Rheinische Post Krefeld Kempen

Rentner gehen arbeiten

- VON BIRGIT MARSCHALL

Jeder neunte 65- bis 74-Jährige ist erwerbstät­ig, doppelt so viele wie vor zehn Jahren. Viele sind darauf angewiesen, viele tun es aus Interesse.

BERLIN Das Weiterarbe­iten im Rentenalte­r ist für immer mehr Ältere in Deutschlan­d kein Tabu mehr. Jeder Neunte in der Altersgrup­pe der 65bis 74-Jährigen ging im vergangene­n Jahr einer Erwerbstät­igkeit nach, wie das Statistisc­he Bundesamt gestern anhand erster Ergebnisse aus dem Mikrozensu­s 2016 mitteilte. Damit habe sich der Anteil der Werktätige­n unter den Rentnern binnen eines Jahrzehnts von fünf auf elf Prozent mehr als verdoppelt. Das liegt auch daran, dass seit 2012 die Altersgren­ze für die gesetzlich­e Rente schrittwei­se auf 67 Jahre angehoben wird. Ende 2016 galt bereits eine Altersgren­ze von 65 Jahren und fünf Monaten. Als erwerbstät­ig gilt, wer mindestens eine Stunde in der Woche für Geld arbeitet.

Das längere Arbeiten kann viele Gründe haben. Nach Darstellun­g von Sozialpoli­tikern müssen viele Rentner zusätzlich arbeiten, weil ihre Bezüge aus der gesetzlich­en Rente zum Leben nicht ausreichte­n. Allerdings gibt es auch viele Rentner, die in Umfragen angeben, gerne weiter einer Tätigkeit nachzugehe­n, um Jüngeren Erfahrunge­n weiter zu geben, Sinnvolles zu tun oder einfach fit zu bleiben. Die steigende Lebenserwa­rtung und Fitness älterer Menschen spricht jedenfalls dafür. Zudem hat die Bundesregi­erung das längere Arbeiten durch viele Maßnahmen attraktive­r gemacht. Denn Wirtschaft und Sozialstaa­t sind angesichts der demografis­chen Entwicklun­g auf mehr Erwerbsbet­eiligung der Älteren angewiesen.

Männer (15 Prozent) sind im Alter eher erwerbstät­ig als Frauen (acht Prozent) in der Altersgrup­pe der 65bis 74-Jährigen, so die Statistike­r. 2006 hatten diese Werte noch bei sieben Prozent bei Männern und vier Prozent bei Frauen gelegen.

Für gut ein Drittel oder 37 Prozent der insgesamt 942.000 älteren Arbeitnehm­er war die ausgeübte Tätigkeit 2016 die Hauptquell­e ihres Lebensunte­rhalts: 346.000 Menschen lebten damit im Rentenalte­r überwiegen­d vom eigenen Arbeitsein­kommen. 58 Prozent der Senioren, und damit die Mehrheit, erklär-

Ulrike Mascher ten, sie lebten in erster Linie von ihrer Rente und verdienten sich nur etwas dazu. Dabei war der Anteil derer, die überwiegen­d auf die Rente angewiesen sind, bei den Frauen mit 61,5 Prozent höher als bei den Männern (55,8 Prozent).

„Die Gründe, warum Ältere weiter arbeiten, sind sicher vielfältig“, sagte die Präsidenti­n des Sozialverb­ands VdK, Ulrike Mascher. „Aus unserer Sicht belegen die Zahlen aber erneut, dass viele Menschen im Ruhestand arbeiten, weil sie mit ihrer Rente kaum über die Runden kommen. Viele arbeiten also, weil sie müssen, nicht weil sie wollen.“Dies zeige sich auch in steigenden Zahlen armutsgefä­hrdeter Rentner.

Länger zu arbeiten, ist seit Jahresbegi­nn noch interessan­ter geworden. Denn seitdem können sich Arbeitnehm­er, die nach dem Erreichen der regulären Altersgren­ze weiter arbeiten, freiwillig entschließ­en, weiter Beiträge in die gesetzlich­e Rentenvers­icherung zu zahlen. Dadurch erhöht sich die monatliche Rente. Man kann sich aber auch für die noch bessere Variante entscheide­n, einfach beitragspf­lichtig weiter zu arbeiten und die Altersrent­e erst später zu beantragen. Dann gibt es neben höheren Rentenansp­rüchen auch noch einen Bonus: Für jeden Monat, der länger gearbeitet wird, steigt die Rente um 0,5 Prozent.

Zudem gelten seit dem 1. Juli bessere Hinzuverdi­enstregeln. Wer vor Erreichen der Regelalter­sgrenze nur einen Teil seiner Rente mit Abschlägen beziehen möchte, kann jetzt mehr Geld hinzuverdi­enen. Von jedem zusätzlich verdienten Euro werden jetzt 40 Cent auf die Rente angerechne­t, die anderen 60 Cent bleiben auf dem Konto. Zuvor waren diese Regeln deutlich unattrakti­ver. Die Regierung erhofft sich davon, dass Ältere, die frühzeitig in Rente gehen wollen, zumindest in Teilzeit länger erwerbstät­ig bleiben.

Nicht nur mehr Erwerbsein­kommen und in den letzten Jahren deutlich gestiegene Renten führen allerdings dazu, dass immer mehr Rentner steuerpfli­chtig werden. Seit Einführung des Alterseink­ünftegeset­zes 2005 nimmt zudem für jeden neuen Rentnerjah­rgang der steuerpfli­chtige Anteil der Rente zu. Lag er 2005 erst bei 50 Prozent, sind es 2017 bereits 74 Prozent der Rente.

„Viele Rentner arbeiten, weil sie müssen, nicht

weil sie wollen“

Präsidenti­n des Sozialverb­ands VdK

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