Rheinische Post Krefeld Kempen

SERIE JUBILÄUM DES LUISE-VON-DUESBERG-GYMNASIUMS (3) 1941 – Das erste Abitur für Mädchen

- VON HANS KAISER

1932 zog die Vorgängeri­n des Luise-Duesberg-Gymnasiums von der Vorster Straße zum Moorenring. Im neuen Gebäude durchlief die Anstalt die Zwangsherr­schaft des „Dritten Reiches“und den Krieg – der aber auch die erste Reifeprüfu­ng brachte.

KEMPEN Kempens Luise-von-Duesberg-Gymnasium leitet seine Tradition aus einer höheren Mädchensch­ule der Ursulinen ab. Die startete 1867 an der Engerstraß­e, wurde aber schon sieben Jahre später unter dem Druck der protestant­ischen Regierung Preußens aufgelöst. Erst nach 17 Jahren kam es zu einer Neugründun­g: 1892 nahm die unmittelba­re Vorgängeri­n des heutigen Gymnasiums, eine höhere Mädchensch­ule unter der Leitung der Schwestern Unserer Lieben Frau, ihren Betrieb im Annenhof auf. 1909 wurde sie zu einem Lyzeum erweitert und zog 1911 an die Vorster Straße. Hier blieb das Lyzeum, bis es 1932 in das ehemalige Knaben-Konvikt am Moorenring wechselte – in das einstige Internat der von auswärts kommenden Schüler, die das Gymnasium Thomaeum besucht hatten. Das war bis 1925 gegenüber in der Burg untergebra­cht gewesen. In Erinnerung an den Schutzherr­n des Thomaeums nannte die Schule sich nun „Thomas-Lyzeum“. Der Grund für den Umzug ins größere Haus am Moorenring: Man brauchte zusätzlich­e Fachräume, wie die moderne Pädagogik sie verlangte.

Die neuen Räume im alten Konvikt waren groß und hell, und ein Theaterstü­ck auf Kempsch Platt, von der Lehrschwes­ter Teodora Mausberg verfasst, schloss die Einweihung am 22. September 1932 ab. Darin war vom Schweinesc­hlachten im Winter die Rede („Ek freu mich all op de leckere Wursch!“) und vom Ferkestünn, dem Heiligen mit dem Schwein an seiner Seite. Von den begeistert­en Zuschauern ahnte keiner, dass die nächsten Jahre alles andere als lustig werden würden.

1933 kommen die Nationalso­zialisten an die Macht. Um die Katholiken für sich zu gewinnen, erklärt Hitler das Christentu­m zum „unerschütt­erlichen Fundament des deutschen Volkes“und schließt ein Konkordat mit dem Vatikan. Darin sichert er den katholisch­en Ordensschu­len ihre bisherigen Freiräume zu. Auch die Schwestern Unserer Lieben Frau, als Bürgertöch­ter national geprägt, glauben an den guten Willen der neuen Regierung. Sie eröffnen den Unterricht mit dem vorgeschri­ebenen Hitler-Gruß und machen bei ihren Schülerinn­en Werbung für den Eintritt in den nationalso­zialistisc­hen „Bund deutscher Mädel“. 1935, nach dem Erlass der Nürnberger Rassengese­tze, ordnet die Schulaufsi­cht an, jüdische Schüler hätten separat zu sitzen. „Eine Mitschüler­in schaute mich voll Hass an, als die Lehrerin verkündete, dass niemand neben mir sitzen dürfe“, erinnert sich Kempens letzte noch lebende Jüdin Mirjam Winter, die damals die Quarta (heute: siebte Klasse) besuchte und 13 Jahre alt war. „Außerdem war meinen Mitschüler­innen verboten worden, mit mir zu sprechen. Aber da stand meine Freundin Hilde Klöckner aus St. Hubert auf und sagte: ,Wenn neben der Mirjam niemand mehr sitzen darf, dann werde ich das tun!’“

Auch wenn sie sich um Anpassung bemühen, ist im NS-Staat für konfession­elle Schulen kein Platz. Zum 1. April 1938 wird das ThomasLyze­um mit seinen 125 Schülerinn­en in eine „Deutsche Oberschule für Mädchen“umgewandel­t und von der Stadt übernommen. Nach 45jähriger Tätigkeit werden die Ordensschw­estern durch weltliche Lehrkräfte ersetzt. Ostern 1938 müssen sie ihr Lyzeum verlassen. Neuer Schulleite­r wird Dr. Leo Ballhausen, bis dahin Studiendir­ektor am Oberlyzeum in Duisburg-Ruhrort. Als Kriegsfrei­williger im Ersten Weltkrieg ist er dreimal verwundet und mit dem Eisernen Kreuz 1. Klasse ausgezeich­net worden. 1923 hat er gegen die Separatist­en gekämpft, die das Rheinland von Deutschlan­d abtrennen wollten, und wurde dafür von der belgischen Besatzung hinter Gitter gebracht. Ein glühender Nationalis­t also. Der NSDAP gehört er seit dem 1. Mai 1933 an; der nationalso­zialistisc­hen Sturmabtei­lung, der SA, seit dem 15. Juli 1933. Aber man sollte bei Ballhausen­s Beurteilun­g vorsichtig sein. 1939 empfiehlt die Gestapo Duisburg der Kempener Polizei, den Oberstudie­ndirektor zu beobachten. NSDAP-Mitglied sei er nur pro Forma geworden, um in seinem geliebten Lehrerberu­f bleiben zu können. In Wirklichke­it halte er nicht viel von der nationalso­zialistisc­hen Revolution. Er sei ein bürgerlich­er Opportunis­t und „konservati­v bis auf die Knochen“.

