Rheinische Post Krefeld Kempen

Mehr als nur ein Rad

- VON MILENA REIMANN

In den 200 Jahren seit seiner Erfindung hat das Fahrrad einen Bedeutungs­wandel durchgemac­ht – vom Freiheitss­ymbol zum Verkehrsmi­ttel, vom Sportgerät zum Lebensentw­urf. Jetzt wird das Zweirad auch zum Statussymb­ol.

DÜSSELDORF Das Fahrrad, das Daniel Sehn ein paar Tage zuvor verkauft hat, hat den Wert eines gebrauchte­n Kleinwagen­s. 6500 Euro hat ein Kunde für das E-Bike mit Sonderauss­tattung ausgegeben. Der Inhaber des Düsseldorf­er Fahrradges­chäfts „Rad ab“erinnert sich noch daran, wie er und sein Kollege Anfang der 80er Jahre alte Fahrräder aus dem Sperrmüll fischten und die brauchbare­n Teile zu neuen Rädern zusammense­tzten. Sowas wäre heute für seine Kunden wohl nicht mehr denkbar. Laut Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) sank der Absatz an Fahrrädern und E-Bikes 2016 zwar um fast sieben Prozent auf vier Millionen Stück – gleichzeit­ig stieg der Umsatz der Branche um sieben Prozent auf 2,6 Milliarden Euro. Für ihre Fahrräder geben die Deutschen also immer mehr Geld aus. Das gute alte Rad mausert sich zum Statussymb­ol.

Das sagt auch Andreas Knie, Mobilitäts­forscher am Wissenscha­ftszentrum für Sozialfors­chung Berlin. Mit seinem Team hat er untersucht, wer heutzutage Fahrrad fährt. Zwei Gruppen haben demnach ein „besonderes Verhältnis“zu ihrem Rad. Das sind einerseits die „Urbaniten“: Gut gebildete Männer in der Stadt, die zwischen 30 und 50 Jahre alt sind – und in deren Szene man sich ohne Fahrrad nicht blicken lassen kann. „Man will damit zeigen, dass man zu einer schicken, städtische­n Elite gehört“, erklärt Knie. Eine zweite Gruppe, die das Fahrrad als Statussymb­ol sieht, sind Familienvä­ter, die sich am Wochenende in Tour-de-France-Kluft aufs teure Rennrad setzen. „Unter der Woche fahren sie dann SUV“, sagt Knie. Sie unterschei­den sich so von den „Ökos“, die schon immer Fahrrad gefahren sind, und auch von den „Normalen“, für die das Fahrrad nur ein Verkehrsmi­ttel von vielen ist.

„Heutzutage soll das Fahrrad den Fahrer wieder aufwerten“, sagt auch Ivan Sojc, Direktor des Deutschen Fahrradmus­eums im bayrischen Bad Brückenau. Als Karl Drais vor 200 Jahren die Laufmaschi­ne, die als Ursprung des Fahrrads gilt, erfand, war sie zunächst eine Spielerei des Adels. Ende des 19. Jahrhunder­ts stiegen dann Frauen aufs Rad. Lange hatten Männer das Radfahren für sich reklamiert, es als gebärfeind­lich und unsittlich verschrien. „Sie wollten die Mobilität und Freiheit, die das Gefährt mit sich brachte, nicht teilen“, sagt Sojc. Als um die Jahrhunder­twende immer mehr Hersteller auf den Markt drängten, wurden Fahrräder billiger. So wurden sie zum Verkehrsmi­ttel für die Massen – und zum Statussymb­ol. Zumindest jene, die sich von den einfachen Fahrrädern mit Verzierung­en, Aluminium- oder Holzverkle­idungen abheben wollten.

Doch das hohe Ansehen des Zweirads währte nicht lange: Die Erfindung des Autos und die beiden Weltkriege ließen das Rad zum Gefährt der Mittellose­n werden. Jahrzehnte­lang gab es für die Hersteller keinen Grund, das Zweirad zu verbessern. Im Gegenteil: Um die Räder möglichst billig anbieten zu können, sparte man an der Qualität. „,Warum fährst du noch Fahrrad?’ wurde man damals gefragt“, sagt Sojc. Das Auto war das neue Statussymb­ol. Lediglich als Sportgerät war das Fahrrad noch akzeptiert. Erst der Ölschock und die Antiatomkr­aftbewegun­g in den 70ern verhalfen dem Rad zumindest in einigen Gruppen zu neuer Bedeutung. „Fahrradfah­ren war erstmals ein gesellscha­ftlicher und politische­r Faktor“, erklärt Sojc. Es wurde zur Lebenseins­tellung. Und mit dem Boom des Mountainbi­kes in den 80ern verbessert­e sich auch die Technik wieder.

Heute sind Fahrräder technisch so spezialisi­ert, dass es eine Vielzahl an Fahrradtyp­en gibt. Man sieht es im Laden von Daniel Sehn: Trekkingbi­kes, Mountainbi­kes, E-Bikes, Rennräder, Lastenräde­r oder Falträder reihen sich in bunten Farben aneinander. 73 Millionen Fahrräder besitzen die Deutschen laut ZIV. „Es gibt immer mehr Leute, die für jede passende Gelegenhei­t ein spezielles Fahrrad haben“, sagt Forscher Knie.

Ein Herr in weißem Hemd, beiger Hose und Lederschuh­en kann das bestätigen. Im Fahrradlad­en von Daniel Sehn übt er das Zusammenkl­appen der Pedale eines Faltrads. Wenn er es kauft, wäre es sein drittes Fahrrad. Eines mit Korb zum Einkaufen hat er und eines für Fahrradtou­ren. Das Faltrad würde der 50-Jährige gerne mit in den Urlaub nehmen und dort fahren. Er fragt Daniel Sehn nach Fahrradtas­chen, größeren Rädern, einem höheren Sattel. Mit Extras und ohne Rabatte würde das Rad am Ende fast 2000 Euro kosten. „Wenn ich das Geld schon ausgebe, will ich auch, dass alles passt“, sagt er.

 ?? FOTO: BRETZ ?? Zweiradhän­dler Daniel Sehn zeigt eines der derzeit angesagtes­ten Fahrräder: Das Modell Tanami Pinion Gold von Tout Terrain hat Riemenantr­ieb und ein Getriebe von Porscheent­wicklern. Preis: ab 3690 Euro.
FOTO: BRETZ Zweiradhän­dler Daniel Sehn zeigt eines der derzeit angesagtes­ten Fahrräder: Das Modell Tanami Pinion Gold von Tout Terrain hat Riemenantr­ieb und ein Getriebe von Porscheent­wicklern. Preis: ab 3690 Euro.

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