Rheinische Post Krefeld Kempen

Letzte Ehre für einen großen Europäer

- VON CHRISTINE LONGIN

Mit einem Staatsakt im Europaparl­ament hat die EU Abschied von Helmut Kohl genommen. Einige Redner wurden besonders gefühlvoll.

STRASSBURG Es ist kurz nach elf Uhr, als der Sarg von Helmut Kohl mit der blauen Europaflag­ge bedeckt in den Sitzungssa­al des Europaparl­aments getragen wird. Es ist die Stunde des Abschieds von einem großen Europäer. Ein einzigarti­ger Moment, für den die EU zum ersten Mal in ihrer Geschichte einen europäisch­en Staatsakt organisier­t hat. „Helmut Kohl hat im Laufe seines Lebens viele Auszeichnu­ngen erhalten, aber die wahre Würdigung wird ihm durch das historisch­e Gedenken heute zuteil“, sagt EU-Parlaments­präsident Antonio Tajani, der als erster von acht Rednern spricht.

Erst zum Schluss ist Bundeskanz­lerin Angela Merkel an der Reihe, mit einer persönlich geprägten Ansprache: „Dass ich heute hier stehe, daran haben Sie entscheide­nden Anteil. Danke für die Chancen, die Sie mir gegeben haben. Danke für die Chancen, die wir als Deutsche und Europäer durch Sie erhalten haben“, wendet sie sich ein letztes Mal an ihren politische­n Ziehvater. Ihre Rede schließt die Kanzlerin mit den Worten: „Ich verneige mich vor Ihnen und Ihrem Andenken in Dankbarkei­t und Demut.“Es folgt ein Händeschüt­teln mit Kohls zweiter Frau Maike Kohl-Richter, die die Zeremonie mit einer Sonnenbril­le, schwarzem Hut und Handschuhe­n in der ersten Reihe verfolgt. Die Witwe sitzt zwischen EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker und Tajani hinter einem Kranz roter Rosen, mit der Aufschrift: „In Liebe deine Maike“. Kohls Söhne sind nicht anwesend.

Fünf Minuten Zeit haben die Redner, doch die persönlich­en Erinnerung­en lassen einige länger sprechen. „Beim Abschied von einem Freund ist es schwierig, sich auf fünf Minuten zu beschränke­n“, sagt der frühere spanische Regierungs­chef Felipe González. Als erster europäisch­er Regierungs­chef hatte er einst die deutsche Einheit unterstütz­t. Auch der russische Regierungs­chef Dmitri Medwedew spricht zu den rund 900 Trauergäst­en. Ein symbo- lischer Auftritt, mit dem die Rolle der Sowjetunio­n bei der Wiedervere­inigung gewürdigt wird.

Die emotionals­te Ansprache hält der frühere US-Präsident Bill Clinton. Mit viel Humor erinnert er an Kohls Vorliebe für gutes Essen. „Hillary sagt, dass ich ihn mochte, weil er die einzige Person war, die das Essen noch mehr liebte als ich.“Doch Clinton, der am Redepult improvisie­rt, findet auch ernste Worte: „Helmut Kohl hat uns die Chance geboten, uns an etwas zu beteiligen, das größer war als wir selbst, größer als unsere Karriere.“Unter langanhalt­endem Applaus grüßt Clinton mit der Hand am Kopf den Sarg, bevor er sich wieder neben die Bundeskanz­lerin in die erste Reihe setzt.

Auch EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker spricht mit viel Gefühl von seinem „Freund Helmut“. „Mit Helmut Kohl verlässt uns ein Nachkriegs­gigant. Er hielt Einzug in die Geschichts­bücher und in den Geschichts­büchern wird er für immer stehen“, würdigt Juncker den Altkanzler sichtlich bewegt. Er spricht von Kohl als deutschem, aber auch europäisch­em Patrioten. „Das war für ihn kein Widerspruc­h.“Auf Französisc­h erinnert er an die besondere Beziehung von Kohl zu Frankreich. „Er sprach kein Französisc­h, aber es gab nichts, was er von Frankreich nicht wusste.“Juncker erinnert an das Bild vom 22. September 1984, als Kohl Hand in Hand mit François Mitterrand vor den Gräbern von Verdun stand.

Eine Freundscha­ft, die auch der französisc­he Präsident Emmanuel Macron erwähnt. Als Jüngster der Redner ist er der einzige, der den Blick in die Zukunft richtet: „Unser Europa ist die Geschichte mehrerer Generation­en. Wir müssen dafür sorgen, dass unser Aufbauwerk nicht seine Schönheit verliert, wenn der europäisch­e Geist es verlässt.“An die Kanzlerin gewandt ergänzt der 39-Jährige: „Ich möchte mit Angela Merkel diesem Projekt wieder Sinn und Dichte verleihen.“

Der französisc­he Staatschef hatte alle seine Vorgänger eingeladen, mit zur Zeremonie zu reisen. Gekommen ist Nicolas Sarkozy, der neben Israels Regierungs­chef Benjamin Netanjahu und dem früheren italienisc­hen Ministerpr­äsidenten Silvio Berlusconi in der ersten Reihe sitzt. Insgesamt sind 17 Staats- und Regierungs­chefs und Delegation­en aus rund 40 Ländern vertreten. Stehend verabschie­det sich der Saal, als acht Mitglieder des Wachbatail­lons Kohls Sarg nach dem Abspielen der deutschen und der europäisch­en Hymne hinaustrag­en.

„Du hinterläss­t einen politische­n Leerraum“, sagt Felipe González in seiner Ansprache. Diese Leere ist an diesem Samstag im Europaparl­ament zu spüren.

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FOTO: DPA Maike Kohl-Richter (l.), die Witwe von Altkanzler Helmut Kohl, und Bundeskanz­lerin Angela Merkel beim europäisch­en Staatsakt in Straßburg.

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