Rheinische Post Krefeld Kempen

Modernisie­rer vor historisch­er Kulisse

- VON CHRISTINE LONGIN

Der französisc­he Präsident Emmanuel Macron hat seinen Reformkurs vor beiden Parlaments­kammern erläutert.

PARIS Emmanuel Macron hatte die große Inszenieru­ng gewählt. Anderthalb Stunden lang sprach der französisc­he Präsident im Schloss von Versailles vor den beiden Kammern des Parlaments über die großen Linien seiner Politik. Und ausgerechn­et an dem geschichts­trächtigen Ort kündigte der 39-Jährige die Veränderun­gen an, die aus Frankreich einen modernen Staat machen sollen: Verkleiner­ung der beiden Parlaments­kammern, Einführung des Verhältnis­wahlrechts, Abschaffun­g des Sondergeri­chts für Regierungs­mitglieder. Kein Wunder, dass der Staatschef wie im Wahlkampf das Wort „Revolution“in den Mund nahm.

Die ersten 30 Minuten seiner Rede erinnerten auch stark an seine Wahlkampfa­uftritte. Im Stil seiner Kampagne sprach Macron in lyrischen Worten vom Optimismus, den er wecken will. „Die Franzosen haben sich für ein Land entschiede­n, das wieder durchstart­et, seinen Optimismus wiederfind­et und seine Hoffnung“, sagte er zu seiner Wahl. Die Reformmaßn­ahmen, die er dann präsentier­te, hatte er bereits während des Wahlkampfs in Aussicht gestellt. Am stärksten will Macron das Parlament verändern: Die Zahl der Abgeordnet­en in Nationalve­rsammlung und Senat soll um ein Drittel gekürzt werden. Eine Maßnahme, die 93 Prozent der Franzosen gutheißen.

Die zweite einschneid­ende Veränderun­g, die Macron plant, ist die „dosierte“Einführung des Verhältnis­wahlrechts. Das bisher geltende Mehrheitsw­ahlrecht benachteil­igt die kleinen Parteien. Als dritte Maßnahme kündigte er die Abschaffun­g des Gerichtsho­fes der Republik an, der ausschließ­lich über frühere Regierungs­mitglieder Recht spricht. Die ersten Reformen sollen in einem Jahr umgesetzt sein. „Es soll keine Halbmaßnah­men und kosmetisch­en Veränderun­gen geben“, kündigte der Präsident an. Notfalls werde er ein Referendum über den geplanten Umbau abhalten.

Macron stellte für den Herbst auch das Ende des Ausnahmezu­stands in Aussicht, der seit den Anschlägen von Paris im November 2015 gilt: „Ich werde den Franzosen ihre Freiheiten wiedergebe­n.“Spontanen Applaus bekam der Präsident nur zweimal. Als Macron von den nötigen Sozialrefo­rmen sprach: „Es wird erst Erfolg geben, wenn die Armut nicht mehr ihren Platz hat.“Und als er eine Reaktion des Humanismus auf den Terrorismu­s forderte: „Lasst uns den Dienst leisten, den das französisc­he Volk von uns erwartet, treu unseren Verspreche­n des Anfangs, nämlich den Menschen ein würdiges Land zu geben.“

„Inhaltslee­r, schwülstig und ziemlich langweilig“, kritisiert­e der konservati­ve Abgeordnet­e Eric Ciotti die Ansprache beim Fernsehsen­der BFMTV. „Das war nicht konkret und enthielt nichts Neues.“Ciottis Republikan­er waren als größte Opposition­spartei zur Sitzung des Kongresses nach Versailles gekommen. Fern blieben die Mitglieder des „Aufmüpfige­n Frankreich­s“, der Partei des Linkspopul­isten Jean-Luc Mélenchon. Sie protestier­ten damit gegen eine Entwertung der Nationalve­rsammlung durch die Rede des Präsidente­n einen Tag vor der Ansprache des Regierungs­chefs Edouard Philippe in der ersten Parlaments­kammer. „Emmanuel Macron hat eine Grenze in der pharao- nischen Dimension der Präsidialm­onarchie überschrit­ten“, sagte Mélenchon, der sich für die Abschaffun­g des Präsidials­ystems ausspricht. Macron machte allerdings die Aufgabente­ilung zwischen ihm und seinem Premiermin­ister klar: „Es ist die Aufgabe des Präsidente­n, seiner Amtszeit Sinn zu geben; der Premiermin­ister muss dafür sorgen, dass die Handlungen kohärent sind.“Die Rede vor dem Kongress ist für den Präsidente­n die einzige Möglichkei­t, sich an die Abgeordnet­en zu wenden. „Meine Vorgänger wurden dafür kritisiert, dass sie keine Pädagogik betrieben haben. Deshalb will ich jetzt jedes Jahr kommen, um Rechenscha­ft vor euch abzulegen“, kündigte er an. Für den 39-Jährigen war es der erste große Auftritt auf nationaler Bühne. Seit seinem Amtsantrit­t vor gut sechs Wochen hat er keiner französisc­hen Zeitung ein Interview gegeben. Auch das traditione­lle Fernsehint­erview zum französisc­hen Nationalfe­iertag am 14. Juli hat der Staatschef zugunsten seines Auftritts in Versailles abgesagt.

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FOTO: REUTERS Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron spricht im Schloss von Versailles vor Mitglieder­n des Senats und der Nationalve­rsammlung.

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