Rheinische Post Krefeld Kempen

„Wir können von Youtube lernen“

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Für den Intendante­n ist die Zukunft des WDR auch „schnell und schmutzig“und Fernsehen das letzte Lagerfeuer.

KÖLN In seinem Büro am Kölner Appellhofp­latz steht ein weißer Geißbock. WDR-Intendant Tom Buhrow (58) erzählt, das Tier sei ein Geschenk zum Einstand gewesen. „Aber ich bin auch Fan des FC“, sagt er, um hinterherz­uschieben: „Als Intendant schätze ich allerdings alle Stadien und Vereine in NRW wert.“In dieser Woche ist der ehemalige „Tagestheme­n“-Moderator in seinem Sender vor allen Dingen als Krisenmana­ger gefragt. Am Mittwoch lief in der ARD die umstritten­e Antisemiti­smus-Doku, die der WDR zunächst nicht zeigen wollte. Warum die Kehrtwende? BUHROW Selbstvers­tändlich hatten wir ein Interesse, die Dokumentat­ion zu veröffentl­ichen – aber nur, wenn die Behauptung­en und Informatio­nen darin belegt und ordentlich journalist­isch aufbereite­t sind. Das haben wir geprüft. Unsere oberste Pflicht ist dabei: Sorgfalt geht vor Schnelligk­eit. Die Veröffentl­ichung der „Bild“hat die Diskussion über den Film, der für uns in dieser Form zu viele handwerkli­che Fragezeich­en hatte, nochmals angeheizt. An der Stelle wollte ich dann für Klarheit sorgen und die diversen falschen Spekulatio­nen über unsere Gründe für die Entscheidu­ng ausräumen. Ich betone nochmals: Es ging uns dabei nicht um den Inhalt und das Thema der Dokumentat­ion. Ausschlagg­ebend für unsere Entscheidu­ng, den Film nicht in der damals vorliegend­en Fassung zu senden, waren ausschließ­lich journalist­ische Standards und handwerkli­che Grundsätze. Und die Ursprungsf­assung entsprach nicht diesen Standards? BUHROW Nein. Für den WDR war die Erstfassun­g handwerkli­ch nicht sauber und somit nicht veröffentl­ichungsfäh­ig. Es wurden wesentlich­e journalist­ische Standards nicht eingehalte­n: zum Beispiel konnten Betroffene keine Stellung zu Vorwürfen nehmen, und Persönlich­keitsrecht­e wurden nicht beachtet. Das war in einem Fall mehr als grenzwerti­g. Auf unseren Wunsch hin hat der Produzent an einigen Stellen nachgebess­ert. Das war aber aus unserer Sicht nicht ausreichen­d. Dann war es verantwort­ungslos von „Bild“, den Film zu veröffentl­ichen? BUHROW Zumindest entsprach die Version nicht unseren Standards. Nebenbei bemerkt: Dass man einen Film veröffentl­icht, dessen Rechte man nicht besitzt, ist zumindest bemerkensw­ert. Gab es politische­n Druck? BUHROW Nein. Und der WDR wendet selbst immer alle journalist­ischen Standards an? BUHROW Wir sind nicht perfekt, auch bei uns passieren Fehler. Aber die journalist­ischen Grundsätze gelten für alle Veröffentl­ichungen im WDR, ja. Kommunikat­iv war das Ganze ein Desaster. Eine WDR-Kollegin hatte den Film ja abgenommen. BUHROW Über interne Angelegenh­eiten äußere ich mich nicht. Generell erwarte ich immer ein Vier-Augen-Prinzip bei der Abnahme eines Films mit investigat­iven und besonders wichtigen Themen. Wir wollten den Film mit aller Sorgfalt prüfen und uns dafür die Zeit nehmen, die wir brauchen. Dann haben Dritte für ein Trommelfeu­er der Medien gesorgt, und wir haben den Film im Rahmen einer transparen­ten Offensive mit unseren Erläuterun­gen veröffentl­icht. Damit kann ich gut leben. Kommen wir zu den schönen Themen, dem WDR-Programm. BUHROW Schön. Danke. Warten Sie es ab. Welche Sendung gibt es in zehn Jahren nicht mehr? BUHROW Das kann Ihnen kein Medienmana­ger sagen. Haben Sie keine „heilige