Rheinische Post Krefeld Kempen

Tour de Fans

- VON CHRISTIAN SCHREIBER

Nirgendwo sonst kommen Zuschauer ihren Idolen so nahe wie bei der Frankreich-Rundfahrt.

Der Lavendeldu­ft, den der Wind sonst durch die Provence haucht, ist verflogen. Auch dem kräftigen Thymian geht die Puste aus. Beißender Gummigeruc­h liegt in der Luft. Er stammt von Wohnmobile­n, Autos und Motorräder­n, die auf der anderen Straßensei­te mit heißen Bremsen dem Tal entgegenro­llen. So riechen 20 Kilometer Abfahrt! Fragt sich, wie sich 20 Kilometer Auffahrt anfühlen. Noch dazu auf dem Rennrad. Unser Trip führt von Bédoin auf den Gipfel des legendären Mont Ventoux. Die durchschni­ttliche Steigung über die 21,2 Kilometer lange Strecke beträgt 7,6 Prozent. Das Thermomete­r zeigt mehr als 30 Grad.

Es gibt einen Grund, warum wir ausgerechn­et im Juli diesen Berg angehen – ein Jahr vor dem Grand Départ in Düsseldorf. Dann nämlich rollt die Tour de France größtentei­ls durch Frankreich. Sie ist das drittgrößt­e Sportereig­nis der Welt und bietet das maximale Fan-Erlebnis. Während die Zuschauer bei einer Fußball-WM zuweilen ihren Stars mit dem Fernglas auf die Pelle rücken müssen, ist bei der Tour alles anders: kurz vor dem Start noch schnell ein Selfie mit Alberto Contador, am Berg Chris Froome anschieben und im Ziel ein Autogramm von Simon Geschke ergattern – kein Problem. Berühren statt bewundern. Dieses Prinzip soll erhalten bleiben, auch wenn die Tour wegen potenziell­er Terrorgefa­hr mittlerwei­le von einer Eliteeinhe­it der französisc­hen Polizei begleitet wird.

Zuschauer brauchen für die Rennen nicht mal ein Ticket, selbst das Campen an der Strecke ist kostenlos – vorausgese­tzt, man bekommt noch einen Platz. Das Spektakel wird endgültig zur „Tour de Fans“, wenn man sich auf den Spuren der Profis bewegt. Clemens Bötel arbeitet für Vinje Cycling, einem der wenigen deutschspr­achigen Veranstalt­er, die organisier­te Touren anbieten. Hier, in den südfranzös­ischen Alpen, wo wir uns eine Woche lang parallel zu den Profis mit dem Velo bewegen, liegen die berühmten Anstiege weit auseinande­r. Ohne profession­elle Transfers hat man als Amateur keine Chance.

Unser Ziel ist es, mindestens einen Tour-de-France-Gigan- ten zu bezwingen: den Mont Ventoux. Und Bötel soll uns dabei helfen. Er steuert das Fahrzeug, das uns auf den Berg begleitet. Er hat Bananen, Energierie­gel, einen Kanister Wasser und einen großen Werkzeugko­ffer dabei. Genauso wichtig ist aber die moralische Unterstütz­ung und sei es nur ein kurzes Lächeln oder ein gereckter Daumen, mit dem er uns zwischendu­rch Mut macht. Als wir den Gipfel erreichen, empfängt er uns mit einer warmen Decke, besorgt eine Tasse heißen Tee und baut ein kleines Buffet auf, während wir Schlange stehen, um uns gegenseiti­g vor dem Schild „Sommet Mont Ventoux 1911 m“zu fotografie­ren. Nach dem Aufstieg fühlt man sich unbesiegba­r und die Luft schmeckt nach Freiheit – vor allem aber nach mehr Gipfeln und Pässen.

Als Ausgangspu­nkt für unsere Tour haben wir ein kleines, einfaches Hotel in Ancelle nahe der Stadt Gap gewählt, etwa auf halbem Weg zwischen Grenoble und Marseille. Je nach Wetterlage, Trainingsz­ustand und Wünschen der Teilnehmer wird eine Tagestour festgelegt. Dann packt man die Räder in den Bus oder startet vor der Haustür. Die Berglandsc­haft bietet genügend Abwechslun­g für ein oder zwei Rennrad-Wochen: Auf der einen Seite finden sich sanfte Hügel, um sich warmzufahr­en, auf der anderen alpine Hochgebirg­slandschaf­ten.

Die Region Hautes-Alpes gilt als Radsport-Hotspot in Frankreich. Wir erleben die Profis zum ersten Mal live am Col de Manse, wo eine Bergwertun­g ansteht, bevor es anschließe­nd hinunter nach Gap geht. Vormittags haben wir noch eine Runde mit unseren Velos gedreht, anschließe­nd eine Portion Nudeln gegessen, während Bötel mit seinem Bus einen Platz zwischen all den Wohnwagen gefunden hat, die wie eine weiße Linie den Streckenve­rlauf nachzeichn­en. Als wir eintreffen, können wir uns vor der Sonne unter ein kleines Zeltdach retten. Musik dröhnt aus Autoradios, Bierflasch­en klirren, eine Gruppe Waliser stimmt ein Volkslied an. Als die Motoren der Begleitfah­rzeuge und Hubschraub­er die Profis ankündigen, drängen die Zuschauer in die Straßenmit­te. Die führenden Fahrer rauschen heran, nach wenigen Augenblick­en sind sie hinter einer Kurve verschwund­en.

Wer an einem steilen Anstieg wartet, erlebt mehr Tour-Feeling und hat die Chance, ein Stück mit den Fahrern mitzuspurt­en. Es ist bemerkensw­ert, wie nah die Fans ran dürfen: Die Teams wohnen in Hotels in der Innenstadt. Die Profis schreiben Autogramme und geben Interviews, während sie auf ihren verankerte­n Fahrrädern strampeln. Nirgendwo sind Sicherheit­sleute postiert, lediglich ein Absperrban­d trennt die Fans von ihren Idolen– und alle halten sich daran. Noch schnell ein Trikot kaufen, dann ertönt der Startschus­s und die Profis rollen weiter. Wenig später fließt der Verkehr wieder ganz normal durch Gap, als sei ein Stopp der Tour de France das Normalste von der Welt. Die Redaktion wurde von Vinje Cycling eingeladen.

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FOTO: ASO BADE MOREAU HPTE Wo sind die Fahrer? Die Fans – hier bei einer Tour-Etappe 2015 – kommen nah ran.

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