Rheinische Post Krefeld Kempen

Der vergessene Naturschüt­zer

- VON ALFRED KNORR

Josef Nießen hat unter anderem das Leben von Pflanzen und Insekten untersucht und zahlreiche Bücher geschriebe­n. Bereits früh warnte er vor dem Aussterben bestimmter Rassen. Sein schwarzer Fleck ist die NS-Zeit.

KEMPEN Er ist wenig bekannt und im Internet nur mit einigen Büchern aus dem Antiquaria­t zu finden. Dennoch ist Joseph Nießen (auch Niessen) ein Pionier der niederrhei­nischen Heimatfors­chung und des Naturschut­zes. Seine Liebe zur Natur, zu Wiesen und Heide, brachte ihm schon bald von seinen Schülern den Ehrennamen „Blumen-Nießen“ein. Diese Freude an Natur und Heimat versuchte er zeitlebens an die nächste Generation weiter zu geben, an seine Schüler der Volksschul­en an verschiede­nen Orten des Niederrhei­ns und an seine Seminarist­en in Kempen.

Nießen wurde am 27. März 1864 in Straeten, heute Teil von Heinsberg, geboren. Er wuchs auf dem elterliche­n Hof auf. Kühe und Schafe waren seine Kameraden, Blumen und Pflanzen seine Freunde. Ginge es nach dem Willen seines Vaters, der eigentlich Weber war, so solle er, der mit der Scholle verwurzelt ist, als Glied einer langen Geschlecht­erreihe, den Hof seiner Eltern fortführen. „Ich will keinen Studenten, es sei denn, dass er Pastor werde“, meinte sein Vater. Seine Mutter Barbara dachte anders und hatte Verständni­s für den talentiert­e Sohn, der Lehrer werden wollte. Schon im Alter von 16 Jahren durfte er in einer benachbart­en Schule des Selfkants als Schulhelfe­r unterricht­en. 1889 heiratete Nießen Bertha Hauses aus St. Hubert, wo das Paar die ersten Jahre auch wohnte. Aus der Ehe gingen eine Tochter und sieben Söhne hervor. Nießen unterricht­ete an verschiede­nen katholisch­en Volksschul­en Heimatkund­e und Biologie und legte 1894 und 1895 seine Mittelschu­llehrer- und Rektorprüf­ung ab, bevor er ab 1901 als Seminarleh­rer an das Königliche Katholisch­e Lehrersemi­nar im ehemaligen Franziskan­erkloster zu Kempen berufen wurde. Hier zeigte er den jungen Lehrern den Weg zu einem natur- und volksverbu­ndenen Unterricht. Ab 1913 war er am Katholisch­en Lehrersemi­nar in Brühl als Seminarobe­rlehrer und Seminarstu­dienrat tätig, bis er 1926 als Dozent an die neugegründ­ete Bonner Katholisch­en Pädagogisc­hen Akademie berufen wurde, wo er ein Jahr später den Titel Professor verliehen bekam.

Schon 1892 vollendete er auf dem Krusenhof in St. Hubert sein erstes Büchlein „Heimatkund­e des Kreises Kempen“(erschienen 1894), dass er 1909 für den Schulgebra­uch bearbeitet­e. Seine patriotisc­he Gesinnung zum preußische­n Königreich, zu dem das Rheinland seinerzeit gehörte, kommt in diesem Heimatkund­ebuch deutlich hervor.

Wissenscha­ftliche Veröffentl­ichungen aus dem Bereich der Tiermedizi­n erscheinen zwischen 1906 und 1912, als Nießen in Kempen mit dem Leiter der Landwirtsc­haftlichen Versuchsst­ation, Dr. A. Y. Grevillius, den „Naturwisse­nschaftlic­h medizinisc­hen Verein“gründete.

Für Nießen gehören zur Heimatkund­e mit den hier vorkommend­en Pflanzen und Insekten auch die „Sagen und Legenden vom Niederrhei­n“, die er gesammelt und in zwei Bändchen 1909 und 1911 mit Anmerkunge­n dazu herausgege­ben hat. Sein wissenscha­ftliches Werk krönte Nießen mit der Herausgabe der zweibändig­en „Rheinische­n Volksbotan­ik“von 1936/37, die sich wesentlich auf seine Forschunge­n im Gebiet des Kreises Kempen stützt.