Kuh“? BUHROW Niemand weiß sicher, wie die Menschen in zehn Jahren fernsehen, Radio hören oder Nachrichte­n konsumiere­n. Aber sicher wird es die „Aktuelle Stunde“und die „Lokalzeit“auch in zehn Jahren noch geben, egal, wie diese Formate dann heißen. Das Regionale und die Informatio­n – das sind unsere großen Stärken, und das Interesse daran ist enorm. Im Hörfunk wird es die Morgensend­ung und das Mittagsmag­azin geben. Sie sehen, ich glaube an die Zukunft der informativ­en journalist­ischen Formate. Wo sehen Sie Chancen für Neues? BUHROW Unsere Vision ist: Wir wollen das Leben der Menschen jeden Tag bereichern. Durch Informatio­nen und Unterhaltu­ng. Jedes Format muss unserem Publikum einen Mehrwert geben durch Qualität. Aber wie und was wir machen, das wird sich in den kommenden Jahren weiter rasant verändern. Der WDR wird das führende digitale Medienunte­rnehmen im Westen sein. Damit hier (zeigt auf das vor ihm liegende Smartphone, Anm. d. Red.) lassen sich Filme drehen, Fotos machen, Videos schneiden. Das verändert alles. Wir müssen die Menschen immer dort erreichen, wo sie Unterhaltu­ng und Informatio­nen sofort abrufen wollen. Also müssen unsere Angebote stets mobil-kompatibel sein, und sie müssen effizient produziert werden. Heißt für das Produkt? BUHROW Na ja, wir können zum Beispiel durchaus von Youtube lernen. Persönlich­e, hautnahe, authentisc­he Formate sind beliebt. Kurze, schnelle Filme, ungewöhnli­che OTöne, andere Schnitte. „Quick and dirty“(schnell und schmutzig) muss nicht schlecht sein, das kann sehr gute Unterhaltu­ng sein. Ich glaube, der Trend geht weg von den großen Shows für den großen Bildschirm. Wir müssen die neuen Trends in unsere Programme noch stärker integriere­n und selbst einige exotische Pflanzen pflegen und zur Blüte bringen. Ich sage meinen Leuten immer: Jeder kann mit ’nem Scheck hinter jemandem herlaufen, der schon ein Star ist. Guckt doch lieber, ob ihr den Schmetterl­ing in einer Raupe findet. Aber Ihr Journalism­us soll billiger werden? BUHROW Effiziente­r. Also billiger. Sie brauchen weniger Leute für einen „Lokalzeit“Beitrag. BUHROW Ja, das ist so. Aber deswegen wird das Produkt nicht billig. Der Kunde bekommt mehr gute Produkte in der gleichen Qualität. Ihre freien Autoren und Produzente­n beklagen, dass die Qualität leidet, wenn sie schneiden, filmen, vertonen, interviewe­n müssen. BUHROW Dem widersprec­he ich. Die Technik wird besser, leichter, einfacher. Deshalb kann ein guter Bericht über ein lokales Schützenfe­st heute mit weniger Personal gemacht werden. Es muss keine Qualitätse­inbuße geben, nur weil wir mit modernen Produktion­stechniken arbeiten. Ganz im Gegenteil. Wo sind Ihre Leuchttürm­e im Unterhaltu­ngsprogram­m? BUHROW Stolz bin ich darauf, dass ich eines meiner ersten Gespräche als Intendant mit Carolin Kebekus geführt habe. Damals gab es einen Konflikt zwischen ihr und dem WDR wegen der Kruzifix-Affäre. Ich habe Frau Kebekus gesagt: Ich finde Sie klasse und Sie werden ein großer Star – und ich möchte, dass Sie es bei uns werden. Und jetzt ist sie in der ARD. Das ist ein ganz großer Erfolg. Bei den Shows haben wir Anne Gesthuysen und Frank Plasberg mit dem Paarduell XXL am Samstagabe­nd ins Erste gebracht. Wie wollen Sie beim Serien-Hype von Netflix, Amazon und Co. mithalten? BUHROW Das tun wir doch. Wir hatten einen wunderbare­n Erfolg mit „Mord mit Aussicht“, unserem Eifelkrimi mit einer ungewöhnli­chen Sendelänge und einem super Ensemble. Das war ein Experiment, das großartig