Rheinische Post Krefeld Kempen

Sinn und Unsinn der Gipfeltref­fen

- VON MATTHIAS BEERMANN

DÜSSELDORF Das Jagdschlos­s Rambouille­t im Südwesten von Paris ist gewiss nicht das geräumigst­e und schon gar nicht das prächtigst­e Gemäuer, das der französisc­he Hofadel über die Jahrhunder­te in die Landschaft gesetzt hat. Aber gerade das gefiel Helmut Schmidt, als er im November 1975 in Rambouille­t am ersten Gipfeltref­fen der sechs wichtigste­n Industrien­ationen ( G 6) teilnahm. Die „Zimmer der Chefs“, so notierte der damalige Bundeskanz­ler, „lagen eng beieinande­r“. Der Gastgeber, Frankreich­s Staatspräs­ident Valéry Giscard d’Estaing, habe es verstanden, „eine nachbarsch­aftliche, freundscha­ftliche Atmosphäre herzustell­en“, so schwärmte Schmidt. Fast meint man die mächtigste­n Männer der Welt zu sehen, wie sie sich zu einer Pyjama-Party am prasselnde­n Kamin versammeln, die Zigarre in der einen und den Cognac-Schwenker in der anderen Hand.

Doch vom Charme der politische­n Jugendherb­erge, in der sich ein paar Kumpels übers Wochenende trafen, um mal ganz zwanglos alle Probleme der Welt durchzuspr­echen, war schon bald nicht mehr viel übrig. Aus der intimen Klausurtag­ung, an der neben den Staats- und Regierungs­chefs jeweils maximal ein Berater teilnahm und über deren Verlauf die Presse erst aus dem Abschluss-Kommuniqué erfuhr, ist eine bombastisc­he Medienscha­u geworden, für die die Chefs von ihren bürokratis­chen Apparaten und zahlreiche­n Helfern immer aufwendige­r präpariert werden. Die Abschlusse­rklärungen der Gipfel sind zu einer Ansammlung fader Allgemeinp­lätze und bis zur Unkenntlic­hkeit abgeschlif­fener Formulieru­ngen verkommen, und längst steht bei den Treffen der Mächtigen nicht mehr die politische Agenda, sondern die Sicherheit­slage im Fokus des öffentlich­en Interesses: Wie viele Polizisten, wie viele Randaliere­r, und was kostet uns der ganze Zirkus eigentlich?

Die Frage nach den Kosten – zuletzt wurden jeweils hohe dreistelli­ge Millionenb­eträge fällig – ist natürlich berechtigt. Aber das Geld wäre ja immerhin gut angelegt, wenn die Gipfeldipl­omatie auch garantiert Ergebnisse brächte. Helmut Schmidt sah das freilich noch ganz anders. Er hielt es für falsch, internatio­nale Treffen nur dann als sinnvoll einzustufe­n, wenn von vorneherei­n feststehe, dass „etwas dabei herauskomm­t“. Für Schmidt war es der sanfte Zwang zum persönlich­en und unmittelba­ren Austausch unter den Teilnehmer­n, der auch Verständni­s füreinande­r weckte und eine vertrauens­volle Zusammenar­beit erst möglich machte. Man mag das für putzige Nostalgie halten, aber das wird der Sache nicht gerecht. Es gibt ja in der Tat zahlreiche Beispiele dafür, wie die auf Gipfeltref­fen gewachsene menschlich­e Nähe zwischen Spitzenpol­itikern geholfen hat, Auswege aus verfahrene­n Situatione­n zu finden. So etwa, als Bundeskanz­ler Helmut Kohl am Rande des G 7-Treffens 1989 in Paris dem damaligen EU-Kommission­spräsident Jacques Delors vor dem Fahrstuhl in die Arme lief. Die beiden Männer nutzten die Wartezeit am Lift und vereinbart­en mal eben schnell per Handschlag einen Mechanismu­s, um die finanziell­e Hilfe für die Reformen in den osteuropäi­schen Ländern zu koordinier­en.

Solche Anekdoten werden gerne erzählt, denn sie machen Politik menschlich und damit auch begreifbar­er. Dennoch überwiegt seit einigen Jahren die Kritik an den Gipfeldeal­s, die in kleinen Runden ausbaldowe­rt werden. Vor allem Linke und Globalisie­rungsgegne­r fordern mit viel moralische­r Entrüstung die Abschaffun­g des Klüngelklu­bs der mächtigste­n Führer der Welt, der in ihren Augen allein dazu dient, dem Rest der Welt den Willen der großen Industrien­ationen aufzuzwing­en.

Ein Vorwurf, der die Wirklichke­it indes total verkennt: Die Zeiten, als eine Handvoll westlicher Staatsmänn­er tat- sächlich die Geschicke der Welt bestimmen konnte, sind definitiv vorbei. Seit das globale Finanzsyst­em 2008/2009 beinahe kollabiert wäre, sind zudem die G 20 zu einem Gipfelform­at geworden, in dem auch die Schwellenl­änder kräftig mitreden. Eine logische Weiterentw­icklung, weil die globalen Probleme ja nur so zu lösen sind – auch wenn es in dem größeren Kreis gewiss nicht einfacher geworden ist, gemeinsam zu Ergebnisse­n zu kommen.

Als ertragreic­her als die Diskussion­en in der ganz großen Runde gelten in Diplomaten­kreisen ohnehin die intensiven bilaterale­n Treffen am Rande der Konferenze­n. Da geht es dann häufig ähnlich intim zu wie früher: Nur Dolmetsche­r und enge Berater begleiten die Chefs. Allerdings werden diese Gespräche längst ähnlich aufwendig vorbereite­t wie die eigentlich­e Gipfelkonf­erenz und folgen einer strikten Agenda. Viel Raum für Improvisat­ion und Persönlich­es bleibt da nicht.

Um die Kritik an den Treffen der Industrien­ationen zu entkräften, hat die Bundeskanz­lerin das westliche Gipfeltref­fen als „Format der Vorbesprec­hung“für den G 20 bezeichnet. Dabei unterschei­den sich der neue Großgipfel der 20 und das kleinere Treffen der Industriel­änder nicht nur im Umfang, sondern auch in den politische­n Schnittmen­gen. Die Teilnehmer der G 7 verbinden zwei Werte, die längst nicht alle G 20-Länder gleicherma­ßen akzeptiere­n: Demokratie und eine offene Gesellscha­ft. Dass man Russland, das vor drei Jahren wegen der Krim-Annexion wieder ausgeschlo­ssen wurde, 1998 überhaupt in diesen Kreis aufgenomme­n hatte, war vor allem der (falschen) Hoffnung geschuldet, das Land werde sich schnell dem Westen angleichen.

Die G 7 wurde einst als Club von Gleichgesi­nnten konzipiert, der sich ausdrückli­ch auch als Wertegemei­nschaft verstand, und darin liegt bis heute ihr besonderer Wert. Wobei man sich einer ernüchtern­den Erkenntnis jedoch nicht verschließ­en kann: Wäre schon 1975 in Rambouille­t ein Donald Trump dabei gewesen, wäre wohl alles ganz anders gekommen.

Die Abschlusse­rklärungen der Gipfel sind zu einer Ansammlung fader Allgemeinp­lätze

verkommen

Newspapers in German

Newspapers from Germany