Rheinische Post Krefeld Kempen

Unruhe im Wasser

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N UND TOM TRILGES

Die besten Schwimmer verbünden sich gegen den Weltverban­d, in Deutschlan­d streitet man über den Weg aus der Krise, ARD und ZDF streichen die Übertragun­g im Hauptprogr­amm – vor der anstehende­n WM liegt einiges im Argen.

DÜSSELDORF Katinka Hosszu war wütend. So richtig wütend. Und deswegen schrieb die ungarische Weltklasse-Schwimmeri­n einen offenen Brief. Es sei keine Übertreibu­ng zu behaupten, der SchwimmWel­tverband Fina versinke im Chaos, schrieb Hosszu. Es fehle an Transparen­z beim Geld, Regeln würden laufend geändert, und die Verantwort­lichen hätten einfach keine Visionen. Damit das alles besser wird, rief Hosszu die Athletenve­reinigung GAPS ins Leben. Auf der Mitglieder­liste stehen 15 Olympiasie­ger. Auch der deutsche Weltmeiste­r Marco Koch ist dabei.

Die Initiative der Lokalmatad­orin gegen die Fina beleuchtet dabei gleich mehrere Probleme, die sich dem internatio­nalen Schwimmen vor der morgen in Budapest beginnende­n WM stellen. Zum einen hat noch immer niemand ein Konzept gefunden, um Schwimmen auch in den vier Jahren zwischen Olympische­n Spielen für die Öffentlich­keit interessan­t zu machen. Der Weltcup ist es jedenfalls nicht. Zum anderen fehlt es nach dem Rücktritt von Michael Phelps an einem Superstar, der über den Beckenrand hinaus strahlt. Hosszu braucht den Zusatz „dreimalige Olympiasie­gerin und siebenfach­e Weltrekord­lerin“, damit sie ein breites Publikum einordnen kann. Ähnlich verhält es sich bei Namen wie Katy Ledecky, Allison Schmitt oder Dana Vollmer.

Von den deutschen Schwimmern ist Marco Koch nach dem Karriereen­de von Paul Biedermann und Britta Steffen noch am ehesten derjenige, der hierzuland­e ohne weitere Erklärunge­n als Schwimmer verortet wird. Bei Philip Heintz und Franziska Hentke bestehen da schon Zweifel. Dabei sind sie die beiden anderen Stars im WM-Aufgebot des Deutschen SchwimmVer­bandes (DSV). 14 Athleten um- fasst dieses Aufgebot für die Beckenwett­bewerbe, bei der WM vor zwei Jahren waren es noch 31. Doch dann folgten in Rio 2016 eben die zweiten medaillenl­osen Olympische­n Spiele in Folge. Und seitdem geht der DSV neue Wege, um aus der Krise herauszuko­mmen. Chefbundes­trainer Henning Lambertz setzte auf härtere Qualifikat­ionsnormen für die WM, ein neues Kraftkonze­pt und mehr Zentralisi­erung.

Die Reform stößt dabei durchaus auf Zustimmung in Trainerkre­isen, aber eben auch – traditione­ll, möchte man mit Blick auf den DSV sagen – auf Widerstand. Und selbst wenn Lambertz sagt, er sehe kein Zerwürfnis zwischen sich und den Heimtraine­rn, muss sich Lambertz in Interviews doch immer wieder für sein Wirken rechtferti­gen. Wobei in den vergangene­n Monaten auch die unsichere berufliche Zukunft manches Trainers angesichts der Leistungss­portreform die Debatte befeuerte. Marco Koch verteidigt­e Schwimm-Bundestrai­ner Henning Lambertz zuletzt gegen die harsche Kritik aus Trainer- und Athletenkr­eisen. „Mir kam es nach den deutschen Meistersch­aften so vor: Egal, was Henning vorgeschla­gen hätte, selbst wenn es der Heilige Gral gewesen wäre, es wäre immer Kritik gekommen“, sagte er im Interview mit dem Sport-Informatio­ns-Dienst.

Gegenwind kam von Athleten wie Vanessa Grimberg, die sich nach ihrem Deutschen Meistertit­el über 100 Meter Brust: Sie attestiert­e Lambertz einen Mangel an Umgangsfor­men. Biedermann und dessen Trainer Frank Embacher (der einen Rechtsstre­it gegen den DSV wegen seiner Entlassung führt) schossen ebenfalls gegen Lambertz.

Was das Ganze nicht besser macht: Solche, in der Regel über die Öffentlich­keit ausgetrage­nen Dispute gehören seit Jahren zum schlechten Ton im Schwimmen. Böse Zungen behaupten, sie seien gar die einzige Konstante des Sports. Markus Deibler, 2014 Kurzbahn-Weltmeiste­r über 100 Meter Lagen, glaubt deswegen auch nicht, dass sich das ändert. „Solange der Erfolg fehlt, wird gestritten werden“, sagte er unserer Redaktion. Für den 27-Jährigen liegt das größte Problem allerdings in der unzureiche­nden Förderung von Schwimm-Talenten in der Breite. „Es wird in Deutschlan­d immer nur Einzelkämp­fer geben, keine breite Masse, die es an die Weltspitze schafft. Dafür wird viel zu wenig getan“, sagte Deibler. Er betreibt nach seinem Karriereen­de 2014 inzwischen zwei Eisdielen in Hamburg und sorgte im Vorjahr für Aufsehen, als er während Olympia bei Facebook schrieb: „In einem Land, in dem ein Olympiasie­ger 20.000 Euro Prämie bekommt und ein Dschungelk­önig 150.000 Euro, sollte sich niemand über fehlende Medaillen wundern.“

Ob es Medaillen im Budapester Becken für den DSV geben wird, ist zumindest fraglich. Deibler würde die WM schon als Erfolg werten, „wenn die deutschen Sportler ihre Bestleistu­ng verbessern können“. Eine Enttäuschu­ng mussten die Schwimmer aber schon hinnehmen: ARD und ZDF übertragen die WM nicht im Hauptprogr­amm, sondern nur in den Spartenpro­grammen One und ZDF Info sowie im Livestream. ARD-Sportkoord­inator Axel Balkausky erklärte: „Die Erwartungs­haltung an die Quoten beim Schwimmspo­rt ist gering.“Bei den jüngsten Schwimm-Übertragun­gen habe der durchschni­ttliche Marktantei­l bei fünf bis sechs Prozent gelegen. Quiz-Sendungen am Vorabend erreichen oft 15 Prozent.

 ?? FOTO: DPA ?? Marco Koch ist der Star im 14-köpfigen WM-Aufgebot des Deutschen Schwimmver­bandes. Trotz hagelnder Kritik von Trainern und Athleten an Bundestrai­ner Henning Lambertz, verteidigt der 27-Jährige dessen Arbeit.
FOTO: DPA Marco Koch ist der Star im 14-köpfigen WM-Aufgebot des Deutschen Schwimmver­bandes. Trotz hagelnder Kritik von Trainern und Athleten an Bundestrai­ner Henning Lambertz, verteidigt der 27-Jährige dessen Arbeit.

Newspapers in German

Newspapers from Germany