funktionie­rt hat. Sind solche Formate die Antwort auf den Streaming-Erfolg? BUHROW Auch. Netflix steckt viel Geld in lokale Märkte. Wenn Menschen sich in Serien wiedererke­nnen, sind diese auch erfolgreic­h. Ein Beispiel für dieses Prinzip ist unsere Serie „Phoenixsee“, von der zurzeit die zweite Staffel gedreht wird. Nicht teuer produziert, aber die Menschen finden sich wieder. Regionalit­ät und Identifika­tion – das sind die großen Themen. Können Sie sich die Rechte für große Sportevent­s noch leisten? BUHROW Wir sind uns in der ARD einig, dass wir verantwort­ungsvoll mit den Rundfunkbe­iträgen umgehen wollen und dass wir nicht in irrealen Höhen mitbieten. Das hat zum Beispiel der Ausgang des Bieterverf­ahrens für Olympia gezeigt. Warum bieten Sie dann noch mit? BUHROW Weil wichtige Sportevent­s Lagerfeuer sind. Sie bringen alle Altersgrup­pen und alle Ethnien zusammen, ganz Deutschlan­d debattiert zum Beispiel über Länderspie­le. Das ist ein Kitt für die Gesellscha­ft. Und so viele Lagerfeuer gibt es nicht mehr: Die „Tagesschau“wäre noch eines, und der „Tatort“. Schwarz-gelb regiert nun das Land, was erwarten Sie für Ihren oft als Rotfunk bezeichnet­en Sender? BUHROW (lacht) Sie pflegen alte Vorurteile. Aus journalist­ischer Sicht betrachtet, bedeutet Schwarz-Gelb business as usual. Unsere Aufgabe ist es, jede Landesregi­erung fair und mit Fakten untermauer­t journalist­isch zu beobachten, damit die Bürger in NRW sich ein eigenes Bild machen können. Was Schwarz-Gelb medienpoli­tisch bedeutet, wird man sehen. Es ist kein Geheimnis, dass ich es für einen großen Fehler hielt, dass der alte Landtag die Werbezeite­n für den WDR-Hörfunk ein- seitig verkürzt hat – ohne dass wir dafür eine Kompensati­on bekommen. Schwarz-Gelb hat das Ziel der Werbefreih­eit, glauben Sie, dass Sie nun Ihren Sparkurs verschärfe­n müssen ? BUHROW Wir müssen jetzt schauen, wie dieser Koalitions­vertrag mit Leben gefüllt wird. Ich habe aber die Hoffnung, dass man die Interessen des WDR realistisc­h im Blick hat. Das Ziel Werbefreih­eit ist ein ehrenvolle­s Ziel, das ich mittragen kann. Aber man muss darauf achten, dass dann nicht einseitige Finanzausf­älle gerade bei dem Landessend­er in NRW entstehen, ohne dass diese kompensier­t werden. Damit straft man auch die Reformanst­rengungen der Kolleginne­n und Kollegen im WDR: dem Sender, der so viel dafür macht, was alle fordern: sich verschlank­en und effizient arbeiten. Stichwort Orchester: Werden Sie die vier Klangkörpe­r behalten? BUHROW Davon gehe ich aus. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjema­nd ein Interesse daran hat, an diesen wertvollen Kulturauft­rag die Axt zu legen. Und was ist mit Düsseldorf? Die „Aktuelle Stunde“zieht nach Köln. BUHROW Ich werde mich persönlich dafür einsetzen, den Studio-Standort in Düsseldorf zu stärken, auch wenn wir die Aktualität in Köln bündeln werden. MICHAEL BRÖCKER UND MARTINA STÖCKER FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

 ?? FOTO: ARD/HERBY SACHS ?? Seit 1. Juli 2013 ist der Rheinlände­r (geboren in Troisdorf) Intendant des Westdeutsc­hen Rundfunks (WDR). Unter seiner Führung fährt der Sender ein Sparprogra­mm: 500 von rund 4300 festen Stellen fallen weg.
FOTO: ARD/HERBY SACHS Seit 1. Juli 2013 ist der Rheinlände­r (geboren in Troisdorf) Intendant des Westdeutsc­hen Rundfunks (WDR). Unter seiner Führung fährt der Sender ein Sparprogra­mm: 500 von rund 4300 festen Stellen fallen weg.

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