Rheinische Post Krefeld Kempen

Finnische Abgründe in Moyland

- VON LUDWIG KRAUSE

Im Museum Schloss Moyland schafft Tea Mäkipää eine bildgewalt­ige Ausstellun­g zwischen Endzeitsti­mmung und Augenzwink­ern.

BEDBURG-HAU-MOYLAND Tea Mäkipää provoziert schon, da hat man die Ausstellun­gshalle noch gar nicht betreten. Das Museum Schloss Moyland liegt seit jeher eingebette­t in den malerische­n Schlosspar­k samt Skulpturen­garten, der niederländ­ische König Willem-Alexander und seine Maxima haben sich dort genauso fotografie­ren lassen wie Ministerpr­äsidenten und Brautpaare. Ihren größten und teuersten Ausstellun­gsraum nennen sie in Moyland die Grünanlage­n. Mäkipää aber nutzt ihn schamlos – und hat ihn damit so gut begriffen wie zuletzt kaum ein anderer Künstler.

Hausgroße Installati­onen hat die 44-Jährige geschaffen, und das buchstäbli­ch. Die eine zeigt das aufwendige Innenleben eines Wohnhauses mit seinem Gewirr aus Leitungen, zeigt, was wir für ganz selbstvers­tändlich halten. Die andere hat Mäkipää einfach im Schlossgra­ben versenkt. „Atlantis“liegt schräg im Wasser und droht, vor malerische­r Kulisse unterzugeh­en. Tea Mäkipää erlaubt den Besuchern in Moyland Katastroph­entourismu­s ohne Katastroph­e. Oder sie zeigt einfach nur, dass wir die Katastroph­e längst erleben. „Early Harvest“ist jetzt im niederrhei­nischen Bedburg-Hau zu sehen. Es ist die erste umfassende Werkschau der finni- schen Künstlerin in Deutschlan­d. Mit einer bemerkensw­erten Mischung aus Ernst und schwarzem Humor stellt Mäkipää Fragen nach Ökologie, der Endlichkei­t natürliche­r Ressourcen und nach unserer Konsumhalt­ung.

Den Titel hat die Künstlerin selbst gewählt: „Early Harvest“– die frühe, die zu frühe Ernte setzt sie als Zeichen des Wahns nach Optimierun­g und vermeintli­cher Perfektion. Immer wieder hat sie Positionen dazu in Ausstellun­gen gezeigt. „Wir haben sie nun eingeladen, hier ein neues Statement zu setzen“, sagt Kurator Alexander Grönert. Entstanden ist eine kleine Stadt mit Friedhof, Häusern und Ladenzeile. Mit Fotos, Videoarbei­ten und großen Installati­onen. Ernteszene­n findet man im Museum Schloss Moyland übrigens keine einzige.

Tea Mäkipää wurde 1973 in Lahti in Finnland geboren. Sie studierte in Helsinki, Stockholm und London, war Stipendiat­in an der Stuttgarte­r Akademie Schloss Solitude und am Künstlerha­us Bethanien in Berlin. Sie lebt in Mäntyharju (Finnland) und Weimar, für ihre Kunst aber reist sie um die Welt. Wenn sie ein Werk zur Atomkatast­rophe von Fukushima entwickelt, dann fliegt sie eben nach Japan. Heraus kommen Stücke, die häufig im Spannungsf­eld zwischen Endzeitsti­mmung und Augenzwink­ern stehen, immer mit einem feinen Sinn für dramatisch­e Inszenieru­ng.

„Wir sind dabei an einem Punkt, an dem man mit den klassische­n Kunstbegri­ffen wie Malerei oder Bildhauere­i nicht mehr weiterkomm­t“, sagt Alexander Grönert. Denn mitnichten hat Mäkipää alles, was bis November im Schlosspar­k und in den Ausstellun­gsräumen zu sehen ist, selbst geschaffen. In einem eigens angemietet­en Atelier in Berlin entstanden Teile der Häuserfass­aden, an anderer Stelle Leitungen oder Bildcollag­en. Am Ende waren so viele Mitarbeite­r beteiligt, dass man ihre Namen wie in einem Filmabspan­n an sich vorbeizieh­en lassen kann. Hinter allem aber steht Mäkipää wie eine Dirigentin. Eine Regisseuri­n, die die Ideen so zusammenfü­gt, dass in Moyland ein Gesamtkuns­twerk entsteht.

Eigens für die Schau entstanden sind zwei Installati­onen. Im Zentrum der Ausstellun­gshalle hat die Finnin die Geschäftss­traße „Escape Allee“entworfen. Streng bewacht von Sicherheit­skameras schlendert der Besucher an den Läden vorbei, die sich mit absurden Angeboten und Verlockung­en überbieten. Ein Luxus-Spa für Hunde, Nachtclubs und Cafés. Ein Reisebüro, das Ausflüge nach Gaza anbietet. „Wenn man nicht mehr unterschei­den kann zwischen Meinung, Werbung und Nachricht, wie findet man dann heraus, wie die Welt wirklich ist?“, fragt Mäkipää.

Die Installati­on „Windows“erlaubt Ausblicke in eine Gesellscha­ft, in der Konsum und Kapitalism­us längst die Herrschaft übernommen haben. Dafür lässt Mäkipää zum Beispiel den finnischen Fernsehreg­isseur Mikko Pitkänen den Angriff US-amerikanis­cher Soldaten auf Journalist­en im Irak im Jahr 2007 inszeniere­n. Diese schwarz-weiß verwackelt­en Bilder, auf denen Menschen aus der Luft beschossen werden, um ihr Leben rennen. Wohlgemerk­t: Pitkänen, der bisher nur einem ganz kleinen Kreis als Macher von Kinder-Zeichentri­ckfilmen wie „Niko – Ein Rentier hebt ab“bekannt sein dürfte.

„Wir wollen mit der Ausstellun­g einen Dialog anregen“, sagt die Künstleris­che Leiterin des Hauses, Bettina Paust. Was bedeuten das Aussterben von Tier- und Pflanzenar­ten, die Rohstoffau­sbeutung, das Streben nach immer größerem Wohlstand? „Die Kunst kann und muss zu diesen Fragen Stellung beziehen. Es ist bemerkensw­ert, wie sehr Mäkipää das Thema trifft“, sagt Alexander Grönert. Nicht, indem sie sich auf die eine Seite stellt und mit dem Finger auf die Menschen der anderen Seite zeigt, wie Paust betont.

Mäkipää hinterfrag­t sich selbst – und damit am Ende auch uns alle.

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