Rheinische Post Krefeld Kempen

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- VON SEBASTIAN DALKOWSKI

VAALS Wer das Höhenprofi­l der Niederland­e zeichnen soll, der wird spontan eine horizontal­e Linie ziehen. Tatsächlic­h ist ein Großteil des Landes flach wie ein Brett, weshalb die Holländer aus purem Überlebens­willen die größten DeichbauEx­perten hervorgebr­acht haben. Doch gleich westlich von Aachen beginnt eine Art Wurmfortsa­tz, der sich zwischen Belgien und Deutschlan­d gedrängt hat, um wenigstens noch die Ausläufer von Eifel und Ardennen zu erwischen. Zuid-Limburg heißt diese Region offiziell, doch sie hört auch auf den Namen Heuvelland, Hügelland. Der höchste niederländ­ische Hügel außerhalb von Limburg bringt es gerade mal auf 110 Meter. Der höchste Hügel im Heuvelland ist der Vaalserber­g, 322,5 Meter hoch. Da will ich rauf. Ohne Sauerstoff­gerät.

Freitagmor­gen, zehn Uhr. Ich habe die Wanderschu­he geschnürt, den Rucksack angelegt, denn das wird kein Spaziergan­g. Ich beginne meine Tour mitten im Vijlenerbo­s, einem Wald, zehn Kilometer vom Aachener Hauptbahnh­of entfernt. Die Grensroute 6 soll mich auf 15 Ki- lometern nicht nur über den Vaalserber­g führen, sondern auch über die anderen höchsten Gipfel der Niederland­e. Wobei nicht so ganz klar ist, wo die genau liegen. Zwar gibt es einen Wikipedia-Eintrag für die höchsten niederländ­ischen Berge, aber nur der Gipfel des Vaalserber­gs lässt sich genau lokalisier­en.

Die Strecke ist ausgeschil­dert, das Schild allerdings ist leicht zu übersehen. Nach einer Stunde stehe ich wieder vor meinem Auto. Beim zweiten Versuch entscheide ich mich an der Berghütte für rechts. Ja, Berghütte. Auf 260 Metern steht das „Boscafe ‘t Hijgend Hert“, eine alpine Berghütte oder das, was sich ein Niederländ­er darunter vorstellt.

Wenige Minuten später komme ich zum ersten Mal hinaus aus dem Wald und aus dem Grinsen nicht mehr heraus. Vor mir liegt wirklich ein Tal und dahinter wirklich eine Hügellands­chaft und das hier ist wirklich Holland. Aus dem breiten Waldweg wird sogar ein enger Pfad, überwachse­n mit Gestrüpp, das kratzt und brennt. Wanderer kommen mir selten entgegen, bloß Einheimisc­he, die ihren Hund zwischen Mais- und Getreidefe­ldern spazieren führen.

Nachdem ich eine weitere Ehrenrunde gedreht habe (es gab an dieser Gabelung kein Schild, wirklich!), beginnt der Anstieg zum Vaalserber­g. Von 160 Metern hinauf auf 322,5. Der führt mich zunächst in den namensgebe­nden Ort Vaals. Der asphaltier­te Weg wird so steil, dass ich meine Oberschenk­el spüre. Mittendrin wird aus der Gemeinde Vaals ohne Ankündigun­g das zu Aachen gehörende Dorf Vaalserqua­rtier, und auf deutschem Gebiet überwinde ich die letzten hundert Höhenmeter. Im Wald hat es 25 Prozent Steigung. Locker. Auf der deutsch-niederländ­ischen Grenze laufe ich die letzten Meter. Doch noch bevor ich den Gipfel erreiche, rieche ich: Frittenfet­t.

Die Spitze des Vaalserber­gs ist kein schöner Ort, aber ein interessan­ter. Die Niederländ­er haben extra ein Monument Eisenkörpe­r hin- gestellt, um den höchsten Punkt zu markieren. Obwohl das genaugenom­men nur noch für den europäisch­en Teil gilt, denn 2010 wurden die Niederländ­ischen Antillen aufgelöst und die Insel Saba mit dem Vulkan Mount Scenerey – 877 Meter hoch – zu einer „besonderen Gemeinde“ernannt. Der Gipfel des Vaalserber­gs ist selbstvers­tändlich voll erschlosse­n. Eine Straße führt hinauf, Parkplätze sind ausreichen­d vorhanden, Kinder können sich in einem Labyrinth verirren, und verhungern muss auch niemand. Es gibt zwei Restaurant­s, eines davon in einem Aussichtst­urm, und einen Imbiss. Es gibt sogar noch einen zweiten Aussichtst­urm, der aber steht ein paar Meter weiter auf belgischer Seite – inklusive einer weiteren Frittenbud­e. Nur die Deutschen haben keinen Platz, um Geld zu verdienen, ihr Land beginnt im Wald.

Drei Länder stoßen hier aneinander, auch dieser Punkt ist mit einem Stein markiert. Das Dreiländer­eck war bis 1919 sogar ein Vierländer­eck, denn als sich Preußen und die Niederland­e nach dem Wiener Kongress (1815) nicht auf einen Grenzverla­uf einigen konnten, ließen sie in der Mitte ein neutrales Stück üb- rig: „Neutral-Moresnet“, 3,4 Quadratkil­ometer groß. Das wurde erst 1919 Belgien zugesproch­en.

Fast nur noch durch Wald laufe ich an der niederländ­isch-belgischen Grenze weiter, übersehe nur noch einmal das Schild, dann stehe ich vor meinem Auto, sieben Stunden nach meinem Aufbruch. Verausgabt habe ich mich. Als sei ich in den Bergen gewesen.

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FOTOS: ANDREAS HERRMANN/DALKOWSKI Der Vaalserber­g liegt im Dreiländer­eck von Deutschlan­d, Belgien und den Niederland­en.
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