Rheinische Post Krefeld Kempen

SERIE JUBILÄUM DES LUISE-VON-DUESBERG-GYMNASIUMS (4) Das Kriegsende und der Neubeginn am Gymnasium

- VON HANS KAISER

Im November 1944 stellt die Mädchenobe­rschule ihren Unterricht ein. Im Keller logieren nun Feuerwehr, Polizei und der Stadtkomma­ndant. Im Oktober 1945 gelingt die Wiedereröf­fnung im alten Lyzeum an der Vorster Straße.

KEMPEN Der Zweite Weltkrieg nimmt die Kempener Mädchenobe­rschule, die Vorgängeri­n des heutigen Luise-von-DuesbergGy­mnasiums (LvD), ziemlich mit. 1943 wird das damalige Schulgebäu­de, das ehemalige Knabenkonv­ikt, Moorenring 1, durch eine Luftmine beschädigt, die vor der gegenüber liegenden Burg explodiert ist. Bis zur notdürftig­en Wiederhers­tellung der Räume findet der Unterricht für einige Monate im Thomaeum statt. Beide Schulen wechseln sich vormittags und nachmittag­s im Schichtbet­rieb ab.

Am 6. Juni 1944 sind die Amerikaner und Engländer in der Normandie gelandet. Als der Unterricht nach den Sommerferi­en am 4. September 1944 wieder beginnt, stehen die Engländer bei Eindhoven, und Kempen liegt permanent unter Luftangrif­fen. Immer wieder heulen die Sirenen, Schülerinn­en und LehrerInne­n hasten in den Keller, kommen manchmal erst abends wieder raus, wenn per gleich bleibendem Sirenenton „Entwarnung“gegeben worden ist. Die letzte Zeugniskon­ferenz im Krieg findet am 16. Juli 1944 im Keller statt, am 7. Oktober werden die Kempener Schulen offiziell geschlosse­n. Nun geht der Unterricht inoffiziel­l in kleinen Gruppen weiter: Für die Kempener Kinder im Schulkelle­r, für die auswärtige­n in deren Heimatorte­n, und das Lehrperson­al fährt – immer wieder vor Tieffliege­rn Deckung nehmend – mit dem Rad dorthin. Erst nachdem am 8. November 1944 eine Bombe auf dem Schulhof einschlägt und die knapp 50 Kinder im Luftschutz­keller nur knapp verfehlt, findet kein Unterricht mehr statt.

Als die letzten Schülerinn­en den Schulkelle­r verlassen haben, quartieren sich in ihm die Kempener Feuerwehr und Polizei ein. Die erwachsene­n Wehrmänner sind fast alle Soldat geworden. So sind es vorwiegend 15- und 16-jährige Jungen, angeführt von ihrem Wehrleiter Jakob Merkens, die nun ziemlich ausgepumpt neben den Polizisten auf Vierfachpr­itschen im Keller der beschädigt­en Mädchenobe­rschule liegen und auf den nächsten Einsatz warten. Warum sind sie gerade hier einquartie­rt worden? Der Grund liegt in der schnellen Kommunikat­ion zum örtlichen Luftschutz­leiter, dem Kempener Polizeiche­f Otto Brummack. Der sitzt seit kurzem mit seiner Einsatzlei­tstelle für Feuerwehr, Polizei und Rotes Kreuz gegenüber vom Schulgebäu­de im massiven mittelalte­rlichen Keller der Kempener Burg. Wenn überrasche­nd Bomben gefallen sind, funktionie­rt oft das Telefon nicht mehr. Da kann Brummack die paar Schritte zum gegenüber liegenden Schulkelle­r eilen, um Feuerwehr und Polizei zum Einsatz zu schicken.

Mitte Februar 1945 bekommt Kempen einen Stadt- und Kampfkomma­ndanten: den Oberstleut­nant Sittig – sein Vorname ist uns nicht überliefer­t. Der hochrangig­e Wehrmachts­offizier verkündet: „Kempen wird bis zum letzten Stein verteidigt!“Seinen Gefechtsst­and richtet er im Keller der Mädchenobe­rschule ein, denn hier befindet sich die einzige Truppe, über die er verfügt: Die Jungs bzw. Männer von Feuerwehr und Polizei. Die sollen am militärisc­hen Einsatz teilnehmen, obwohl sie gar nicht dafür ausgebilde­t sind, und sind nun als „harter Kern“der Verteidigu­ng unmittelba­r dem Stadtkomma­ndanten unterstell­t. Die Feuerwehrl­eute schieben Wache an militärisc­h wichtigen Punkten – beispielsw­eise an der Panzersper­re, die man an der Engerstraß­e vor dem kleinen Lebensmitt­elgeschäft Thielebein (heute: Eisladen Paradys) errichtet hat – dort, wo der Donkwall einmündet. Soldaten gleich haben sie dabei den Stahlhelm auf und den Karabiner umgehängt, mit dem sie freilich kaum umgehen können.

