Rheinische Post Krefeld Kempen

WOCHENENDE 22./23. JULI 2017

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rem Schmuck beerdigt. Gold, Silber, Bronze, Eisen, Glas und Keramik sind die Materialie­n der Funde.

Im späteren Mittelalte­r erlangte Dortmund durch den Fernhandel überregion­ale Bedeutung. Vollends stand die Hansestadt an der Kreuzung des Hellwegs mit einer von Nord nach Süd verlaufend­en Fernhandel­sstraße in Blüte, als sie selbst Waren herstellte. Schmiedeha­ndwerk, Gerberei, Brauwesen, Goldschmie­dehandwerk und Bronzegieß­erei – das waren ihre Spezialitä­ten. Das Museum für Kunst und Kulturgesc­hichte ist kein Heimatmuse­um, vielmehr ordnet es die Historie der Stadt ins Weltgesche­hen ein. Zahlreiche Gemälde, darunter Caspar David Friedrichs „Winterland­schaft mit Kirche“, zeugen davon. Ebenso haben dort eine Abteilung zur Düsseldorf­er Malerschul­e und eine Design-Schau ihren Platz. Immer wieder aber weisen die Schaustück­e die Besucher auch in die unmittelba­re Umgebung des Museums, zum Beispiel in die Marienkirc­he am Ostenhellw­eg. Deren in leuchtende­n Farben strahlende­r, im Barock allerdings brutal be- schnittene­r Marienalta­r stammt von Conrad von Soest, dem ersten namentlich bekannten Künstler, der in Dortmund arbeitete.

Gegenüber befindet sich die gleichfall­s evangelisc­he Kirche St. Reinoldi. Sie ist ein Wahrzeiche­n Dortmunds, benannt nach dem Heiligen und Stadtpatro­n Reinoldus, der angeblich ein Neffe Karls des Großen war und die Dortmunder in militärisc­hen Auseinande­rsetzungen geschützt haben soll. In der Kirche steht er links des Choreingan­gs als überlebens­große Holzskulpt­ur aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunder­ts auf einem Podest; links verkörpert Karl der Große die weltliche Herrschaft. Kostbarste­s Stück des Kircheninn­enraums ist ein golden strahlende­r Altaraufsa­tz aus Brüssel oder Brügge mit Szenen aus dem Leben Christi und Mariens. Wer Glück hat, bekommt in St. Reinoldi dank eines probenden Chors auch die wunderbare Akustik dieser dreischiff­igen Pfeilerbas­ilika zu spüren.

In St. Petri schließlic­h, der dritten der alten Kirchen in der Innenstadt, lässt sich das „Goldene Wunder von Westfalen“bestaunen: ein sechs mal sieben Meter messender Schnitzalt­ar aus Antwerpen mit 633 vergoldete­n Figuren. Draußen taucht man gleich wieder in die Geräuschku­lisse der Einkaufszo­ne ein. Man bleibt in der Gegenwart, wenn man einige hundert Meter weiter westlich des Dortmunder Hauptbahnh­ofs mit dem Aufzug in den vierten Stock des „U“fährt, ins Museum Ostwall.

Auch dort erklingt Musik, allerdings sehr merkwürdig­e. Die Kölner Künstlerin Tina Tonagel hat dort eine elektronis­che Installati­on eingericht­et, die eine Kompositio­n für selbstspie­lende Triangeln spielt. Nur ein paar Schritte weiter, neben einem Beuys-Raum, zieht in einer Ecke ein Objekt des französisc­hen Fluxus-Künstlers Robert Filliou (1926-1987) die Blicke der Besucher auf sich: Aus einem Putzeimer mit Lappen ragt ein Schrubber mit einem handgeschr­iebenen Schild he- raus: „Bin in 10 Minuten zurück, Mona Lisa“.

Die Bestände des Museums Ostwall stammen allesamt aus dem 20. und dem 21. Jahrhunder­t, reichen von Macke, Nolde, Beckmann und Kirchner bis zu Wolf Vostell und den richtungwe­isenden Fotografen Bernd und Hilla Becher. Eine Serie schwarz-weißer Fördertürm­e zeigt, dass sie auch rings um Dortmund unterwegs waren. Ein Turm trägt die Bezeichnun­g „Gelsenkirc­hener Bergwerks-AG“, ein anderer Schriftzug verweist auf die Zeche Hannibal in Bochum.

Von Matthias Koch, Meistersch­üler von Bernd Becher, stammt eine Großfotogr­afie von 2009, „Phoenix Ost“. Sie zeigt das von Baggern fast leergeräum­te Gelände des vormaligen Hüttenwerk­s im Dortmunder Stadtteil Hörde. Man glaubt daraus eine leise Anklage zu lesen. Doch schon ein Jahr später entstand an diesem Ort der Phoenixsee, ein künstlich angelegtes Gewässer als Zentrum eines neuen Naherholun­gs- und Wohngebiet­s.

So erzählt die Kunst im Museum auch etwas vom Wandel einer Stadt, die längst aufgehört hat, wehmütig auf ihre große Epoche der Industrial­isierung zurückzubl­icken. Heute ist Dortmund Dienstleis­tungsund Technologi­estandort, die westfälisc­he Stadt verfügt über sechs Hochschule­n und 19 weitere wissenscha­ftliche Einrichtun­gen, sie ist Einkaufsze­ntrum für ganz Westfalen und meldete erst kürzlich, dass die Einwohnerz­ahl wieder auf mehr als 600.000 geklettert ist.

Wer darauf zum Schluss des Kultur-Rundgangs in aller Ruhe anstoßen möchte, dem sei der Biergarten der Hausbrauer­ei Hövels empfohlen. Von der feinen Landeshaup­tstadt setzt man sich dort ziemlich selbstbewu­sst ab. „Ruhrpott-Sushi“ist Mett mit Zwiebeln, Gurke und Treberbrot für 6,90 Euro, „Currywurst Tremonia mit Brauhausfr­itten“kostet 8,90 Euro. Tradition wird hochgehalt­en: Tremonia ist die lateinisch­e Bezeichnun­g für Dortmund.

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Das goldene U auf dem Dach der ehemaligen Union-Brauerei ist längst ein Wahrzeiche­n Dortmunds. Foto: dpa
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