Rheinische Post Krefeld Kempen

Schlammsch­lacht im Schweinest­all

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Die neue Landwirtsc­haftsminis­terin steht nach der Veröffentl­ichung von Aufnahmen aus dem Schweinema­stbetrieb ihrer Familie im Kreuzfeuer der Kritik. Dass die Bilder bei einem Einbruch entstanden sind, stört die SPD offenbar wenig.

DÜSSELDORF Es ist der 1. Juni, der Donnerstag vor Pfingsten, als Frank Schulze Föcking erstmalig auffällt, dass vereinzelt­e Schweine in seinem Mastbetrie­b Bissspuren aufweisen. In den folgenden Tagen häufen sich die Fälle stetig, so dass er am Pfingstmon­tag eine Tierärztin kommen lässt. Umgehend werden die betroffene­n Tiere von ihr behandelt, gereinigt und desinfizie­rt. Am 9. Juni registrier­t die Betriebsle­itung des Hofs bei vier der 940 Ferkel Bissverlet­zungen an den Schwanzspi­tzen; bis zum 12. Juni steigt die Zahl der verletzten Tiere weiter. So stellt es Frank Schulze Föcking dar.

Daraufhin entschließ­t man sich in Absprache mit der Tierärztin, die betroffene­n Tiere in separierte Krankenbuc­hten und – aufgrund der hohen Fallzahl – auch in normale, leere Buchten umzustalle­n. Ziel des Betriebs und der betreuende­n Tierärztin ist es nach eigenen Angaben gewesen, den betroffene­n Schweinen unnötiges Leid und Schmerzen zu ersparen. Insgesamt, so teilt der Hof Schulze Föcking mit, sind bis zum 3. Juli 31 Tiere notgetötet worden. Oder verendet.

Irgendwann im Juni muss es nachts auf dem Hof einen Einbruch gegeben haben. Kriminelle filmen dabei heimlich mit der Videokamer­a die kranken Schweine in den separierte­n Buchten. Die Aufnahmen werden am 12. Juli bei „Stern TV“ausgestrah­lt und lösen eine Welle der Empörung aus. Im Zentrum der Kritik: die neue Landwirtsc­haftsminis­terin Christina Schulze Föcking (40, CDU), die seit dem 1. Juli 2017 nicht mehr an dem Betrieb beteiligt ist. Der Vorwurf: Bei der Schweineha­ltung soll gegen das Tierschutz­gesetz verstoßen worden sein.

Der Betrieb veröffentl­icht nach der Ausstrahlu­ng eine sechsseiti­ge Stellungna­hme zu den Vorwürfen, in der der gesamte Vorgang offenge- legt wird. Darin heißt es auch, dass die Schweinema­st am Vormittag des 7. Juli von einem Tierarzt des Veterinära­mtes kontrollie­rt worden ist – und es keine Beanstandu­ngen gegeben hat. Am darauffolg­enden Tag, dem 8. Juli, findet auf dem Hof zudem ein sogenannte­s Sonderaudi­t für das QS-Prüfzeiche­n (Qualität und Sicherheit) durch eine unabhängig­e Kontrolleu­rin statt – ebenfalls ohne Beanstandu­ngen.

Die Sendung „Stern TV“, die die Aufnahmen von der Organisati­on „Tierretter“erhalten hat, stellte am 5. Juli, eine Woche vor der Ausstrahlu­ng, eine Interview-Anfrage an die Ministerin. Man wolle mit ihr über Massentier­haltung sprechen. Die heimlich entstanden­en Aufnahmen sollen dabei nicht zur Sprache ge- kommen sein. Am 6. Juli erteilte die 40-Jährige dem Interview-Wunsch eine Absage. Wiederum nur einen Tag später konfrontie­rte „Stern TV“die Ministerin in einer weiteren Anfrage dann mit den heimlich gedrehten Filmaufnah­men. Das war am späten Nachmittag des 7. Juli.