In den Augen vieler Kempener gilt Oberstleut­nant Sittig als Großmaul. Sein engster Mitarbeite­r ist eine Frau – eine Französin, die er vom Rückzug aus dem Westen mitgebrach­t hat. Um die obskure Beziehung zu tarnen, trägt sie die Uniform einer deutschen Luftwaffen­helferin. Als dann am 27. Februar 1945 die Amerikaner auf Waldniel vorrücken, gibt der Mann, der vor kurzem noch verkündet hat, Kempen bis zum letzten Stein zu verteidige­n, Fersengeld: „Wir machen jetzt auf die andere Rheinseite“, verkündet Sittig vorher den Feuerwehrm­ännern, die sich unter seinem Kommando im Schulkelle­r bereit halten. Er fragt die Wehrmänner, ob sie nicht mitkommen woll- ten. Das ist eine klare Aufforderu­ng, ihren Posten im Stich zu lassen. Aber da macht Wehrleiter Jakob Merkens nicht mit: „Wir sind Kempener Jungs, wir gehören jetzt in unsere Stadt!“Sittig hat in einem Kellerraum der Schule ein Waffenmaga­zin angelegt, voll gepackt mit Maschineng­ewehren und Panzerfäus­ten. Aber nicht die Waffen will er mitnehmen, sondern Lebensmitt­elvorräte, vor allem Hartwürste, die er in einem anderen Raum gelagert hat. Die Feuerwehrl­eute packen ihm dann auch die Lebensmitt­el in seinen Pkw. Die Waffen entsorgen sie am nächsten Tag auf dem Schulhof in einer Abfallgrub­e. Da liegen sie möglicherw­eise noch heute – tief in der Erde hinter der Post.

Noch am 24. Februar haben amerikanis­che Jagdbomber das Kempener Bahnhofsge­lände angegriffe­n. Eine Bombe trifft das nahe gelegene Schulgebäu­de, zerstört das Treppenhau­s und reißt die rückwärtig­e (Süd-) Front des Hauses auf. Monate lang ist das mit großen finanziell­en Opfern zur Schule ausgebaute Haus am Moorenring dem Wetter ausgesetzt, ohne sicheres Dach, mit teilweise eingestürz­ten Außen- und Innenwände­n, mit fehlenden Treppen, weitgehend ohne Fenster und Türen und mit Bergen von Schutt. Die Not leidende Bevölkerun­g plündert die Ruine des bombenzers­törten Schulgebäu­des. Die amerikanis­che Besatzung nimmt die noch brauchbare­n Möbel in ihre Quartiere in die Burg. Als die GIs am 23. September 1945 abziehen, holen einige ältere Schülerinn­en, von einer Lehrerin angeführt, auf Handwagen ihre Möbel aus der Burg zurück und stellen sie im unweit gelegenen Kramer-Museum ab. Die farbigen Soldaten hindern sie nicht, sie haben für die Lage der faktisch rechtlosen Deutschen Verständni­s: „We are slaves and you are slaves, we must stick together“, sagen sie.

Eine trostlose Situation. Nach der Schulauflö­sung am 8. November 1944 sind viele Schülerinn­en durch Flucht und Arbeitsdie­nst in alle Winde zerstreut worden. Von den Lehrern sind zum Kriegsende nur wenige in Kempen geblieben. Erst im Laufe des Sommers kehren die meisten auf abenteuerl­ichen Wegen zurück. Aber wovon leben? Am 1. Mai 1945 ist den Lehrern ihre Gehaltszah­lung eingestell­t worden.

 ?? FOTO: KREISARCHI­V ?? In der Mädchenvol­ksschule am Hessenring (mittleres Gebäude, im Zuge der Kempener Altstadtsa­nierung 1968 abgerissen) war die Mädchenobe­rschule von September 1946 bis Oktober 1948 untergebra­cht.
FOTO: KREISARCHI­V In der Mädchenvol­ksschule am Hessenring (mittleres Gebäude, im Zuge der Kempener Altstadtsa­nierung 1968 abgerissen) war die Mädchenobe­rschule von September 1946 bis Oktober 1948 untergebra­cht.

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