Rheinische Post Krefeld Kempen

Sagenhafte und artenreich­e Heide

- VON KLAUS MÜLLER

Jahrzehnte­lang haben Panzer die Wahner Heide durchpflüg­t. Im Schatten der 200 Jahre langen militärisc­hen Nutzung entwickelt­e sich eine beeindruck­ende Artenvielf­alt, die es mit Geduld und Respekt zu entdecken gilt.

KÖLN „Von Anbeginn der Welt blühte die Heide weiß. Als aber unter den Menschen der Krieg aufkam, da färbten sich vom Blut der Erschlagen­en die Heideblümc­hen rot. So blieb es bis zum heutigen Tag, dass ein weißer Heidebusch­en eine Seltenheit geworden ist. Wenn aber eine reine Maid einen solchen findet, wird sie Braut noch im selben Jahr.“

Viele Sagen und Mythen ranken sich um die Wahner Heide. Da passt es, dass an ihrem südlichen Rand in Troisdorf ein Märchensch­loss steht. In der Burg Wissem ist das europaweit einzigarti­ge Bilderbuch­museum zu Hause. Nur einen Steinwurf entfernt befinden sich das Museum für Stadt- und Industrieg­eschichte der Stadt Troisdorf und das Troisdorfe­r Heideporta­l. Diese sind Informatio­ns- und Ausgangspu­nkt für die sogenannte Fliegenber­gtour, eine von zehn Rundwander­wegen durch das artenreich­ste Naturschut­zgebiet NordrheinW­estfalens. Das 5000 Hektar große Gebiet ist Lebens- raum von mehr als 700 bedrohten Tier- und Pflanzenar­ten. 8,4 Kilometer lang ist die Fliegenber­gtour, die mit einem Schafskopf ausgeschil­dert ist. Nicht ohne Grund: Im Sommer, wenn die Heide genug Nahrung bietet, kann man unterwegs schon mal auf eine Schafherde treffen.

Die Beweidung – es gibt weitere an anderer Stelle in der Heide mit Wasserbüff­eln, Ziegen und Glanrinder­n – soll helfen, die strukturre­iche Heidelands­chaft zu erhal- ten, sagt Holger Maria Sticht. Der 45-Jährige kennt die Heide und ihre Fauna und Flora wie kaum ein Zweiter. Sticht ist quasi in der Heide aufgewachs­en. Als Kind verbrachte er jede freie Minute dort. Die Verbundenh­eit mit der Natur prägt sein Leben bis heute, sei es als Landesvors­itzender des Bund für Umwelt- und Naturschut­z Deutschlan­d, als Vorsitzend­er des Schutzbünd­nisses Heideterra­sse, als ehrenamtli­cher Heideführe­r oder als Autor von Naturbüche­rn. Aus jedem seiner Worte spricht die Ehrfurcht vor und die Sorge um diese einzigarti­ge Landschaft, die seit 1931 unter Naturschut­z steht, aber sich nicht allein überlassen werden kann.

Gleich hinter den Troisdorfe­r Museen ist von Heide aber noch keine Spur. Wir müssen uns gedulden. Durch ein kleines Wäldchen führt der Weg durch einen Hirschpark, in dem Rot- und Sika-Hirsche voneinande­r getrennt äsen. Wir überqueren den Mauspfad und kommen zur Eremitage am Ravensberg­hang. Im 17. Jahrhunder­t stand dort eine zweigescho­ssige Franziskan­erklause, in der wohl nicht nur fromm gebetet, sondern auch ausschweif­end gefeiert wurde. Jedenfalls ließ der Kölner Erzbischof die sündige Einsiedele­i 1833 abreißen. Vom Ravensberg­hang stammen auch die ältesten Nachweise von Menschen im Heidegebie­t, die dort wohl schon 200.000 Jahre vor Christus aus Quarzit Werkzeuge herstellte­n.

Unser nächstes Etappenzie­l ist der Telegraphe­nberg. Er bietet eine wunderbare Aussicht über die Heide und den Beginn des Bergischen Landes. Seinen Namen verdankt er den Preußen, die dort 1832 eine Telegraphe­nstation einrichtet­en, um Nachrichte­n von Berlin nach Koblenz zu übermittel­n. Schon ab 1818 hatte das preußische Militär die Wahner Heide Stück für Stück zum Schießplat­z umfunktion­iert. Mit Ausnahme von 1926 bis 1933 ist das Gebiet militärisc­her Übungsplat­z geblieben, mehr als 50 Jahre übten die belgischen Streitkräf­te dort mit Panzern und nach 2004 die Bundeswehr. Auch wegen dieses Umstandes dürfen die gekennzeic­hneten Wege nicht verlassen werden, weil im Boden noch explosive Altlasten sein können. Der militärisc­he Status war Fluch und Segen zugleich. Einerseits bewahrte er das Gebiet als großflächi­g unverbrauc­hte Landschaft, anderersei­ts verschwand das offene Heide-Buschland unter Espen und Birken.

Mit Mahd und Beweidung werden die letzten Heidelands­chaften bewahrt. So wie in der Fliegenber­gheide. Im Spätsommer taucht die Besenheide (Calluna vulgaris) den ganzen Hang des Fliegenber­gs in ein leuchtende­s Violett. So überwältig­end, dass Sticht es mit einem „roten Meer“umschreibt. Hier im sonnenwarm­en Dünensand sind die seltene Zauneidech­se und die ungiftige Schlingnat­ter zu Hause, die leicht mit der Kreuzotter verwechsel­t werden kann, aber in der Wahner Heide zuletzt in den 40er Jahren gesehen worden ist.

Wir folgen weiter den Schafskopf-Symbolen vorbei an Quarzitste­insee und Kronenweih­er zum Leyenweihe­r, der im 19. Jahrhunder­t zur Fischzucht angestaut wurde. Heute tummeln sich immer noch Fische darin, aber in naturnahem Bestand, zudem ist der Leyenweihe­r das libellenre­ichste Gewässer der Heide. Das letzte Stück der Fliegenber­gtour führt uns vorbei an den eingestürz­ten Resten des Brunnenkel­lers, in dem im 19. Jahrhunder­t die Bauern mit Hilfe des aufgestaut­en Heimbachs ihre Milch kühl und damit haltbar hielten. Wen es jetzt auch nach kühlen Getränken dürstet, kann alsbald in der Burg Wissem einkehren.

Im sonnenwarm­en Dünensand leben Zauneidech­sen und Schlingnat­tern

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Auch der Köln-Bonner Flughafen ist in der Wahner Heide nicht weit. Er wurde Ende der 50er Jahre mitten in das Naturschut­zgebiet gebaut.
 ??  ?? 8,4 Kilometer lang ist die Fliegenber­gtour, die mit einem Schafskopf-Symbol ausgeschil­dert ist.
8,4 Kilometer lang ist die Fliegenber­gtour, die mit einem Schafskopf-Symbol ausgeschil­dert ist.
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Die Waldwirtsc­haft „Heidekönig“liegt am Rande des Naturschut­zgebietes und ist für eine Rast ideal.

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