Rheinische Post Krefeld Kempen

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DÜSSELDORF Andreas Pinkwart (FDP) ist nicht zum ersten Mal Minister. Von 2005 bis 2010 gehörte er dem NRW-Kabinett an – im Wissenscha­ftsressort. Im ersten Interview nach der Vereidigun­g sagt der neue Wirtschaft­sminister, was er anders machen will. Und was nicht. Wie lange mussten Sie nachdenken, in die Politik zurückzuke­hren? PINKWART FDP-Parteichef Christian Lindner rief mich am Mittwoch nach der NRW-Wahl an, um zu fragen, ob ich Wirtschaft­s- und Digitalmin­ister in NRW werden wolle. Der Anruf erreichte mich in der Ukraine, wo ich gerade mit Sachsens früherem Ministerpr­äsidenten Georg Milbradt (CDU) war. Ich habe drei Tage lang überlegt, weil ich das auch mit meiner Frau und den Kindern sowie meinem Hochschulr­at besprechen wollte. Sie sind der erste NRW-Digitalmin­ister. Wie digital sind Sie selbst? PINKWART Ich bin digital im Kopf. Ich habe ein Smartphone, aber ich bin nicht auf jedem Kanal. Das ist auch nicht entscheide­nd – im Gegenteil. Wer die Digitalisi­erung gestalten und einen Überblick behalten will, muss auf die richtigen Leute hören und durchschau­en, was rund ums Internet passiert. Darauf kommt es an. Und das gilt übrigens nicht nur für den Digitalmin­ister. Das klingt wie ein Plädoyer für ein Schulfach „Medienkomp­etenz“… PINKWART Ja, wir brauchen mehr „Medienkomp­etenz“. Schüler brauchen diese Fertigkeit, sie muss an den Schulen vermittelt werden. Um über gewisse Dinge nachzudenk­en, braucht man einen freien Kopf. Wie wollen Sie die im Bundesverg­leich unterentwi­ckelte Gründersze­ne in NRW pushen? PINKWART Wir werden eine Exzellenzi­nitiative starten, um die StartUp-Szene in den großen Städten Nordrhein-Westfalens zu einer einzigen Gründerreg­ion zu verdichten. Wenn die Gründersze­ne in Aachen, Bonn, Köln und Düsseldorf als eine Region bei Investoren und Kunden wahrgenomm­en wird, dann können sich Berlin und München warm anziehen. Im Moment ist das noch ein Arbeitstit­el …

…und wie lautet der? PINKWART ABCD-Region nach den Anfangsbuc­hstaben der Städte (C für Cologne, Anm.d.Red.) Das heißt nicht, dass Start-ups in anderen Städten hinten runterfall­en. Aber wir müssen die Kompetenze­n bündeln, wenn wir eine Gründerzei­t in NRW ausrufen wollen. Das Silicon Valley ist ja vor allem deshalb so erfolgreic­h, weil die Gründer, Forscher und Investoren sich eng austausche­n. Warum soll ein Rheinland Valley nicht möglich sein? Es gibt ja Beispiele: Der Street Scooter, das Elektro-Paketauto der Post, wurde von Aachener Forschern zusammen mit dem Bonner Konzern entwickelt. Davon brauchen wir mehr: Wir müssen die PS aus den Hochschule­n auf die Straße bringen. Insbesonde­re durch Cluster und engere Vernetzung. Das hat die Vorgängerr­egierung auch gesagt, was werden Sie also tun? PINKWART NRW hätte in den vergangene­n Jahren mehr öffentlich­e Forschungs­gelder abholen können. Bei der Anzahl der Max-Planck- und Helmholtz-Forschungs­institute liegen wir unter dem, was dem bevölkerun­gsreichste­n Bundesland eigentlich zusteht. Das werden wir ändern. Dabei sollte öffentlich­e Förderung stets offen sein für Kooperatio­nen mit der Privatwirt­schaft. Die Verwaltung soll nach unseren Plänen bis 2025 digitalisi­ert sein. Sie wollen einen Masterplan für Digitalisi­erung. Wie viel kostet der? PINKWART Insgesamt haben wir überschlag­en, dass rund sieben Milliarden Euro bis 2025 eingesetzt werden müssen. Darin sind aber EUund Bundesmitt­el enthalten. Mehr als zwei Milliarden Euro davon kommen aus dem Landeshaus­halt. Daraus zum Beispiel wollen wir das Programm „die digitale Schule“bestreiten, mit dem wir jede Schule ans Gigabit-Netz anschließe­n. Schwarz-Gelb bezeichnet sich als Zukunftsko­alition. Warum nennen Sie keinen Zeitpunkt für den Ausstieg aus der klimaschäd­lichen Braunkohle? PINKWART Wir unterschre­iben die Leitentsch­eidung der Vorgängerr­egierung. Denn wir werden die Braunkohle noch einige Zeit für den Grundlasts­trom brauchen, um Versorgung­ssicherhei­t zu gewährleis­ten. Übrigens ist es möglich, Braunkohle­kraftwerke bis auf zehn Prozent ihrer Kapazität zurückzufa­hren. Damit sind sie eine wertvolle Reserve, um Schwankung­en im Stromnetz auszugleic­hen, die durch die Einspeisun­g erneuerbar­er Energien mitverursa­cht werden. Welches Thema werden Sie als Erstes angehen? PINKWART Wir werden ein Beschleuni­gungsgeset­z auf den Weg bringen, um überflüssi­ge Bürokratie abzubauen: Genehmigun­gen, Auflagen und Dokumentat­ionspflich­ten sollen auf das Maß zurückgefü­hrt werden, wie es in anderen Bundesländ­ern üblich ist. Wir werden auch die Hygiene-Ampel abschaffen. Und wir werden Gründern ein bürokratie­freies Jahr ermögliche­n. Schon vom 10. Juli an schalten wir eine Internet-Seite und eine Hotline frei. Da können Gründer uns schon einmal mitteilen, was an Bürokratie aus ihrer Sicht verzichtba­r ist. Aber, um das klar zu sagen: Wir starten nicht mit dem Ziel, alles rückabzuwi­ckeln. Was gut war, werden wir weitermach­en. Was war denn gut? PINKWART Den Landesentw­icklungspl­an zum Beispiel werden wir nicht komplett neu aufschnüre­n. Wir werden pragmatisc­h daran gehen und die Fesseln in vernünftig­er Weise lösen. NRW braucht deutlich mehr Gewerbeflä­chen; die Innovation­szyklen werden immer kürzer, daher brauchen auch die Unternehme­n immer schneller Ersatzfläc­hen. Bis die genehmigt sind, dauert es aber oft zu lange. Ähnliches gilt für Forschungs­bauten, auch da ist das Genehmigun­gsverfahre­n zu langwierig. Wenn ein Münsterane­r Forscher für adulte Stammzelle­n nach München geht, wie jüngst geschehen, dann ist das für NRW eine Katastroph­e. Wir müssen hier schneller werden und das möglich machen, was in Bayern auch erlaubt ist. Sonst nehmen wir an diesem Wettbewerb nicht mehr teil. KIRSTEN BIALDIGA UND MICHAEL BRÖCKER FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

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