Sehr ausführlic­h beschäftig­te sich Nießen mit den Motten und Landwehren im ehemaligen Kreis Kempen, aber auch mit denen im übrigen Rheinland. Die Motten sind wasserumri­ngte Erdhügel mit einem hölzernen Turm, dem Bergfried. Solche Erdhügelbu­rgen wurden im Rheinland zwischen dem 11. und 14. Jahrhunder­t errichtet, um dem Menschen der damaligen Zeit bei feindliche­r Gefahr eine Rückzugs- und Verteidigu­ngsmöglich­keit zu bieten. An der Motte „Horbes Bergske“in der Grasheide ließ Nießen 1912 sogar Grabungen durch seine Seminarist­en vornehmen, aber es fand sich nichts, was über Alter und Zweck der Anlage hätte Auskunft geben können. Nießen war es auch, der als erster auf die im Kreis Kempen liegenden Reste von Landwehren öffentlich aufmerksam machte.

Mit 65 Jahren übernahm Nießen noch ein neues Amt. Er wurde ab 1929 zum Kreisbeauf­tragten für Naturschut­z im Stadt- und Landkreis Bonn berufen und blieb es bis zu seinem Tod im Jahre 1942. In dieser Zeit stellte Nießen ein vollständi­ges Verzeichni­s von 149 Naturdenkm­alen auf und bearbeitet­e und betreute sie bis in alle Einzelheit­ern hinein.

Aus seinen Büchern und Artikeln gewinnt der Leser von Joseph Nießen das Bild eines glühenden Patrioten, eines Kämpfers für den Naturschut­z und für die Heimat. Auch nach seiner Pensionier­ung als Akademie-Professor 1929 setzte er sich für den Schutz und für die Pflege der heimatlich­en Natur in allen ihren Erscheinun­gsformen ein, für Pflanzen und Tiere, für Naturdenkm­ale und Naturschut­zgebiete, die wegen ihrer Seltenheit, Schönheit, Eigenart oder wegen ihrer wissenscha­ftlichen, heimatlich­en, forst- oder jagdlichen Bedeutung allgemein wertvoll und deshalb erhaltensw­ert sind. Genau dieses Ziel verfolgte das neue Reichsnatu­rschutzges­etz im „Dritten Reich“, und dies zum ersten Mal reichsweit. Dieses Gesetz war ganz im Sinne Nießens, der allerdings nie Mitglied der NSDAP gewesen ist.

Er bekleidete als Naturschut­zkommissar zu dieser Zeit immer noch ein staatliche­s Amt und sollte sich deshalb den Nationalso­zialisten verpflicht­et fühlen. Er handelte so wie die meisten Naturliebh­aber dieser Zeit: Was dem Naturschut­z dient, kann nicht schlecht sein. Sie übersahen dabei die verbrecher­ische Politik des nationalso­zialistisc­hen Regimes.

Aus heutiger Sicht war Nießen einer der ersten Naturschüt­zer, der in seinen Beiträgen schon vor mehr als 100 Jahren das Verdrängen und schließlic­h Sterben von einheimisc­hen Pflanzen und Tieren beklagte, damals vor allem durch Entwässeru­ng des Bodens oder der Gewinnung von Ackerland zu einer landwirtsc­haftlichen Ertragsste­igerung.

Mit 78 Jahre zog sich Josef Nießen auf einer Wanderung den Keim zu einer tückischen Krankheit zu, von der er sich nicht mehr erholte und vor 75 Jahren, also 1942, gestorben ist.

Nießen unterricht­ete

an verschiede­nen katholisch­en Volksschul­en Heimatkund­e

und Biologie

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RP-FOTO (ARCHIV): JÜRGER LAASER Auch Motten in der Region hat Josef Nießen untersucht. Das Bild zeigt eine solche Erdhügelbu­rg bei einem Bauernhof in Posterholt bei Roermond.

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