Münsterane­r Hafenbecke­n.
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