Rheinische Post Krefeld Kempen
Die wackelige Maas-Mission
Wer löscht wann welchen Hasskommentar? Eigentlich wollte Heiko Maas diese Fragen klären. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz trägt nun nicht nur ein Ungetüm als Namen, sondern scheint auch eines zu werden. Die von den Politikern von Union und SPD eingearbeiteten Veränderungen sind vage, sie höhlen das ursprüngliche Vorhaben aus – und sie sind unverständlich. Von „regulierter Selbstregulierung“ist die Rede, und wer sich darunter wenig vorstellen kann, der sei willkommen in einem Kreis schulterzuckender Experten. Auf den letzten Metern der Legislaturperiode hat die Koalition mehrere Baustellen des Gesetzes aufgerissen und ein paar Steine verlegt. Ob die Maas-Mission auf verfassungsrechtlich sicherem Boden steht, ist ungewiss.
Maas wollte mit dem Gesetz Fragen klären, nun wirft das veränderte Gesetz Fragen auf. Wer muss noch Bußgeld zahlen? Bis zu 50 Millionen Euro Strafe waren für soziale Netzwerke gedacht, die kein Löschsystem für Hasskommentare schaffen. Nun ist das Gesetz so entschärft, dass wahrscheinlich gar keine Strafen mehr verhängt werden können. Die MaasMission droht zu scheitern, sie ist nur noch ein Signal der wehrhaften Gesellschaft gegen Hass. BERICHT DURCHBRUCH GEGEN HASS IM NETZ, TITELSEITE
Alt sein will keiner
Die gute Nachricht lässt manchen erschrecken. Die Babys von heute haben die höchste Lebenserwartung aller Zeiten: 90 plus. Der Jahrgang 2017 hat somit beste Aussichten, das 22. Jahrhundert zu erreichen. Wie aber werden dann die Alten leben? Wie müssen sich gesellschaftliche Strukturen verändern? Wer aus der Perspektive heutiger Senioren auf die Zukunft der Urenkel schaut, mag sich zu Recht sorgen. Eine noch ältere Bevölkerung will betreut, gepflegt, versorgt – letztlich finanziert werden.
Schon heute stößt unsere Gesellschaft bei der angemessenen Betreuung von Alten und Kranken an Grenzen. Auf die Jüngeren kommt neben der wirtschaftlichen auch eine gewaltige emotionale Herausforderung zu. Fürsorge überfordert viele.
Alt werden ist schön, alt sein will keiner. Mein Vater sagt das. Er ist 89 Jahre alt. Wenn er sich beklagt, dann darüber, dass unsere Gesellschaft die Alten vor allem als Belastung empfindet. Er will niemandem zur Last fallen. Er möchte, dass möglichst viele möglichst lange selbstbestimmt leben können. Dafür aber muss sich noch viel, sehr viel ändern. BERICHT NEUGEBORENE WERDEN 90 JAHRE ALT, TITELSEITE
Falsche EU-Harmonie
Wohl noch nie hat es einen EU-Gipfel gegeben, auf dem jeder Missklang so systematisch ausgeklammert wurde. Die Union wollte endlich wieder ein Bild der Eintracht abgeben, wo zuletzt der Eindruck eines heillos zerstrittenen Haufens dominiert hatte. Die Inszenierung ist gelungen, und mit dem jungen französischen Präsidenten Emmanuel Macron hatte sie auch gleich einen neuen Star. Sein demonstrativer Schulterschluss mit Angela Merkel lässt von früher träumen, als Deutsche und Franzosen die EU gemeinsam anführten. Aber die Zeiten haben sich geändert und die EU auch.
Für die Dauer eines Gipfels sind die nationalen Egoismen vertagt worden. Verschwunden sind sie nicht. Macron hat leider Recht, wenn er beklagt, dass viele Staaten die EU nur noch als Supermarkt begreifen, wo man sich aus dem Regal nimmt, was einem gefällt, und alles andere liegenlässt. Ein Vorwurf, den sich nicht allein jene osteuropäischen EU-Mitglieder gefallen lassen müssen, auf die er gemünzt war. Aber diese Konflikte wird man austragen müssen. Mit falscher Harmonie lassen sie sich nicht zukleistern. BERICHT