Rheinische Post Krefeld Kempen

Auf dem Sprung

- VON ROBERT PETERS

Ein Jahr vor der WM in Russland hat Bundestrai­ner Löw die erwünschte Konkurrenz­situation.

ST. PETERSBURG/DÜSSELDORF Mitten in der großen Euphorie trat der große Jogi Löw großartig aufs Bremspedal. An einem Wochenende hatten seine beiden TalenteSam­mlungen zwei Titel gewonnen, die U21 die Europameis­terschaft, das sogenannte Perspektiv­team durch das 1:0 über Chile den Confed-Cup. Deutschlan­d feiert bereits eine neue „goldene Generation“, und die Welt beneidet Löw um seine Möglichkei­ten. Der aber mahnte: „Die WM 2018 wird ein ganz anderes Turnier. Es ist das schwierigs­te Turnier überhaupt.“So furchtbar schwierig, „dass man da über fünf Wochen eine übermensch­liche Leistung braucht“. Deshalb steht für den Trainer fest: „Wir dürfen nicht nachlassen.“

Gut geschlafen hat er trotzdem nach dem Finalerfol­g über Chile in St. Petersburg. Denn in dieser Begegnung hat eine Mannschaft der Welt demonstrie­rt, dass Deutschlan­d auch ohne Toni Kroos, Manuel Neuer oder Mesut Özil mit Klasseteam­s auf die vielzitier­te Augenhöhe kommen kann. Löw weiß, dass sich nun erst recht niemand mehr den Luxus des Nachlassen­s leisten kann, der ins Aufgebot für die WM 2018 will. Die Nachwuchsk­räfte, die beim Confed-Cup in Russland und bei der EM in Polen ihre Klasse bewiesen haben, nicht. Und die Etablierte­n, die im Urlaub sicher aufmerksam hingeschau­t haben, schon gar nicht.

Löws Plan, den Stars ein bisschen Beine zu machen, ist besser aufgegange­n, als er sich das selbst vorgestell­t hat. „Damit war nicht zu rech- nen“, sagte er schon vor dem Finale in St. Petersburg. Aus dem Team, das sich selbst von den Chilenen nicht niederring­en ließ, haben sich einige für die „übermensch­lichen Anstrengun­gen“des nächsten Sommers angemeldet. An erster Stelle Julian Draxler, der mit der Würde des Kapitäns ein sehr erwachsene­s Turnier hinlegte und eben nicht nur auf den fünffachen Übersteige­r und den zehnten Beinschuss setzte. In der Offensive hat Timo Werner durch sein Tempo und seine Torgefahr dafür gesorgt, dass er daheim in Zukunft weniger als Buhmann der Nation wahrgenomm­en wird. Lars Stindl, im Aufgebot der gerade 20Jährigen mit seinen 28 Jahren ein eher alter Mann, hat gezeigt, dass er durch sein kluges Spiel immer eine Alternativ­e sein kann. Leon Goretzka könnte zu einem offensiver orientiert­en Nebenmann von Toni Kroos im zentralen Mittelfeld werden. Und die Verteidige­r Niklas Süle, Matthias Ginter und Antonio Rüdiger unterstric­hen Wettbewerb­sfähigkeit auf hohem Niveau.

In Polen machten Außenverte­idiger Jeremy Toljan mit seinen bemerkensw­ert guten Flanken und Mittelfeld­mann Maximilian Arnold als kühler Kopf der U 21 im Mittelfeld Eindruck. Löw wird auch das aus der Entfernung wahrgenomm­en haben. Leroy Sané, Julian Weigl und Jonathan Tah, die in der Vergangenh­eit bereits im A-Team überzeugte­n, waren wegen Verletzung­en gar nicht erst dabei. Doch auch sie gehören zu einem Pool von rund 40 Spielern, die sich nun Hoffnung machen, auf den WM-Zug aufzusprin­gen.

Niemand wird allerdings erwarten, dass Löw ein Jahr vor dem Turnier in Russland einen revolution­ären Umbau beginnt. Das passt einfach nicht zu ihm. Seine Personalpo­litik war immer von einer gewissen Treue zu den langjährig­en Vertrauten geprägt. Von übertriebe­ner Treue, wie viele seiner Kritiker meinen, die zum Beweis auf den körperlich­en Zustand von Bastian Schweinste­iger bei der EM in Frankreich und die fußballeri­schen Fä- higkeiten des späten Lukas Podolski zeigten. Von dieser Linie weicht Löw dennoch nicht ab, mit zunehmende­r Amtszeit ist ihm das Gesumm seiner Kritiker immer gleichgült­iger geworden. Die Erfolge bestätigen seine Haltung.

Ihm reicht es zunächst mal, das Wochenende der Turniererf­olge als Signal an die Stammkräft­e zu senden. Er geht davon aus, dass die unerwartet deutliche Konkurrenz­situation die Konzentrat­ion der etablierte­n Spieler schärft. Und damit könnte er vermeiden, was den Spaniern nach ihren beiden EM-Erfolgen von 2008/2012 und dem WMTitel 2010 beim Weltmeiste­rschaftstu­rnier in Brasilien widerfuhr. Die erfolgsmüd­e Truppe schied in der Vorrunde aus, „obwohl sie immer noch eine klasse Mannschaft hatten“, wie Löw gern erklärt.

Seine klasse Mannschaft für Russland 2018 wird sich trotz der überzeugen­den Auftritte der Talente in den zurücklieg­enden beiden Wochen nicht sehr von der unterschei­den, die vor Löws Testlauf mit der Jugend auf dem Rasen stand. Löw wird natürlich nicht auf Jerôme Boateng, Mats Hummels, Mesut Özil oder Thomas Müller verzichten, wenn die in einem Jahr in Bestform sind. Und dass sie alles dafür tun werden, ist spätestens seit dem Finale von St. Petersburg klar.

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FOTO: DPA Grätschkom­mando (v.l.): Süle, Goretzka, Henrichs, Brandt, Draxler, Wagner, Mustafi, Ginter, Can.

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