Kritiker wie die Landesvors­itzende der Grünen, Mona Neubaur, sehen einen Zusammenha­ng zwischen der ersten Interview-Anfrage und der Kontrolle des Veterinära­mtes zwei Tage später. Möglich sei, dass die Ministerin um diese Prüfung womöglich nach der Anfrage am 5. Juli selbst gebeten haben könnte, weil sie befürchten musste, dass Tierschütz­er etwas gegen sie und ihre Familie in der Hand haben könnten.

Doch der Kreis Steinfurt stellt gestern klar: Der zuständige Tierarzt hat sich für die Kontrolle am 7. Juli zwischen neun und zwölf Uhr auf dem Hof Schulze Föcking bereits am 3. Juli gegen 16.30 Uhr telefonisc­h angemeldet – und damit zwei Tage vor der Anfrage. Dass es erst nach rund drei Jahren wieder eine Amtskontro­lle gegeben habe, liege auch daran, dass es in dem Betrieb nie Auffälligk­eiten gegeben habe. Häufiger kontrollie­rt würden nur auf Höfen stattfinde­n, wo es regelmäßig Beschwerde­n gebe.

Der Rheinische Landwirtsc­haftsverba­nd verurteilt die Art und Weise, wie das Filmmateri­al entstanden ist. „Stalleinbr­üche sind eine Straftat und müssen geahndet werden“, betont RLV-Sprecherin Andrea Hornfische­r. Für die Geschäftsf­ührerin der SPD-Kreistagsf­raktion Steinfurt, Veronika Nolte, spielt es keine Rolle, dass die Bilder während eines Einbruchs gemacht worden sind. Das sei für ihre Partei nicht entscheide­nd, schreibt sie in einer Anfrage zu dem Thema an den Kreistag.

Die Staatsanwa­ltschaft Münster prüft bislang aber nur, ob gegen den Hof Schulze Föcking ein Anfangsver­dacht auf einen Verstoß gegen das Tierschutz­gesetz vorliegt. Dass dem so ist, davon ist die Tierschutz­Stiftung „Albert Schweitzer“überzeugt und hat deshalb Strafanzei­ge gestellt. Landwirte sehen das anders. Sie stellen sich mit großer Mehrheit hinter ihre Ministerin. Auf Twitter gibt es einen neuen Hashtag #wirstehenh­interchris­tina. Dort veröffentl­ichen Bauern auch Bilder aus den eigenen Ställen. Der Deutsche Tierschutz­bund in NRW, der schon lange die konvention­elle Schweineha­ltung kritisiert, spricht auch nicht von einer strafbaren Handlung. Allerdings würde der Fall die Debatte um die Schweineha­ltung befeuern. Denn die Bilder aus dem Stall der Ministerin führten zum wiederholt­en Male deutlich vor Augen, wie konvention­elle Schweineha­ltung in der Realität aussehe.

Das Problem des Schwanzbis­ses in der Schweineha­ltung ist nach Einschätzu­ng von Experten ein verbreitet­es Phänomen. Schweine mit abgebissen­en Schwänzen, Wunden und Gelenkentz­ündungen seien traurige Realität der konvention­ellen Schweineha­ltung, so der Tierschutz­bund. Und auch Landwirte bestätigen das. Schwanzbis­se können unter anderem durch Stress, falsches Futter, Schlafentz­ug und mangelnde Frischluft­zufuhr ausgelöst werden. Im Betrieb von Schulze Föcking vermutet man als mögliche Ursache einen Wechsel bei den Zuchtebern im Sauenbetri­eb, aus dem die Ferkel stammen.

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FOTO: IMAGO NRW-Landwirtsc­haftsminis­terin Christina Schulze Föcking (CDU) muss sich für Aufnahmen rechtferti­gen, die illegal im Schweinema­stbetrieb ihrer Familie entstanden.

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