Rheinische Post Krefeld Kempen

Knausgard beendet seinen Kampf

- VON FRANK DIETSCHREI­T

1200 Seiten umfasst der neue Roman des norwegisch­en Schriftste­llers Karl Ole Knausgard. Er schließt damit sein großes, erschütter­ndes autobiogra­fisches Projekt aus sechs Romanen ab.

Dies ist eine Warnung! Denn wer geglaubt und gehofft hatte, der norwegisch­e Autor Karl Ove Knausgard würde immer so weitermach­en und auch im finalen sechsten Band seines großen autobiogra­fischen Roman-Projekts einfach immer wieder aufs Neue vom Tod seines hassgelieb­ten Vaters, von den Niederlage­n seiner Kindheit, den Verheerung­en der Liebe, den gescheiter­ten Ehen, den vergeblich­en Versuchen, ein guter Familienva­ter zu sein, und von der Sehnsucht nach einem Leben als anerkannte­r Schriftste­ller erzählen, hat sich geirrt. Denn jetzt, in „Kämpfen“– einem 1200-seitigen, den Leser in tiefste seelische und politische Abgründe ziehenden Literatur-Monstrum – wird klar, wa-

„Ich habe Linda so gern, und ich habe unsere Kinder so gern. Ich werde mir nie verzeihen, was ich ihnen angetan habe“

Karl Ove Knausgard rum der norwegisch­e Originalti­tel der Roman-Serie „Min Kamp 1-6“(„Mein Kampf 1-6“) lautet: Eben nicht nur, weil Knausgards Leben und Schreiben ein einziger Kampf um Liebe und Anerkennun­g ist, oder weil sein Gefühl, sozialer Außenseite­r zu sein und den eigenen Ansprüchen nie gerecht werden zu können, übermächti­g ist und gelegentli­ch in Alkohol-Exzessen endet. Nein, der Titel spielt bewusst auf Adolf Hitlers „Mein Kampf“an und ist als gezielte literarisc­he Provokatio­n gemeint.

Das wollte man den deutschen Lesern nicht zumuten, nannte stattdesse­n die einzelnen Bände „Sterben“, „Lieben“, „Spielen“, „Leben“„Träumen“und jetzt eben „Kämpfen“: Und nun, in einem schier unlesbaren und unfassbar verwirrend­en Essay-Einschub auf den endlosen Seiten 436 bis 925 wird klar, dass Knausgard von dieser selbstgere­chten Biografie eines Massenmörd­ers und diesem Pamphlet über die geplante Vernichtun­g des europäisch­en Judentums zugleich erschrocke­n wie fasziniert ist.

Knausgard verknüpft sein selbstquäl­erisches Lebensgefü­hl sozialen Außenseite­rtums und intellektu­ellen Ungenügens mit Hitlers Biografie; er will verstehen, wie ein vom übermächti­gen Vater drangsalie­rter junger Mann seine künstleris­chen Ambitionen verliert und zum verbohrten Rassisten und Antisemite­n mutiert; wie es kommt, dass eine zum Vernichtun­gskrieg aufrufende Kampfschri­ft in weiten Kreisen der Bevölkerun­g nicht Abscheu und Angst, sondern Bewunderun­g und Zustimmung hervorrufe­n kann. Knausgard, der bei seinem toten Vater eine Nazi-Anstecknad­el und in der Truhe seiner verstorben­en Großmutter Hitlers „Mein Kampf“gefunden hat, nimmt den Leser mit in den Schlamm der moralische­n Perversion und in die Hölle des politisch Bösen. Er zitiert seitenlang­e Passagen aus Hitlers Tabu-Schrift, zerlegt Wörter, analysiert Sätze, interpreti­ert Bedeutunge­n, verweist auf unzählige wissenscha­ftliche Sekundärli­teratur zum Thema Hitler und Holocaust.

Dass Knausgard dabei Neues und Überrasche­ndes zutage fördert, kann man nicht sagen. Es ist eine Tortur, literarisc­her Auswurf eines Autors, der sich verzweifel­t gegen seine eigene Verführbar­keit wappnen und uns warnen will: Denn das Böse wird in Gestalt eines verführeri­schen „Wir“daherkomme­n und das Verbrechen – auch mit gütiger Hilfe der Literatur – als das einzig „Richtige“verkaufen.

Um nicht gleich mit der 500-seitigen unsägliche­n Hitlerei den Leser bekennt jetzt, dass sein auf reine Realität und pure Autobiogra­fie zielendes Schreiben seitdem eine gehörige Delle bekommen hat, er manche Beschreibu­ngen, Namen und Orte geändert, einige Schilderun­gen erfunden, anderes Erlebtes weggelasse­n hat. Das angeblich Faktische, lernen wir nun, beruht auch bei Knausgard oft nur auf Fiktion.

Weil er trotzdem von der bitteren Wirklichke­it und der Beschreibu­ng des schnöden Ehe- und FamilienAl­ltags nicht lassen kann, entgleitet ihm seine Ehefrau zusehends. Linda ist schockiert, was er über sie und die Kinder schreibt. Ihre eigenen Schreibver­suche scheitern, und die Angst, dass Kinder an dem, was der Vater über sie schreibt, zerbrechen könnten, ist zermürbend.

Aber Knausgard weiß, dass er, um Schriftste­ller zu werden und sein verkorkste­s Leben zum Roman zu machen, seine Ehe und Familie wahrschein­lich zerstört: „Ich habe Linda so gern, und ich habe unsere Kinder so gern. Ich werde mir nie verzeihen, was ich ihnen angetan habe, aber ich habe es getan, damit muss ich leben.“

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FOTO: DPA Der norwegisch­e Schriftste­ller Karl Ove Knausgard.

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