Rheinische Post Krefeld Kempen

Durchbruch gegen Hass im Netz

- VON EVA QUADBECK UND HENNING RASCHE

Union und SPD haben eine Einigung über das Löschen von hasserfüll­ten und hetzerisch­en Inhalten im Netz erzielt. Trotz Widerspruc­h aus der Fachwelt soll das Gesetz nächste Woche beschlosse­n werden.

BERLIN Die Bundesregi­erung will gegen Bedrohung, Beleidigun­g, Volksverhe­tzung und andere strafrecht­lich relevante Inhalte in sozialen Netzwerken konsequent­er vorgehen. Gestern einigten sich die Fachpoliti­ker auf einen Gesetzentw­urf, der die Betreiber der Plattforme­n von Facebook und Co. in die Pflicht nimmt. „Die Löschpraxi­s der Plattformb­etreiber ist noch immer unzureiche­nd“, erklärte Justizmini­ster Heiko Maas (SPD). „Unsere Erfahrunge­n haben gezeigt: Ohne politische­n Druck bewegen sich die sozialen Netzwerke leider nicht.“

Ziel der Neuregelun­g ist es, die Plattformb­etreiber dazu zu bringen, offensicht­lich rechtswidr­ige Inhalte innerhalb von 24 Stunden zu löschen. Für komplizier­tere Fälle war ursprüngli­ch eine Frist von sieben Tagen vorgesehen, die nun mit dem unbestimmt­en Begriff „zügig“gelockert wurde. Plattformb­etreiber, die nicht aktiv gegen Hass im Netz vorgehen, sollen mit einem Bußgeld von bis zu 50 Millionen Euro belegt werden können.

Kritiker warfen der Koalition vor, dass das Gesetz die Meinungsfr­eiheit einschränk­en werde, da die Plattformb­etreiber aus Angst vor hohen Strafen auch kritische Aussagen löschen könnten, die von der Meinungsfr­eiheit gedeckt sind. „Wir tragen diesen Bedenken nun unter anderem dadurch Rechnung, dass die Anbieter über Löschungen in rechtlich schwierige­n Fällen nicht immer selbst entscheide­n müssen“, sagte Unionsfrak­tionsvize Stephan Harbarth. Für die Entscheidu­ngen soll ähnlich wie beim Jugendschu­tz eine Institutio­n geschaffen werden, die über komplizier­te Fälle urteilt.

Die Einrichtun­g soll „anerkannte Beschwerde­stelle“heißen und aus unabhängig­en Prüfern bestehen. „Die Unternehme­n können selbst entscheide­n, ob sie mit der Beschwerde­stelle arbeiten“, sagte CDU-Netzpoliti­ker Thomas Jarzombek. Sollten sie dies nicht tun, seien sie selbst verantwort­lich.

Für Polizei und Staatsanwa­ltschaften soll das Vorgehen gegen Hass im Netz leichter werden. Dafür müssen die Unternehme­n einen Zuständige­n benennen, der die deutschen Behörden bei den Er- mittlungen unterstütz­en muss – zum Beispiel beim Auffinden anonymer Verfasser von Hass-Kommentare­n. Die Fragen der Behörden müssen innerhalb von 48 Stunden beantworte­t werden.

Mit Kritik reagierte der Hauptgesch­äftsführer des Bundesverb­andes der Informatio­nswirtscha­ft (Bitkom), Bernhard Rohleder, auf die Einigung: „Ob es der Politik auf den letzten Metern gelingt, das bereits im Ansatz verkorkste Gesetz so abzuändern, dass es verfassung­sgemäß und europarech­tskonform sein kann, ist mehr als fraglich“, sagte Rohleder unserer Redaktion. „Wir plädieren eindringli­ch dafür, die Unternehme­n nicht mit einer extrem kurzen Frist unter Entscheidu­ngsdruck zu setzen“, betonte der Bitkom-Chef. Kritik kam auch von der Vorsitzend­en des Rechtsauss­chusses im Bundestag, Renate Künast (Grüne), die das Gesetz als „handwerkli­ch schlecht“bezeichnet­e.

Der Entwurf soll in der kommenden Woche – der letzten Sitzungswo­che in dieser Wahlperiod­e – im Bundestag beschlosse­n werden. Er steht unter dem Vorbehalt, dass die Fraktionsc­hefs ihm zustimmen. Der Vorbehalt ist aber nicht inhaltlich­er Natur. Vielmehr geht es darum, auf welche Gesetze sich die Koalition insgesamt noch einigen kann.

Maas hofft, mit dem Gesetz auch eine europäisch­e Lösung anzuschieb­en. „Das Gesetz wird internatio­nal stark beobachtet. Deutschlan­d nimmt eine Vorreiterr­olle ein“, betonte der Minister. Leitartike­l

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