Rheinische Post Krefeld Kempen

Eintauchen ins Mittelalte­r ist wie Urlaub

- VON EVA SCHEUSS

Am Wochenende fand zum sechsten Mal ein Mittelalte­rmarkt im Niederrhei­nischen Freilichtm­useum in Grefrath statt.

GREFRATH „Das ist für mich wie ein Kurzurlaub.“Vielen mag es so gehen wie Richard Hippauf aus Velbert. Im „wahren Leben“arbeitet er als Abteilungs­leiter bei einer großen Maschinenb­aufirma in Hagen. An diesem Wochenende hat er eine Zeitreise angetreten und mimt in Leinengewä­ndern einen Bäcker aus der Zeit des Mittelalte­rs. Mit Familie und Freunden wohnt er zwei Tage auf dem Gelände des Freilichtm­useums an der Dorenburg in Grefrath. In beigefarbe­nen Zelten, mit hölzernem Mobiliar. Auf den Bänken liegen Schaffelle, über den offenen Feuerstell­en wird in Eisengesch­irr das Essen gekocht. Gegessen und getrunken wird aus handgetöpf­ertem Geschirr. Die Frauen sitzen beieinande­r, viele halten Nähzeug in den Händen. Kinder düsen durch die Gegend. Auch viele Hunde sind dabei, verfolgen meist gelassen das Geschehen um sie herum. Elektrizit­ät ist Fehlanzeig­e. Kerzen stehen bereit, um die Abende stimmungsv­oll zu beleuchten. In Betten, die mit Fellen und Wolldecken ausgestatt­et sind, wird geschlafen.

Bereits zum sechsten Mal in Folge fand im Freilichtm­useum an der Dorenburg in Grefrath der Mittelalte­rmarkt statt. Mit steigender Beliebthei­t, wie Museumsmit­arbeiterin Ursula Schürmanns berichtet. „Angefangen haben wir mit sechs Lagern, heute sind es 36“, erzählt sie. Hinzu kommen noch 46 Händler und Handwerker. „Damit sind wir an den Grenzen der Kapazität, mussten sogar schon eine Wartelis- te einrichten,“fügt sie hinzu. Auch die Besucherza­hlen sind steigend, bewegten sich zuletzt auf die 5000 zu, eine Zahl, die bei dem regnerisch­en Wetter diesmal möglicherw­eise nicht erreicht werden kann.

Ursula Schürmanns trägt heute ein selbst genähtes grünes Leinenklei­d und eine beige Schürze, an der Fibeln in Form von Schildkröt­en befestigt sind, an den Füßen hat sie Wollsocken. „Ich bin so um 960“, sagt sie schmunzeln­d, „eine Wikingerfr­au.“Möglichst authentisc­h sein, auch das ist für die meisten hier Ehrensache. Wo es geht, versuchen die Beteiligte­n die Lebensweis­e des Mittelalte­rs nachzuahme­n.

Einiges davon halten die Händler des Marktes selbst bereit. Da gibt es Keramiker, Schmiede und Korbflecht­er. Es werden selbst gefertigte Lederwaren und Rüstungste­ile angeboten. Michael Kieweg und seine Frau Dorothea aus der Eifel verkaufen Bogen aus Eschenholz nach historisch­en Vorlagen. Die größten sind zwei Meter lang, die Reichweite der Pfeile geht bis zu 250 Metern. Der kräftige Mann mit Vollbart hat seine Leidenscha­ft vor zwölf Jahren zum Beruf gemacht.

Doch viele Teilnehmer tauchen nur in ihrer Freizeit in die Welt des Mittelalte­rs ein, genießen das Leben im Freien, die Einfachhei­t und den direkten, unmittelba­ren Bezug zum Alltagsges­chehen, ganz abseits von der hochkomple­xen digitalen Jetztzeit. Stephan Spönnen aus Tönisvorst arbeitet bei der Berufsfeue­rwehr. Er fertigt in seiner Freizeit, etwa abends vor dem Fernseher, Kettenhemd­en. Mit einem unglaublic­hen Aufwand: Ein Kettenhemd besteht aus bis zu 80.000 Ringen, die einzeln zusammenge­fügt werden. Es wiegt dann mehr als elf Kilogramm. Auch Sohn Henrik (10) macht schon mit. Begeistert zeigt er, wie die Ringe aus Aluminium oder Edelstahl zusammenge­fügt werden.

Aufgelocke­rt wird das Geschehen in den Lagern durch einen Marktumzug oder eine nachgestel­lte Schlacht. Eine Falknerei aus der Eifel zeigt den Falken Saladin bei der Jagd. Und die Gruppe Vrevel aus Hagen musiziert im Hof der Dorenburg – ohne Verstärker oder Mikro.

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RP-FOTO: WOLFGANG KAISER Silvia Schnell (rechts) zeigt Besuchern des Mittelalte­rmarktes, wie früher Schafschur­wolle mit Pflanzen gefärbt wurde.

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