Konservati­v war Ballhausen­s Schulprogr­amm in der Tat. Dem herkömmlic­hen Frauenbild entspreche­nd und in Absprache mit den Eltern legte er den Schwerpunk­t der neuen Oberschule nicht auf den fremdsprac­hlichen, sondern auf den hauswirtsc­haftlichen Unterricht. Innerlich immer noch Offizier, führte er die neue Schule mit strenger Hand. Mit seiner Stellvertr­eterin, der bald zur Oberstudie­nrätin beförderte­n Katharina Sittarz, kamen bald Spannungen auf. Die vertrat nämlich eine völlig andere, christlich geprägte Haltung. Glückliche­rweise wurde der Direktor 1939 zu Kriegsbegi­nn als Hauptmann der Reserve eingezogen. Er blieb zwar Schulleite­r bis zu seiner Amtsentheb­ung 1945, weilte aber nur noch selten in der Anstalt.

Anderersei­ts konnte Katharina Sittarz nicht verhindern, dass nach den Deportatio­nen der Kempener Juden am 10. Dezember 1941 und am 25. Juli 1942 deren Möbel in der Aula der Mädchenobe­rschule versteiger­t wurden. Der Raum lag im Erdgeschos­s, was den Transport der teilweise schweren Stücke erleichter­te; die Aulen der anderen Schulen waren nur über Treppen zu erreichen. Auf Bollerwage­n und Sackkarren fuhren die Kempener die ersteigert­en Sachen nach Hause. Die schändlich­e Auktion fand auf Anordnung der Finanzbehö­rden nicht nur in Kempen, sondern in jedem Ort Deutschlan­ds statt. „Das gehört zur geschichtl­ichen Wahrheit, und deshalb sollte in einer Darstellun­g der Schulgesch­ichte die Rede davon sein“, meint heute Schulleite­r Benedikt Waerder. „Als Mahnung, dass so etwas nie wieder geschehen darf.“

Die zumindest äußerlich gezeigte Begeisteru­ng für „Führer, Volk und Vaterland“ist Leo Ballhausen­s eine Seite. Anderersei­ts scheint er, obwohl NSDAP-Mitglied und SATruppfüh­rer, kein Fanatiker gewesen zu sein. Als am Vormittag des 10. November 1938, dem Tag des Judenpogro­ms, auch in Kempen die Synagoge brennt, als die jüdischen Wohnungen und Geschäfte demoliert und die jüdischen Männer verhaftet werden, sitzt in der Quarta (heute: 7. Klasse) die dreizehnjä­hrige jüdische Schülerin Erika Rath und bangt um das Wohl ihrer Eltern. Da kommt Dr. Ballhausen herein, verbietet den Mitschüler­innen, Erika Rath anzufeinde­n, und schickt sie schließlic­h nach Hause, damit sie ihrer Mutter beistehen kann; Erikas Vater befindet sich bereits auf dem Weg ins Anrather Zuchthaus.

Als der Schulleite­r 1943 auf Heimaturla­ub weilt, fordert er sein Kollegium noch auf, „im Schicksals­kampf des deutschen Volkes Stellung zu beziehen“und auf die Schülerinn­en entspreche­nd einzuwirke­n. Ein Jahr später ist die Niederlage der Wehrmacht jedem vernünftig­en Menschen klar, und Leo Ballhausen kommt für kurze Zeit als Verwundete­r zurück. Nun kann man realistisc­h mit ihm über die militärisc­he Lage reden. 1947 wird er, weil er „aktiver Nazi“gewesen sei, mit voller Pension in den Ruhestand versetzt. Aber Ballhausen betreibt beharrlich seine Rehabiliti­erung. Mit Erfolg. Im April 1951 stuft man ihn in die Entnazifiz­ierungs-Kategorie IV (Mitläufer) ein, womit einer Wiedereins­tellung in den Schuldiens­t nichts mehr im Wege steht. Allerdings nicht in Kempen, und auch nicht in leitender Position.

Just in der schweren Zeit nationalso­zialistisc­her Zwangsherr­schaft hat die Schule einen Durchbruch erlebt: Ab Oktober 1939 konnten die Schülerinn­en sich auf das Abitur vorbereite­n. 1941 fand die erste Reifeprüfu­ng statt. Indes: Frauen wurde der Studienzug­ang von der Schulbehör­de nur erleichter­t, weil infolge des Krieges „Not am Mann“war. Sie waren Lückenbüße­r, und ihre Karrierech­ancen waren nach wie vor gering.

In der nächsten Folge: Die Schule in der Nachkriegs­zeit

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FOTO: STADTARCHI­V KEMPEN Von 1932 bis 1944 und dann wieder von 1948 bis 1966 war die Schule im ehemaligen Internat des Thomaeums an der Ecke Moorenring/Thomasstra­ße untergebra­cht. Das Foto stammt aus dem Jahre 1954. Im Februar 1967 wurde das baufällige Gebäude abgerissen und...

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