Rheinische Post Krefeld Kempen

Wahlkampfk­ick eines Kanzlerkan­didaten

- VON JAN DREBES

SPD-Chef Martin Schulz will mit seiner Sommerreis­e für das Parteiprog­ramm werben. Überlagert wird die Tour durch NRW jedoch von der zunehmend hart geführten Debatte um die G 20-Ausschreit­ungen.

KÖLN Für Martin Schulz geht an diesem verregnete­n Mittwoch ein Traum in Erfüllung. Zum ersten Mal darf er auf dem Rasen des 1. FC Köln ein paar Bälle treten. Mit glatter Ledersohle, in Anzug und Krawatte passt er jungen Flüchtling­smädchen zu, die Mitglieder eines Integratio­nsprojekts des Vereins sind. Er bestaunt den Hackentric­k einer Spielerin, versucht es selbst aber lieber nicht. „Dafür müsste ich andere Schuhe haben“, sagt er knapp.

Eigentlich wollte der SPD-Chef aus der Kleinstadt Würselen bei Aachen Fußballer werden, sehnte sich einst nach einer Karriere als Profi. Ein kaputtes Knie habe das zunichte gemacht, erzählt Schulz oft und gerne in diesem Wahlkampf. Dennoch zieht er Parallelen aus dem Sport zu seinem Job als Kanzlerkan­didat im Wahlkampf. „Die Fähigkeit, die man entwickeln muss, wenn man Fan des 1. FC Köln ist: nie aufgeben“, sagt Schulz. „Und den Kölschen Dreisatz beherzigen: Et es wie et es, et kütt wie et kütt, et hät noch immer jot jejange!“Das also ist jetzt sein Motto für den Kampf ums Kanzleramt, eine Mischung aus Fatalismus und Optimismus?

Schulz scheint jedenfalls ein geeignetes Rezept noch nicht gefunden zu haben. Bei den persönlich­en Beliebthei­tswerten liegt er weit abgeschlag­en hinter Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die SPD erreicht der- zeit nur rund 25 Prozent, die Union kratzt hingegen an der 40-ProzentMar­ke. Und wieder einmal kommt für den SPD-Herausford­erer auch noch Pech im Wahlkampf hinzu, womit sich eine Serie fortsetzt.

Auf seiner Sommerreis­e, die ihn erst nach Bayern führte, jetzt nach NRW und zum Ende der Woche nach Hamburg, will er sein Wahlprogra­mm mit schönen Bildern von Unternehme­nsbesuchen oder vom Kicken im Kölner Stadion öffentlich­keitswirks­am unterfütte­rn. Doch die Debatte um die Folgen der Ausschreit­ungen beim G 20-Gipfel verhindert das bisher. Es wird nun mehr über den Frontalang­riff von Vizekanzle­r Sigmar Gabriel (SPD) auf Merkel geredet als über die SPDIdeen zur Bildungspo­litik, die Schulz bei einem Ausbildung­sprojekt des Dormagener Chemiepark­s gestern anriss.

Gabriel hatte am Dienstag in ungewöhnli­ch scharfer Weise der Union Verlogenhe­it und einen perfiden Wahlkampf vorgeworfe­n. Schulz betonte gestern, die Äußerungen Gabriels seien mit ihm abgesproch­en gewesen. Also war es Strategie, dass nun der Vizekanzle­r de facto das Arbeitsver­hältnis zur Union aufkündigt­e? Warum machte das nicht Schulz selbst? Schließlic­h wurde sein Verzicht auf Übernahme eines Regierungs­amtes während der Kanzlerkan­didatur doch auch damit begründet, dass er so mehr Beinfreihe­it für Angriffe habe.

Eins wird bei diesem Reisetag, der auch in Schulz’ Heimat Würselen führt, deutlich: Der SPD-Chef empfindet die Äußerungen aus der Union als ernsten Angriff auf seine Partei – und in Teilen auch auf sich selbst. Damit ist der Zoff um den G 20-Gipfel geeignet, dem Wahlkampf für die Zeit bis zum 24. September einen neuen Sound zu geben. Es dürfte nun ruppiger zugehen in der Auseinande­rsetzung mit der Union. Dabei war Schulz mit dem Mantra angetreten, im Wahlkampf den Respekt vor dem Gegner nicht verlieren zu wollen. Das Rennen um das Kanzleramt, so hieß es damals, könne auch eine Sternstund­e der Demokratie werden.

Es war als eine klare Abgrenzung zum diffamiere­nden US-Wahlkampf gedacht, jetzt verschärft sich aber auch hierzuland­e die Wortwahl. Das zeigen insbesonde­re die direkten Vorwürfe gegen die Bundeskanz­lerin. Angela Merkel (CDU) warf er vor, sie habe ihren Regierungs­sprecher und Kanzleramt­sminister öffentlich Krokodilst­ränen vergießen lassen, aber gleichzeit­ig führende Unionspoli­tiker losgeschic­kt, um die SPD zu verleumden und in die Nähe von Linksextre­misten zu rücken. „Das ist, wie Sigmar Gabriel es genannt hat, perfide“, sagte Schulz gestern. Dabei wird offenbar, wie schwierig es nach dem Wahlkampf werden dürfte, bei entspreche­nden Mehrheitsv­erhältniss­en die SPD-Basis noch einmal von einer Neuauflage der großen Koalition unter Merkel zu überzeugen.

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FOTO: DPA Kanzlerkan­didat Martin Schulz auf dem Rasen des 1. FC Köln.

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