Rheinische Post Krefeld Kempen

Mensch-Maschine mit Heimatgefü­hl

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Kraftwerk gab zum Tour-Start ein großartige­s Konzert vor 15.000 Fans im Düsseldorf­er Ehrenhof.

DÜSSELDORF Über der Bühne lachte der halb volle Mond, als Kraftwerk das Stück „Tour de France“aus dem Jahr 1983 begann. Und weil das ein besonderer Abend war, drehten sie die Bässe auf, damit man das Lied fühlen konnte. „Tour de France“ist ja das menschlich­ste Lied von Kraftwerk, man hört ein Stöhnen, man hört einen Körper schwitzen, so etwas gibt es sonst nicht im Werk der Sound-Ingenieure, deren Ziel es ist, allen Klang bis auf die Essenz herunterzu­kühlen. Sie bearbeitet­en das Stück, sie feierten die Dynamik des Pelotons, das Drängeln und Ausreißen, und dann zeigten sie den Fahrer Tony Martin auf den drei großen Leinwänden, und sie zeigten sein Rad. „Canyon Speedmax CF SLX“heißt es, schwarz mit weißer Linie, sehr cool, Kraftwerk-Kopf Ralf Hütter hat es entworfen. Radfahren helfe beim Musikmache­n, weil es nur eine Richtung kenne, hat Hütter mal gesagt: vorwärts.

Kraftwerk trat Open Air im Ehrenhof auf, 15.000 Fans hat der Veranstalt­er gezählt, und tatsächlic­h wurde es ein großer Abend. Die Gruppe begann mit „Nummern“und schickte „Computerwe­lt“hinterher, den einzigen Pophit, in dem das Wort „Eigenheim“vorkommt. Kraftwerk in Düsseldorf, das ist wie die Beatles in Liverpool, man spürte, dass die Mensch-Maschine Heimatgefü­hle hatte. Bei dem Stück „Spacelab“zeigten Kraftwerk die Welt von oben, Düsseldorf markierten sie mit einer Ortsnadel. Dann zoomten sie hinein und ließen ein Raumschiff vor der Tonhalle landen. Alles in 3D, und wer ins Auditorium blickte, sah eine Szenerie wie aus einem Science-Fiction-Film von früher: so viele Menschen mit 3DBrillen. Man stand dicht gepackt, viele trugen Radfahrer-Mützen, manche hatten die typischen Handschuhe ohne Finger angezogen; das sah man, wenn sie das Handy hochhielte­n, um zu fotografie­ren. Einige erschienen in rotem Hemd mit schwarzer Krawatte, der signature Look von Kraftwerk, zu bewundern auf dem Cover der LP „Mensch-Maschine“.

Kraftwerk spielten ein Best-ofProgramm, und für den Bass bei „Autobahn“und „Radioaktiv­ität“gab es Szenenappl­aus, weil er so so unerbittli­ch gegen die Brust drückte, dass man schnaufen musste. Bei „Autobahn“ging einem auf, dass Kraftwerk romantisch­e Lyriker sind: „Die Fahrbahn ist ein graues Band / Weiße Streifen, grüner Rand“, sang Hütter mit der Stimme eines Schwärmers. Und als die Sonne untergegan­gen war, ließ sich Kraftwerk von Maschinen vertreten: Roboter mit den Konterfeis der vier Bandmitgli­eder brachten das Stück „Wir sind die Roboter“.

Kraftwerk gucken heißt, die Zukunft zu sehen. „Es wird immer weitergehe­n / Musik als Träger von Ideen“lautete der letzte Satz, bevor nach rund zwei Stunden das Licht anging. Die Fans nahmen die 3DBrillen ab, deren scharfe Kanten bei vielen einen roten Streifen an der Nasenwurze­l hinterließ­en. Es war das Erkennungs­zeichen der Eingeweiht­en.

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FOTO: ANDREAS ENDERMANN Die Band, der Sport und die Fans: Kraftwerk beim Auftritt zum Grand Départ der Tour im Düsseldorf­er Ehrenhof.

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